Strompreise verringern statt erhöhen!

Anstatt die Strompreise für Unternehmen durch die Streichung des Spitzenausgleichs zu erhöhen, sollten sie vielmehr gesenkt werden. Die Reduktion der Stromsteuer auf das EU-weite Minimum würde im Gegensatz zu den temporären und sehr teuren Entlastungsmaßnahmen in Form der Energiepreisbremsen dauerhaft helfen und die Wettbewerbsnachteile der Unternehmen in Deutschland mindern.

Jüngst kam es zu einem wahren Aufschrei aller namhaften Industrieverbände: Die Spitzenausgleich genannten Vergünstigungen bei der Stromsteuer für energieintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes sollen zwecks Konsolidierung des Staatshaushaltes ab dem Jahr 2024 nicht mehr gewährt werden. Bislang erhalten energieintensive Unternehmen dieses Sektors bei Erfüllung gewisser Voraussetzungen, etwa dem Vorhandensein von zertifizierten Energiemanagementsystemen in den Betrieben, durch den Spitzenausgleich einen Großteil der von ihnen entrichteten Stromsteuer zurück. In Summe beliefen sich die dem Staat dadurch entgangenen Steuereinnahmen auf 1,5 bis 2 Mrd. Euro pro Jahr.

Diese Vergünstigungen werden von Kritikern als umweltschädliches Steuergeschenk an die Industrie bemängelt. Aus Branchen-Perspektive ist dagegen die künftig höhere Kostenbelastung durch die Stromsteuer ein weiterer Nachteil für den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb. Dies hat auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) als Nachteil erkannt. Daher hat das BMWK ein Arbeitspapier zu einem für eine Übergangsfrist von einigen Jahren gedeckelten, und deshalb wohl Brückenstrompreis genannten, Industriestrompreis von 6 Cent pro Kilowattstunde (kWh) für einen klar definierten Empfängerkreis vorgelegt. Solche Unternehmen sollen bei Börsenstrompreisen über 6 Cent je kWh die Differenz zum Brückenstrompreis erstattet bekommen – zumindest für 80 % des historischen Verbrauchs, um Anreize für Effizienzverbesserungen zu erhalten. Den Spitzenausgleich zu streichen steht somit in diametralem Gegensatz zu dem Vorschlag des BMWK, mit einem Brückenstrompreis die Stromkostenbelastung von stromintensiven Industrieunternehmen verringern zu wollen.

  • Quelle: Durchschnittlicher Strompreis für Nicht-Haushalte im 2. Halbjahr 2022 (Statistisches Bundesamt Deutschland) und Durchschnittlicher Strompreis in Deutschland für Haushalte im 2. Halbjahr 2022 (Statistisches Bundesamt Deutschland).

Dieser Gegensatz lässt sich leicht auflösen: Anstatt die Strompreise für Unternehmen durch die Streichung des Spitzenausgleichs zu erhöhen, sollten sie vielmehr gesenkt werden, durch die Senkung der Stromsteuer von aktuell 2,05 Cent je kWh auf das von der EU-Gesetzgebung festgelegte Minimum. Dieses beträgt für private Haushalte 0,1 Cent je kWh, für Unternehmen 0,05 Cent je kWh. Der Spitzenausgleich würde dann obsolet, zugleich sinkt der Strompreis für alle Verbraucher, auch für die stromintensiven Unternehmen. Die Reduktion der Stromsteuer auf das EU-weite Minimum würde im Gegensatz zu den temporären und sehr teuren Entlastungsmaßnahmen in Form der Energiepreisbremsen dauerhaft helfen, die Nachteile der Unternehmen in Deutschland im internationalen Wettbewerb zu mindern. Auch die Belastungen der privaten Haushalte, die in Deutschland seit geraumer Zeit unter den höchsten Strompreisen in der Europäischen Union zu leiden haben, würde dies lindern.

Ein wesentlicher Einwand gegen eine Senkung der Stromsteuer, der auch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erhoben wurde, ist, dass deren Einnahmen seit ihrer Einführung am 1. April 1999 zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet würden. Daher könne auf diese Einnahmen von aktuell rund 7 Milliarden Euro pro Jahr nicht verzichtet werden. Diesem Einwand muss entgegengehalten werden, dass zur Gegenfinanzierung der Stromsteuersenkung im Prinzip ausreichende Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds zur Verfügung stünden, wenn damit nicht allerlei fragwürdige Maßnahmen finanziert würden, allen voran die übermäßige Förderung teurer Wärmepumpen. Zudem ist zu erwarten, dass das Volumen dieses staatlichen Sondervermögens zur Finanzierung der Energiewende ansteigt, denn es speist sich unter anderem aus den Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten des EU-Emissionshandels und der nationalen CO2-Bepreisung fossiler Brenn- und Kraftstoffe. Mit der gesetzlich festgelegten steigenden CO2-Bepreisung werden auch die finanziellen Zuflüsse zu diesen Fonds weiter ansteigen.

Reduktion der Stromsteuer seit Jahrzehnten überfällig

Die Senkung der Stromsteuer auf das EU-weite Minimum ist höchst überfällig, denn seit Einführung des EU-Emissionshandelssystems im Jahr 2005 ist die Stromsteuer weitgehend redundant. Schließlich haben beide Instrumente, Stromsteuer und Emissionshandel, dasselbe Ziel: den Klimaschutz. Im Ergebnis kommt es zu einer Doppelbelastung der privaten und industriellen Verbraucher durch den EU-Emissionshandel und die Stromsteuer, die im Sinne der Verbraucher überdacht werden sollte.

