Ist die Steuerlast gesunken oder gestiegen?

Zwei Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hat eine Studie falsch gerechnet? Nein. Es wurde Unterschiedliches betrachtet. Eine Vertiefung.

Die Antwort auf die Frage, wie gerechte Steuern aussehen, bleibt eine Sache der persönlichen Wertung. Ob die Steuern allerdings heute höher sind als in früheren Jahren, ist eine Frage von Fakten.

Allerdings ist die Antwort vielschichtig. Eine kürzlich veröffentlichte ifo-Studie trifft die Aussage, dass die Belastung mit Steuern und Sozialabgaben seit 1986 kontinuierlich gesunken sei. Eine IW-Studie dagegen kam vor einigen Monaten zu dem Ergebnis, dass die Belastung mit Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Jahr 2019 höher war als 1998. Scheinbare Widersprüche lassen sich durch die Berücksichtigung von Unterschieden bei Modellierung und Annahmen auflösen.

Die Aussage des ifo-Instituts basiert auf einer Analyse, die für Beispielhaushalte mit konstanten Realeinkommen zu verschiedenen Zeitpunkten seit 1986 die Steuer- und Abgabenlast des jeweiligen Jahres simuliert. Vor allem durch Senkungen bei der Einkommensteuer habe sich die Belastung der Bruttoeinkommen mit der Zeit immer weiter verringert, so das Ergebnis der Studie.

„Die Beschränkung auf Beispielhaushalte vernachlässigt Veränderungen der Einkommensverteilung.“

Das Vorgehen macht zwar anschaulich, wie sich Steuertarif und Sozialbeiträge über die Zeit verändert haben, sagt allerdings nichts aus über Veränderungen der effektiven Belastung entlang der Einkommensverteilung der Haushalte.

In einer IW-Studie zur Steuerlastverteilung wurde die zeitliche Entwicklung der Steuer- und Abgabenlast nicht nur für fiktionale Beispielfälle an bestimmten Einkommenspunkten, sondern für die tatsächlich beobachtete Einkommensverteilung berechnet. Hierbei kann die Steuerlast von Haushalten betrachtet werden, deren Einkommen über die Zeit immer an der gleichen relativen Position der bedarfsgewichteten Einkommensverteilung liegen – also für die Mitte zum Beispiel die Einkommen des 4., 5. und 6. Dezils.

Es zeigt sich für diese Haushalte, dass zwar die Steuerlast in den 2000er-Jahren bis zum Jahr 2010 kontinuierlich niedriger lag als im Jahr 1998 (dem Startpunkt der Analyse). Jedoch stieg anschließend die durchschnittliche Belastung wieder und lag im Jahr 2019 durchgehend höher als im Jahr 1998.

Dies lässt sich auch anhand der gesamtwirtschaftlichen Einkommensteuerquote nachvollziehen – also den Einkommensteuereinnahmen des Staates im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Diese lag in den 1990er-Jahren deutlich höher als in den Jahren danach. Erst ab etwa dem Jahr 2011 begann die Einkommensteuerquote wieder kontinuierlich zu steigen und erreichte im Jahr 2019 einen Höchstwert seit der Wiedervereinigung.

Die Beschränkung auf Beispielhaushalte vernachlässigt Veränderungen der Einkommensverteilung – also unterschiedliche Einkommensveränderungen der Haushalte und Veränderungen in der Erwerbssituation der Bevölkerung. Auch werden Veränderungen der steuerlichen Abzugsmöglichkeiten bei den unterschiedlichen Einkunftsarten vernachlässigt, da sich die Berechnungen auf Arbeitnehmerhaushalte konzentrieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt jedoch, der die Arbeitseinkommen betrifft und der ebenfalls ausgeblendet wird, ist die nachgelagerte Besteuerung. Seit 2005 wird ein stetig größer werdender Anteil der Renteneinkommen steuerpflichtig, während gleichzeitig die Abzugsfähigkeit der Rentenbeiträge zunimmt. Bei einer Rechnung für einen Beispielhaushalt mit sozialversicherungspflichtigem Einkommen wirkt dies wie eine Steuerentlastung. Tatsächlich wird aber das Renteneinkommen später höher belastet werden, sodass keine echte Steuerentlastung vorliegt – zumindest nicht in dem suggerierten Umfang.

Fazit

Die rot-grüne Steuerreform, die zwischen den Jahren 2000 und 2005 in Kraft trat, hat tatsächlich die Steuerlast durchgängig über die gesamte Einkommensverteilung hinweg gesenkt. Auch das Bürgerentlastungsgesetz aus dem Jahr 2010 brachte noch einmal eine Entlastung. Anschließend blieben jedoch strukturelle Anpassungen aus. Einzig Verschiebungen des Grundfreibetrags aufgrund von Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und die Korrektur der kalten Progression seit dem Jahr 2016 reduzierten automatische Steuererhöhungen durch die Inflation. Festzuhalten bleibt, dass die Einkommensteuerbelastung durch ausbleibende Reformen in den 2010er-Jahren für alle Einkommensgruppen schließlich so stark stieg, dass sie im Jahr 2019 sogar wieder höher lag als Ende der 1990er-Jahre.

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Autor:

Dr. Tobias Hentze und Dr. Martin Beznoska Dr. Tobias Hentze und Dr. Martin Beznoska sind Experten für Finanz- und Steuerpolitik beim Institut der deutschen Wirtschaft.

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