So geht stabile Rente – bis 2060

Die schlechte Nachricht zuerst: Die gesetzliche Rente ist nicht sicher.

Würde das aktuelle System der gesetzlichen Rentenversicherung beibehalten, stiege der Beitragssatz im Laufe der kommenden Jahrzehnte um 5 Prozentpunkte: Von 18,6 Prozent im Jahr 2021 über 22,1 Prozent im Jahr 2040 auf 23,6 Prozent im Jahr 2060. Unser Sozialsystem würde einen solchen Anstieg kaum verkraften, zumal auch die Beitragssätze in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aufgrund der demografischen Entwicklung steigen werden.

Umgekehrt würde das Sicherungsniveau der Rente – das ist der Verhältniswert aus der verfügbaren Standardrente und dem verfügbaren Durchschnittsgehalt, jeweils vor Steuern – von 48,2 Prozent im Jahr 2021 auf 44,4 Prozent bis 2060 um 3,8 Prozentpunkte sinken (2040: 45,8 Prozent).

Diese und die folgenden Zahlen stammen aus der Studie „Nachhaltigkeit in der Gesetzlichen Rentenversicherung“ des Wissenschaftlers Dr. Jochen Pimpertz und der Wissenschaftlerin Dr. Ruth Maria Schüler vom Institut der deutschen Wirtschaft. Die beiden Grafiken unten illustrieren die Ergebnisse der Studie.

Jetzt die gute Nachricht: Diese Entwicklung in der gesetzlichen Rentenversicherung kann deutlich gebremst werden. Der Rentenbeitrag kann ohne einschneidende Umbrüche langfristig stabil bleiben, ohne dass das Sicherungsniveau wesentlich stärker als nach heutiger Gesetzeslage sinken müsste.

Notwendig dafür sind Anpassungen der gesetzlichen Rentenversicherung an drei Stellen: dem Nachholfaktor, dem Nachhaltigkeitsfaktor und der Regelaltersgrenze. Was bedeuten die Begriffe und was ist zu tun?

Nachholfaktor

Der Nachholfaktor ist Bestandteil der Rentenanpassungsformel der gesetzlichen Rentenversicherung. Er bewirkt, dass vor der jährlich erfolgenden Rentenanpassung zunächst berücksichtigt wird, ob in der Vergangenheit eigentlich notwendig gewesene, aber unterbliebene Rentenkürzungen nachträgliche Würdigung finden können.

Der Hintergrund: Rentenkürzungen sind gesetzlich ausgeschlossen. Sinken etwa die Löhne in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, tun dies die Renten nicht. Der Nachholfaktor aber sorgt dafür, dass die Rentenanstiege in den darauffolgenden Jahren zurückhaltender ausfallen.

Der Nachholfaktor gleicht also unterbliebene Absenkungen der Rente in der Vergangenheit durch geringere Rentensteigerungen in der Zukunft aus. Das ist fair, weil so die Beitragszahler nicht ausschließlich die Lasten einer negativen Wirtschaftsentwicklung tragen müssen. Doch der Nachholfaktor ist bis 2026 ausgesetzt.

Eine zügige Wiedereinsetzung hätte langfristig positive Folgen für die Beitragszahler. Im Jahre 2060 läge der Beitragssatz mit eingesetztem Nachholfaktor bei 23,3 Prozent, also um 0,3 Prozentpunkte unter dem Status-quo-Szenario ohne Reformen (siehe Grafik).

Grafik: „Beitragssatz in Prozent des beitragspflichtigen Einkommens“

Nachhaltigkeitsfaktor

Der Nachhaltigkeitsfaktor berücksichtigt demografisch bedingte Veränderungen. Er verteilt die Lasten der Alterung der Gesellschaft zwischen Alten (Rentnern) und Jungen (Beitragszahlern). Er liegt aktuell bei 0,25. Das bedeutet, dass ein Viertel der demografischen Anpassungslasten von den Rentnerinnen und Rentnern zu schultern ist. Würde man den Nachhaltigkeitsfaktor moderat auf 0,33 erhöhen, würde dies die Rentenversicherung deutlich stabilisieren. In Kombination mit einem wiedereingesetzten Nachholfaktor würde der Beitragssatz dann nämlich bis zum Jahr 2060 auf lediglich 22,7 Prozentpunkte steigen (siehe Grafik oben). Das wäre fast 1 Prozentpunkt weniger als ohne Reformen.

Regelaltersgrenze

Die vermutlich politisch umstrittenste, aber wirkungsvollste Maßnahme wäre eine fortgesetzte Anhebung der Regelaltersgrenze nach 2031. Bis dahin ist sie bereits gesetzlich festgeschrieben und liegt dann bei 67 Jahren). Dass eine Reform an dieser Stelle notwendig ist, ist zumindest in der Wissenschaft unstrittig.

Schon wenige Zahlen machen den Reformbedarf deutlich: Betrug die durchschnittliche Rentenbezugsdauer im Jahr 1970 in Westdeutschland noch 11,1 Jahre, stieg sie bis zur Wiedervereinigung auf 15,4 Jahre und liegt heute bei 19,9 Jahren. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Bei steigender Lebenserwartung und konstantem Renteneintrittsalter sind im Umlageverfahren pro Jahr immer mehr Renten zu finanzieren.

Eine weitere Anpassung der Regelaltersgrenze über das Jahr 2031 hinaus ist also notwendig. Würde ab dem Jahr 2031 jedes Jahr die Regelaltersgrenze um zwei Monate nach hinten geschoben und diese ab dem Jahr 2052 (die Regelaltersgrenze wäre dann 70 Jahre) konstant bleiben, würde dies die Rentenversicherung nachhaltig stabilisieren.

Die Kombination der drei Reformen – eine höhere Regelaltersgrenze, der wiedereingesetzte Nachholfaktor sowie ein moderat angehobener Nachhaltigkeitsfaktor – würde dazu führen, dass der Beitragssatz bei stabilen 20,8 Prozent läge (siehe Grafik oben).

Eine weitere gute Nachricht: Trotz der deutlichen Verbesserungen für die Beitragszahler würden die Reformen das Rentenniveau kaum verändern. Werden alle drei Reformen umgesetzt, würde das Sicherungsniveau bis zum Jahr 2060 lediglich um 0,5 Prozentpunkte im Vergleich zur aktuellen Gesetzeslage sinken (siehe Grafik unten).

Grafik: „Sicherungsniveau vor Steuern, in Prozent“

Fazit

Alle drei Maßnahmen bremsen zusammen genommen die Beitragssatzentwicklung deutlich: Der ohne Reformen zu erwartende Anstieg um 5 Prozentpunkte bis zum Jahr 2060 ließe sich langfristig um 2,8 Prozentpunkte reduzieren, also mehr als halbieren. Gleichzeitig ließe sich auch das Sicherungsniveau auf annähernd dem Niveau stabilisieren, das sich langfristig ohne Reformen einstellen wird. Die bis zum Jahr 2030 gesetzlich definierten Haltelinien von maximal 22 Prozent Beitragssatz und mindestens 43 Prozent Sicherungsniveau würden sogar bis zum Jahr 2060 eingehalten.

Die Rente ist aktuell nicht sicher. Aber die Politik kann sie in wenigen Schritten sicher machen.

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