Prof. Papier: Der Soli hat seine Arbeit getan, der Soli kann gehen

Der Solidaritätszuschlags ist seit dem 1. Januar 2020 verfassungsrechtlich unzulässig. Das ist die Überzeugung des Staatsrechtswissenschaftlers und ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. Warum er das so sieht, hat er für die INSM hier aufgeschrieben.



Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier
Staatsrechtswissenschaftler. Von April 2002 bis zu seinem Ausscheiden 2010 war er Präsident des Bundesverfassungsgerichts.


Die Voraussetzung für die Erhebung des Solidaritätszuschlags ist entfallen. Seit dem Jahreswechsel und dem damit einhergehenden Ende des Solidarpakts II ist das Solidaritätszuschlagsgesetz (in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 2002 {BGBl I, 4130}) verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber war offensichtlich nicht willens, den in meinen Augen eindeutigen Verfassungsverstoß zu vermeiden. Damit läuft der Bund Gefahr, erhebliche Steuerrückzahlungen leisten zu müssen, ganz ähnlich, wie er es bereits bei der für verfassungswidrig erklärten Kernbrennstoffsteuer tun musste. Die politische Lernkurve ist leider nicht ausreichend steil, um den damit verbundenen Haushaltsrisiken rechtzeitig zu begegnen. Selten zuvor war so absehbar, dass und wann ein Gesetz seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung verliert, wie jetzt beim Solidaritätszuschlagsgesetz.

Der 1995 (wieder) eingeführte Solidaritätszuschlag wurde zur langfristigen und nachhaltigen Finanzierung der deutschen Einheit im Rahmen des sogenannten föderalen Konsolidierungsprogramms beschlossen. Er hatte zunächst, das heißt in der Zeit von 1995 bis 1997, wiederum 7,5 % der geschuldeten Einkommen- oder Körperschaftsteuer betragen. Seit 1998 beträgt der Zuschlagssatz 5,5 %. Speziell im Hinblick auf die Einführung des Solidaritätszuschlags 1995 heißt es in der amtlichen Begründung wörtlich:

„Zur Finanzierung der Vollendung der Einheit Deutschlands ist ein solidarisches finanzielles Opfer aller Bevölkerungsgruppen unausweichlich. Die Bundesregierung schlägt deshalb mit Wirkung ab 1. Januar 1995 einen – mittelfristig zu überprüfenden – Zuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer für alle Steuerpflichtigen vor. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit der richtige Lösungsweg. Der Zuschlag ohne Einkommensgrenzen belastet alle Steuerpflichtigen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit“ (Drucksache 12/4401 S.51).

Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG und somit eine Steuer des Bundes. Eine solche Ergänzungsabgabe muss durch besondere Gründe legitimiert sein, die über die allgemeinen Erhebungsgründe und Erhebungszwecke der Einkommen- und Körperschaftsteuer hinausgehen und die es sachgerecht und legitim erscheinen lassen, dass das Aufkommen dieser Abgabe entgegen den allgemeinen verfassungsrechtlichen Verteilungsregeln bei den Gemeinschaftsteuern (Art. 106 Abs. 3 S. 1 und 2, Abs. 5 GG) allein vom Bund vereinnahmt werden darf. Die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und zur Körperschaftsteuer muss also als ein subsidiäres Finanzierungsinstrument angesehen werden, ihr kommt mit anderen Worten von Verfassungs wegen ein Ausnahmecharakter zu. Ein solcher legitimierender Ausnahmegrund wird im Allgemeinen nur in einem zusätzlichen Mittelbedarf speziell des Bundes bestehen können, ansonsten wäre der Möglichkeit Tür und Tor geöffnet, dass das grundgesetzliche Verteilungssystem und der bundesstaatliche Finanzausgleich schlicht unterlaufen werden könnten. Dieser zusätzliche Finanzbedarf des Bundes wird auch ein außerordentlicher sein müssen, dessen Bestehen zwar nicht von vornherein zeitlich begrenzt, der aber doch als Ausnahmesituation und tendenziell als vorübergehend und nicht als dauerhaft zu qualifizieren sein muss. Eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer ist dazu bestimmt, „anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken“ (Amtliche Begründung BT-Drs. II/480, S. 72).

Der zusätzliche, außerordentliche Finanzbedarf zur „Vollendung der Einheit“ zeigte sich in Form der Solidarpakte I und II. Zwischen 1995 und 2004 flossen über den Solidarpakt I etwa 95 Milliarden Euro in den „Aufbau Ost“. Weitere 150 Milliarden Euro Volumen hatte der Solidarpakt II, der 2005 begann und Ende des vergangenen Jahres auslief. Da es keinen Solidarpakt III gibt, kann die finanzpolitische und finanzverfassungsrechtliche Sonderlage einer besonderen Aufbauhilfe zugunsten der Neuen Länder als beendet erachtet werden. Mit dem Jahreswechsel ist die „finanzverfassungsrechtliche Normallage“ (vgl. Kube 2018) eingetreten. Der ursprüngliche, außerordentliche Erhebungszweck ist weggefallen und somit kann auch kein zusätzlicher Finanzbedarf speziell des Bundes konstatiert werden. Eine weitere Erhebung des Solidaritätszuschlags ist verfassungsrechtlich unzulässig. Auch wenn man dem Gesetzgeber unzweifelhaft einen gewissen Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum in der Frage zubilligen muss, ob und in welchem Umfang der besondere Erhebungs- oder Finanzierungszweck einer vor Jahren eingeführten Ergänzungsabgabe noch fortbesteht, so dürfte doch ein solcher Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum überschritten sein, wenn der Wegfall des besonderen Erhebungszwecks offenkundig und durch ein objektiv bestehendes und feststellbares Ereignis, hier also das Auslaufen des Solidarpaktes II, belegbar ist.

Das rechtswissenschaftliches Gutachten zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Erhebung des Solidaritätszuschlags ab 2020 von Prof. Papier, findet man hier: https://www.fdpbt.de/sites/default/files/2019-05/Papier_Soli-Gutachten.pdf

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