Unterschiede zwischen Ost und West geringer als zwischen Stadt und Land
Knapp 30 Jahre nach dem Mauerfall unterscheiden sich Kaufkraft und die daraus abgeleitete Kaufkraftarmut in Ost und West kaum noch. Eine Studie im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gibt überraschende Einblicke und zeigt, dass die Unterschiede zwischen Stadt und Land größer sind.
Keyfacts der Studie:
- Unterschied der Kaufkraft zwischen Ost und West liegt pro Person bei 104 Euro im Monat.
- Differenz der Kaufkraft ist zwischen Stadt und Land größer als zwischen Ost und West: Der Stadt-Land-Unterschied liegt pro Person bei 121 Euro im Monat.
- Betrachtet man Armut auf Basis der unterschiedlichen Kaufkraft in Deutschland (sogenannte relative Kaufkraftarmut), zeigt sich, dass der Unterschied zwischen Ost und West knapp einen Prozentpunkt beträgt.
- Neueste Daten zeigen, dass sich – auch ohne Berücksichtigung regionaler Kaufkraftunterschiede – Ost und West weiter annähern.
Christoph Schröder, Einkommensforscher am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit Sitz in Köln, hat im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) untersucht, wie es um die regionale Kaufkraft und Armutsgefährdung in Deutschland bestellt ist. Im Folgenden lesen Sie die zentralen Ergebnisse der Vorabveröffentlichung des Kapitels „Regionale Einkommens- und Kaufkraftarmut“ aus der Studie „Teilhabemonitor 2019“. (Eine ausführliche Darstellung der Vorabveröffentlichung lesen Sie auf unserem Blog.)
Erstens: Menschen in Ost- und Westdeutschland liegen bei der Kaufkraft (gibt an, welche Gütermenge mit dem Einkommen gekauft werden kann) überraschend nah beieinander. Westdeutsche haben eine Kaufkraft von 1.642 Euro und Ostdeutsche von 1.538 Euro. Die Kaufkraft unterscheidet sich somit zwischen Ost und West um 104 Euro und damit weniger als die Kaufkraft von Stadtbewohnern (1.533 Euro) und Landbewohnern (1.654 Euro), die 121 Euro auseinanderliegen.
Zweitens: Auch bei der Armutsgefährdung kommen sich Ost und West näher. Die sogenannte relative Kaufkraftarmut beträgt nur knapp einen Prozentpunkt. Während im Westen 15,5 Prozent der Bevölkerung als relativ kaufkraftarm gelten, sind es im Osten mit Berlin 16,4 Prozent (2016). Als relativ kaufkraftarm werden Personen eingestuft, die über weniger als 60 Prozent des um regionale Preisunterschiede bereinigte Medianeinkommens verfügen. (Erklärung: Das Medianeinkommen ist genau jenes Einkommen, das von einer Hälfte der Bevölkerung unterschritten und von der anderen überschritten wird.)
Warum ist die Berücksichtigung der Kaufkraft von Bedeutung? Betrachtet man Armut, ist es wichtig zu sehen, dass die Preise regional sehr unterschiedlich sind. „Die Berücksichtigung der Preise macht einen großen Unterschied aus“, sagte Studienleiter Schröder. „Wir sehen, dass sich die Unterschiede zwischen Ost und West stark einebnen.“
Stadt-Land-Kluft statt Ost-West-Schere
Drittens: Selbst wenn man die regionalen Kaufkraftunterschiede außen vor lässt und lediglich die relative Einkommensarmut (weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens, also ohne Preisbereinigung) betrachtet, zeigt sich Erstaunliches: Zwar ist der Ost-West-Unterschied deutlich festzustellen, nämlich 18,4 Prozent Einkommensarmut im Osten gegenüber 15,0 Prozent im Westen. Aber es sticht hervor, dass beispielsweise Brandenburg mit einer Quote von 15,7 Prozent genau auf dem deutschen Durchschnittsniveau liegt. Brandenburg steht damit besser da als Niedersachsen, Saarland und Nordrhein-Westfalen (NRW). Auch Sachsen und Thüringen schneiden etwas besser ab als NRW.
Unter den Flächenländern am häufigsten betroffen von relativer Armutsgefährdung sind Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern mit Quoten von über 20 Prozent.
Schlusslicht ist Bremen. Hier spielt noch die Besonderheit eine Rolle, dass etwa wegen der in der Regel höheren Kosten die Menschen in den Städten eher von relativer Einkommensarmut betroffen sind als auf dem Land (Stadt: 18,8 Prozent, Land: 14,8 Prozent).
Positive Entwicklung setzt sich fort
Viertens: Neueste Daten aus dem Mikrozensus zeigen, dass sich der Osten nicht nur bei der Kaufkraftarmut, sondern auch bei der Einkommensarmut verbessert. Der Ost-West-Unterschied hat sich demnach bei der Einkommensarmut von 3,4 Prozentpunkten im Jahr 2016 auf 2,5 Prozentpunkte im Jahr 2017 weiter verringert (Statistisches Bundesamt, 2019). Da sich gleichzeitig die Lebenshaltungskosten zwischen Ost und West nicht weiter angenähert haben, ist davon auszugehen, dass sich auch der verbleibende Ost-West-Unterschied bei der Armutsgefährdung weiter geschlossen hat und es bei der Quote keine nennenswerten Unterschiede mehr zwischen Ost und West gibt.
Eine ausführliche Darstellung der Vorabveröffentlichung vom Studienautor selbst finden Sie auf unserem Blog.