Mindestens zwei weitere Gründe sprechen für eine Senkung der Stromsteuer.

Erstens: Eine Stromsteuersenkung verursacht keinerlei zusätzliche Transaktionskosten – im Gegensatz zu den Energiepreisbremsen, die deshalb mit hohen Transaktionskosten verbunden sind, weil sämtliche Energieversorger unter hohem Aufwand die Summen berechnen müssen, die über die Energiepreisbremsen hinausgehen und durch den Staat zu ersetzen sind. Der Staat wiederum hat Heerscharen von Beamten zu beschäftigen, die die Rückerstattungsbeträge prüfen und überweisen müssen. Die Stromsteuersenkung würde hingegen in unbürokratischer Weise helfen, und zwar allen Stromverbrauchern, nicht zuletzt auch den Unternehmen aus dem Sektor Handel, Gewerbe und Dienstleistungen. Diese sind nie in den Genuss des Spitzenausgleichs gekommen, und leider sind nun viele davon wegen der hohen Energiepreise in Existenznöten.

Zweitens kann dadurch die sogenannte Sektorkopplung unterstützt werden, bei der zur Reduktion der Treibhausgasemissionen von Sektoren wie dem Verkehr und dem Gebäudebereich vermehrt grüner Strom eingesetzt werden soll. Sowohl der Einbau von Wärmepumpen als auch die Anschaffung von Elektromobilen würden umso attraktiver, je niedriger das Strompreisniveau ist.

Sollen die Wärme- und Verkehrswende an Fahrt aufnehmen, führt an einer substanziellen Verringerung des Strompreisniveaus kein Weg vorbei. Senkt man nicht nur die Stromsteuer, sondern schafft nach der bereits beseitigten EEG-Umlage weitere Abgaben auf den Strompreis ab, angefangen von der KWKG-Umlage zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, so wird neben der Streichung des Spitzenausgleichs auch die Einführung eines Brückenstrompreises überflüssig, besonders dann, wenn sich durch eine Ausweitung des Stromangebots auch die Erzeugungspreise für Strom verringern würden.

Weitere Abgaben auf Strom senken und das Stromangebot erhöhen

Die Streichung der Abgaben auf Strom, die ebenfalls durch den Klima- und Transformationsfonds gegenfinanziert werden könnte, würde einen Fehler im System beseitigen: Aus ökonomischer und verteilungspolitischer Sicht sollten nicht die Stromverbraucher – und damit im hohen Maße auch einkommensschwache Haushalte – für die Förderung von Maßnahmen wie der Kraft-Wärme-Kopplung oder dem Aufbau der Netze zum Anschluss von Windparks in Nord- und Ostsee aufkommen, sondern die Steuerzahler. Dadurch würden stärkere Schultern stärker belastet und eine sozial ausgewogene Verteilung der Kosten wäre gewährleistet.

Daneben sollte man die hohen Strompreise auch dadurch bekämpfen, dass das Angebot am Strommarkt ausgebaut wird, anstatt es noch weiter zu reduzieren. Daher wäre es hilfreich, den ordnungsrechtlichen Kohleausstieg in Deutschland nicht auf das Jahr 2030 vorzuziehen. Dass das Stromangebot durch den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien erhöht wird, ist ebenfalls zu begrüßen. Dennoch wird dieser auf absehbare Zeit allein nicht ausreichen, um die Stromversorgung zu sichern. Das hat die Bundesregierung klar erkannt und im Koalitionsvertrag auf Erdgaskraftwerke als Brückentechnologie gesetzt. Diese Brücke käme aktuell sehr teuer und erscheint bis zum Jahr 2030 kaum realisierbar.

Die Politik sollte daher unvoreingenommen eine technologieoffene Innovationsoffensive starten, die allen Technologien zur Erzeugung und Speicherung von Strom eine Chance gibt. Tabus, wie etwa das Verbot des Einfangens und unterirdischen Speicherns von Kohlendioxidemissionen aus fossilen Kraftwerken (Carbon Capture and Storage), sollten wir uns künftig nicht mehr leisten. Zudem müssen Investoren neuer Solar- und Windparks künftig dazu verpflichtet werden, gleichzeitig in Speichertechnologien zu investieren, um an sonnen- und windreichen Tagen, an denen das Stromangebot die Nachfrage übersteigt, überschüssigen grünen Strom für angebotsarme Zeiten speichern zu können. Die bisherige Regelung, an Tagen mit drohenden Stromüberschüssen die Erneuerbaren-Anlagen gegen Entschädigungszahlungen abzuschalten, wird zunehmend teurer und sollte schleunigst abgeschafft werden, denn diese Entschädigungszahlungen erhöhen die Stromrechnung der Verbraucher zusätzlich.

Nicht zuletzt muss auch der grenzüberschreitende Netzausbau forciert werden, damit in Zeiten knappen Stromangebots, vor allem an windschwachen Tagen im Winter, mehr Strom aus dem Ausland importiert werden kann, um Strompreisexplosionen zu verhindern. Durch alle diese Maßnahmen würde das Übel der hohen Strompreise in Deutschland an der Wurzel gepackt werden. Mit der Einführung eines Brückenstrompreises würde hingegen nur an den Symptomen herumgedoktert werden.

Autor:

Prof. Dr. Manuel Frondel ist außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI.

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