Öffentliche Investitionen: ein Priorisierungs-, kein Schuldenproblem

Die Schuldenbremse verhindert Investitionen nicht. Ein Blick auf das Jahrzehnt zwischen Finanz- und Coronakrise zeigt, dass es im Bundeshaushalt stets Spielräume für deutlich höhere Investitionen gegeben hätte, der politische Wille aber fehlte. Auch beim Blick in die Zukunft spricht wenig für eine Abschaffung oder Fundamentalreform.

Die Ratio der Schuldenbremse  

Die Schuldenbremse adressiert ein ernstzunehmendes polit-ökonomisches Problem, nämlich einen deficit bias in der Finanzpolitik. Aus verschiedenen Gründen neigt die Politik häufig dazu, zusätzliche Ausgaben nicht über höhere Steuern zu finanzieren. Und auch Priorisierungen, also Kürzungen konkurrierender Ausgabenposten, sind wenig beliebt. Schuldenfinanzierung ist dann eine willkommene Option, um politische Widerstände zu umgehen.

Auch in Deutschland war dies lange Zeit der Fall. Eine im Trend ansteigende Schuldenstandsquote (bezogen auf das BIP) war seit den 1970er-Jahre zu beobachten. Dies führte auch zu Problemen: Der Anteil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben des Bundes erreichte in der Spitze einen Wert über 16%; ein erheblicher Teil der Ausgaben des Bundes wurde also unproduktiv zu den Inhabern von Staatsanleihen umverteilt.

Erst nach der Finanzkrise ergab sich in den 2010er-Jahren so etwas eine Trendumkehr, die möglicherweise bereits durch die zuvor beschlossene, aber noch nicht in Kraft getretene Schuldenbremse und die damit nötigen Anpassungen motiviert war. Zugleich war dieses Jahrzehnt gekennzeichnet durch ein bis zum Eintritt der Corona-Krise stetiges und nahrhaftes Ansteigen der Steuereinnahmen. Dieses erleichterte die damalige finanzpolitische Konsolidierung wesentlich.

Die Zeit zwischen 2011 und 2019

Bemerkenswert ist dabei, dass es in dieser Zeit einen eigentlichen Sparhaushalt mit sinkenden nominalen Ausgaben des Bundes nur im Jahr 2014 gab, in dem die Bundesausgaben um 12,7 Mrd. Euro bzw. um 4% zum Vorjahr sanken. Im Jahr 2015 verbesserte sich der Finanzierungssaldo zwar nochmals stark, dies war jedoch bereits den schnell steigenden Einnahmen zu verdanken. In den Folgejahren war der Finanzierungssaldo zwar bis zur Corona-Krise positiv, dies war aber bei gleichzeitig steigenden Ausgaben möglich. Der Weg zur „schwarzen Null“ war kurz und bestand im Wesentlichen in einer schnellen Verbesserung des Finanzierungssaldos im Jahr 2014.

Geschah dies zulasten der Investitionsausgaben des Bundes? Tatsächlich sanken 2014 die Investitionen zum Vorjahr, allerdings nur um 1,6 Mrd. Euro. Anschließend stiegen sie kontinuierlich weiter, die Investitionsausgabenquote des Bundes stieg von 6,7% im Jahr 2012 auf 7,4% im Jahr 2019. Eine Sanierung des Bundeshaushaltes zulasten der Investitionen ist nicht erkennbar.

Auch beim Gewicht der einzelnen Ressorts im Bundeshaushalt lassen sich zwischen 2011 und 2019 keine dramatischen Verschiebungen beobachten. Der Anteil des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales am Bundeshaushalt sank sogar leicht von 42,4% auf 40,1%. Gewinner waren dagegen vor allem das Auswärtige Amt, das Bundesinnenministerium sowie die Entwicklungshilfe. Der Anteil des Bundesverkehrsministeriums war 2019 fast so hoch wie 2011, obwohl das Ministerium zwischenzeitlich die Zuständigkeit für den Bau abgegeben hatte.

Dies ist also die eine Seite der Medaille: Entgegen dem populären Vorurteil gab es im kurzen Jahrzehnt zwischen Finanz- und Coronakrise keine Verschiebung im Bundeshaushalt zulasten von Investitionen. Dennoch kann man natürlich diskutieren, ob der Bund in diesem Zeitraum noch mehr hätte investieren sollen. Und vor allem: Ob er dies nur mit höheren Schulden hätte erreichen können.

Wären höhere Investitionen möglich gewesen? 

