Der Traum vom Bierdeckel: Warum eine Steuervereinfachung eine Form der Steuerentlastung wäre
Bürokratendeutsch und komplizierte AGBs? Steuererklärungen, die nur der Steuerberater versteht (und deshalb gut verdient)? Ein Plädoyer für eine leichtere Sprache und Gesetze, die das Leben der Menschen vereinfachen, weil sie helfen, den Überblick zu behalten.
Dank anstehender Bundestagswahl werden Steuersenkungen wieder rege diskutiert. Der Fokus liegt dabei auf dem lieben Geld – ziemlich viel sogar. Doch selten ist die Rede von Zeit und unserer mentalen Kapazität. Dabei ist angeblich doch Geld nicht alles und Zeit kostbar. Warum also redet kaum jemand davon, uns Bürger nicht nur steuerlich zu entlasten, sondern auch zeitlich und mental?
Besteuerung kostet nicht nur Geld, sondern auch Nerven in Form von Steuererklärungen, dem Denken daran und dem Nachreichen von etwaigen Belegen. Muss das alles wirklich so kompliziert sein, dass nur durchsteigt, wer das Ganze hauptberuflich betreibt? Warum stecken wir nicht eine Milliarde der geplanten Steuersenkungen stattdessen in die Vereinfachung des Steuersystems und die Vereinfachung und Automatisierung der Steuerzahlungen und -rückzahlungen? Stellen Sie sich einmal vor, man würde allen volljährigen Bundesbürgern einen Tag Sorge und Beschäftigung mit der Steuererklärung durch diese Vereinfachung ersparen – oder aber die Kosten für den Steuerberater!
Das Gleiche gilt für jegliche Kommunikation mit Behörden und Ämtern, Antragstellungen, die Vereins- und Unternehmensgründung. Formulare und Schreiben sollten möglichst so einfach und effektiv gestaltet sein, dass man beim ersten Blick das Wesentliche sofort erschließen kann. Kein Unternehmen würde seine Produkte verkaufen, wenn es einem eine zehn-seitige Broschüre mit Kleingedrucktem schickt.
Beispiele aus der Forschung zur Kraft der Einfachheit gibt es zuhauf: Eine übersichtliche Tabelle mit wenigen Optionen erhöht die Annahme eines Kreditangebots zum Beispiel so sehr wie die Reduzierung des monatlichen Zinssatzes um 2,3 Prozentpunkte (Bertrand et al., 2010). Klären Universitäten Studenten über die Vorteile von Impfungen auf, steigt die Impfrate erheblich an, wenn die Studenten neben der Aufklärung direkt eine Karte vom Campus bekommen mit der Information, wo und wann sie sich impfen lassen können. Bhargava und Manoli (2015) haben für die USA gezeigt, dass ein einfaches Anschreiben mit klarer Auflistung von Vor- und Nachteilen im Vergleich zu den sonst üblichen komplexen Anschreiben die Inanspruchnahme möglicher Steuererleichterungen für Geringverdiener verdoppelt. Wenn Bürgern Sparförderungen direkt angeboten werden, die sie unter einem bestimmten Einkommen erhalten könnten, dann nehmen sie diese Förderung weitaus häufiger wahr als in der verwirrenden Realität mit all ihren Regelungen (Choi, Laibson und Madrian, 2006). Wem kann man es verübeln, nicht durch all diese Regularien durchzusteigen? Als Gesellschaft sollten wir uns dringend fragen, warum viele Aspekte unseres Alltags und unserer Kommunikation mit dem Staat so kompliziert gestaltet sind. Für einiges sind wir selbst verantwortlich, einige Aspekte könnten mit der Hilfe des Staates jedoch deutlich einfacher gestaltet werden.
Warum zum Beispiel ist es so schwer, einen Termin in Bürgerämtern zu buchen, geschweige denn, dies online zu tun? Warum wird uns bei der Erneuerung des Personalausweises kein Organspendeausweis mitgegeben, den wir freiwillig ausfüllen können? Die Mehrheit ist bereit Organe, zu spenden, eine Minderheit jedoch hat nur einen Spendeausweis. Nicht überraschend, wenn man sich den Ausweis extra besorgen muss. Wie viele andere Aspekte der Bürgerteilhabe könnten wir digital verbessern, etwa online Vorschläge zur Bürokratievereinfachung oder zur Ausbesserung von Verkehrsstellen inklusive neuer Schlaglöcher einzuholen? Wie könnte man die Digitalisierung nutzen, um hier Zeit und Nerven von so vielen Bundesbürgern zu schonen!
Selbst da sollte der Staat nicht aufhören und könnte zusätzlich darauf setzen, mit sinnvoller Regulierung Transparenz und Einfachheit für den Bürger in anderen Bereichen zu stärken. Letztes Jahr zum Beispiel hat der Staat das Zahlungskontengesetz erlassen, das Banken unter anderem die Übertragung von Daueraufträgen und Lastschriftverfahren bei einem Kontowechsel vorschreibt. Dies soll dem Einzelnen den Kontowechsel erleichtern und dadurch den Wettbewerb und die Konditionen für den Endverbraucher verbessern. Für Abonnements von Zeitschriften und anderen Produkten könnte so etwa eine Maximaldauer festgelegt werden, nach deren Ablauf der Wille zur Verlängerung aktiv eingeholt werden muss, anstatt eine fehlende Kündigung als ewigen Fortschreibungsgrund zu betrachten.
Die Kombination von menschlicher Trägheit und oft unnötiger Komplexität mit der Undurchschaubarkeit vieler Produkte behindert bessere Entscheidungen und steht so den Vorteilen eines sinnvollen Wettbewerbs im Wege. Je größer und komplizierter die Auswahlmöglichkeiten, desto wichtiger wäre es, dass Nutzer ganz leicht am Jahresende eine Übersicht über Verbrauch, Kosten und Kostenquellen bekommen, die sie für einen Vergleich benutzen können, um die besten Produkte für sich selbst zu finden: zum Beispiel im Strommarkt, bei Kreditkarten und Verbraucherkrediten, der Kontoführung oder der Depotverwaltung. Diese Übersicht sollte für den Fall eines Depots beinhalten, wie viel Geld jeweils für Ausgabeaufschläge, die Fondsverwaltung, Transaktionsgebühren und andere Kostenpunkte bezahlt worden ist und wie hoch die wirklichen Renditen ausgefallen sind, wenn man diese Gebühren alle in Betracht zieht. Mit diesen Eckdaten ausgestattet könnten Sie dann auf Vergleichsportalen relativ leicht – ohne ewiges Googlen und Recherchieren – das für Sie günstigste Produkt auswählen.
In vielen Bereichen und Märkten krankt das System momentan an undurchsichtigen Kosten, die oft durch die Hintertür kommen und uns vorgaukeln, es gäbe etwas umsonst, uns aber am Ende als Einzelperson und Gesamtgesellschaft teurer zu stehen kommen als klare und transparente Kosten. Bei der Komplexität unseres heutigen Alltags mit Beruf, Familie, Finanz- und Gesundheitsangelegenheiten, Steuerverwaltung und noch viel mehr kann man nicht verlangen, dass der Einzelne überall durchsteigt. Der Staat sollte daher seine Verantwortung wahrnehmen und dort, wo es sinnvoll und möglich ist, das System vereinfachen, aber wenigstens nicht unnötig verkomplizieren. Das schenkt uns vielleicht nicht sofort Geld, aber Freiheit und Lebensfreude!
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Autor:
Maximilian Müller promoviert in Volkswirtschaftslehre an der University of California, Berkeley mit Schwerpunkten in Verhaltensökonomie, Entwicklungsökonomie und Wirtschaftsgeschichte.