Wir beschränken uns hier auf die zweite Frage. Zunächst spricht nichts dafür, dass der Staat dauerhaft Finanzierungsüberschüsse erwirtschaften muss. Im Gegenteil kann man argumentieren, dass Überschüsse ein Indiz dafür sind, dass der Staat entweder zu hohe Steuern erhebt oder zu wenig ausgibt. Hätte der Bund eine „schwarze Null“ im engeren Sinne angestrebt und die Überschüsse zwischen 2015 und 2019 stattdessen investiert, so wären insgesamt 47,2 Mrd. Euro zusätzlicher Investitionen möglich gewesen. Natürlich kann man argumentieren, dass dies über die längere Frist zu einer sehr pro-zyklischen Investitionspolitik führen würde. Aber denkbar wäre es auch, solche Überschüsse in einen zweckgebundenen Investitionsfonds zu transferieren, der im Abschwung zusätzliche Investitionsausgaben finanziert.

„Hätte man die zusätzlichen Haushaltsspielräume […] nicht mit der Gießkanne auf alle Ressorts verteilt, […] hätten die Gesamtinvestitionen in diesem Zeitraum um insgesamt 62% höher liegen können.“

Noch größeres Potential hätte bestanden, wenn die Zufallsgewinne, die der Bund durch sinkende Zinsen realisieren konnte, für Investitionsausgaben genutzt worden wären. Die Zinsausgaben des Bundes sanken von 34,9 Mrd. Euro im Jahr 2011 auf 11,9 Mrd. Euro im Jahr 2019. Hätte man die zusätzlichen Haushaltsspielräume, die sich durch die Zinsersparnisse ergaben, nicht mit der Gießkanne auf alle Ressorts verteilt, sondern auf investive Ausgaben fokussiert, dann hätten die Gesamtinvestitionen in diesem Zeitraum um insgesamt 62% höher liegen können.

Auch dies ist natürlich nur ein Gedankenexperiment, das zu einer hypothetischen Obergrenze führt. Es spricht aber unter dem Strich nicht nur nichts dafür, dass die Schuldenbremse einen Rückgang der Investitionen des Bundes verursacht hat. Darüber hinaus konnte auch gezeigt werden, dass bei einer entsprechenden Priorisierung (also bei entsprechendem politischem Willen) Spielräume für eine deutliche Steigerung der Investitionsausgaben vorhanden gewesen wären.

Der Blick nach vorne 

Und wie sieht es für die Zukunft aus? Unter den aktuell zirkulierenden Vorschlägen für eine Reform der Schuldenbremse sind wenige, die relativ unproblematisch sind. Dazu gehört beispielsweise die Änderung des Verfahrens zur Konjunkturbereinigung. Weitergehende Vorschläge, wie die Freistellung von Investitionen in der Schuldenbremse, sind dagegen politisch kaum durchsetzbar und ökonomisch mit verschiedenen Problemen behaftet. Die kleinen, unproblematischen Reformen würden wiederum zu allenfalls geringen zusätzlichen Einnahmen führen.

Es spricht zur Verbesserung der Investitionsausgaben einiges für eine zweigeteilte Strategie. Erstens die Priorisierung dieser Ausgaben – auch wenn es der Politik erkennbar schwerfällt, auf zusätzliche Sozialausgaben und öffentlichen Konsum sowie Subventionen zu verzichten. Zweitens die Verbesserung der Staatseinnahmen. Der Königsweg würde begangen, wenn dies ohne Erhöhung von Steuersätzen gelänge. Die Zeit zwischen Finanz- und Coronakrise zeigt, wie solides Wirtschaftswachstum auch zusätzliche staatliche Ausgabenspielräume eröffnet. Diese müssten dann aber auch für Investitionen genutzt werden, sofern man diese wirklich für wichtig hält.

Die Potentiale zur Mobilisierung von Wachstumspotential ohne staatliche Ausgabensteigerungen sind in Deutschland noch hoch. Entbürokratisierung und Deregulierung, Entlastung der Unternehmen und Selbständigen von Bürokratielasten, vereinfachte Marktzutritte für neue Unternehmen – all dies ist kostenneutral oder spart sogar staatlichen Aufwand ein und kann gleichzeitig der Beginn einer Positivspirale sein, in der Wachstum die weiteren Investitionsspielräume des Staates vergrößert und dies wiederum das Wachstum stützt.

Richtig verstanden setzt die Schuldenbremse einen starken Anreiz, einen solchen effizienten Weg zu gehen. Von grundlegenden Reformen oder sogar einer Abschaffung sollte daher Abstand genommen werden.

Autor:

Prof. Dr. Jan Schnellenbach ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insb. Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU Cottbus).

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