Bildung
Fachkräfte fehlen bald auch in der Bildung

Bald droht massiver Lehrkräftemangel

Fachkräfte fehlen bald auch in der Bildung

Bald droht massiver Lehrkräftemangel

Deutschland steuert auf einen massiven Lehrkräftemangel zu. Während kurzfristig zwar keine Verrentungswelle bei den Lehrerinnen und Lehrern bevorsteht, wird sich die Lage schon in drei Jahren deutlich verschlechtern. Dann werden Prognosen von Bildungsexperten zufolge bereits 30.000 Vollzeitstellen für den Unterricht an Schulen fehlen. Das Problem wird dann immer größer: Bis zum Schuljahr 2035/36 klafft eine Lücke von 66.000.

12. Mai 2022

Studie Herunterladen (PDF)Zur Pressemitteilung

Eigentlich gute Nachrichten: Die Lehrkräfte sind jünger geworden und der Bestand steigt sogar.

Der Bestand an Lehrkräften hat sich in den vergangenen gut zehn Jahren verjüngt – außer in Ostdeutschland – und kann in den 2020er-Jahren auf jeden Fall gehalten und sogar noch leicht gesteigert werden, wie eine Studie des Bildungsexperten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Dr. Wido Geis-Thöne, im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zeigt.

-> Studie „Lehrkräftebedarf und -angebot: bis 2035 steigende Engpässe zu erwarten. Szenariorechnungen zum INSM-Bildungsmonitor“

So gibt es derzeit einen Gesamtbestand von 761.000 Lehrkräften, der bis zum Schuljahr 2035/36 leicht auf 770.000 Vollzeitstellen ansteigen wird. Dr. Wido Geis-Thöne: „Trotz dieser positiven Entwicklung beim Bestand dürfte es im nächsten Jahrzehnt zu zunehmenden Engpässen bei der Lehrkräfteversorgung kommen.“

Der IW-Bildungsexperte begründet das zu erwartende Problem mit den in den 2010er-Jahren stark gestiegenen Geburtenzahlen – in Zukunft wird es also mehr Schüler geben, was die Schulen schrittweise zu spüren bekommen werden. Auch werden wegen der Umstellung vom acht- zum neunjährigen Gymnasium in einigen Ländern und der damit verbundenen Ausfälle ganzer Jahrgänge weniger nachrückende Lehrkräfte prognostiziert. In seiner Studie stellt der Autor den berechneten Bestand an Lehrkräften unter Berücksichtigung der erwarteten Entwicklung dem prognostizierten Bedarf gegenüber und kommt so auf deutliche Lücken bei den Lehrkräften – bereits ab dem Schuljahr 2025/26 (siehe Grafik unten).

Dem Experten zufolge beträgt die Lücke an Lehrkräften, die sich bereits in drei Jahren auftut, 30.000 Vollzeitstellen. Im nächsten Jahrzehnt, also ab 2030, wird die Lücke mit 59.000 dann schon fast doppelt so groß sein. Noch einmal fünf Jahre später, also zum Schuljahr 2035/36 sind es dann 66.000 Vollzeitäquivalente, so die offizielle Formulierung, die fehlen. Obwohl das schon nach viel klingt, könnten die Zahlen tatsächlich auch noch größer ausfallen. Dr. Wido-Geis-Thöne: „Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass der Lehrkräftebedarf durch bildungspolitische Maßnahmen noch deutlich steigen kann.“

Dazu zählen etwa der gezielte Ausbau der Förderung leistungsschwächerer Schüler zur Schließung von Lücken infolge der Corona-Pandemie oder gesellschaftliche Entwicklungen wie eine verstärkte Tendenz zur Hochschulreife. Letzteres bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler länger in der Schule bleiben und damit mehr Lehrer an Oberschulen und Gymnasien gebraucht werden. Auch Zuwanderung, wie aktuell durch den Krieg in der Ukraine, kann für einen größeren Bedarf an Lehrkräften sorgen. In den vorgelegten Prognosen ist der Bedarf an Lehrkräften durch die aus der Ukraine geflüchteten Kinder im deutschen Bildungssystem noch nicht berücksichtigt.

Sollten die Lücken nicht geschlossen werden können, drohen mitunter massive Einbußen bei der Qualität der schulischen Bildung von Kinder und Jugendlichen, auch der Auszubildenden an den Berufsschulen. Besonders pikant ist, dass die offiziellen Prognosen der Kultusministerkonferenz, kurz KMK, die für die Bildungspolitik der Länder zuständig ist, nach Einschätzung des Experten vom IW deutlich zu positiv sind (siehe Grafik unten). Doch auf ihnen beruht die Einstellungs- und Ausbildungspolitik. Dr. Wido Geis-Thöne: „Dabei tendieren die von der KMK zusammengestellten Vorausberechnungen der Länder zu Lehrereinstellungsbedarf und -angebot dazu, ein deutlich zu positives Bild zu zeichnen. Hier wäre eine kritische Überprüfung der zugrunde liegenden Annahmen dringend geboten.“

Zwar rechnet auch die KMK in den nächsten Jahren mit einem Bedarf an Lehrkräften über dem Angebot. Doch die Zahlen sind deutlich geringer als die Berechnungen aus dem IW. Konkret für das Schuljahr 2035/36 heißt das: Die KMK rechnet bei den Lehrkräften mit einer Lücke von 21.000 Vollzeitstellen. Das wäre moderat verglichen mit der Prognose des IW. Denn da beläuft sich der Mangel auf 66.000 Stellen. Die Lücke wäre also tatsächlich gut drei Mal so groß. Berücksichtigt man, dass viele Lehrkräfte nur in Teilzeit arbeiten, ist die Lücke noch weitaus größer: Dann fehlen sogar 76.000 Lehrer zum Schuljahr 2035/36 – hier erwartet die KMK nur eine Lücke von 24.000 Lehrkräften. „Daher lässt sich an dieser Stelle feststellen, dass die Vorausberechnungen der KMK sehr wahrscheinlich deutlich zu optimistisch sind“, so Dr. Wido Geis-Thöne.

Damit besteht die Gefahr, dass die Politik zum einen deutlich zu wenige Maßnahmen ergreift und diese auch nicht rechtzeitig genug, um den drohenden Mangel an Lehrkräften entschieden anzugehen – weil sie das Problem als zu gering einschätzt.

Gut ausgebildete Fachkräfte mit Qualifikationen im MINT-Bereich, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, sind für eine gute Entwicklung in Deutschland von zentraler Bedeutung. Umso schlimmer ist, dass Deutschland seit Längerem unter einem Mangel an MINT-Lehrkräften leidet und hier bereits eine Art Mangelwirtschaft betreibt, die die Unterrichtsqualität stark belasten kann.

Beispiel NRW: Für das Bundesland Nordrhein-Westfalen liegen Prognosen für die allgemeinbildenden Schulen vor, die zeigen, dass bis zum Schuljahr 2030/31 nur 33,9 Prozent des bestehenden Einstellungsbedarfs in den MINT-Fächern durch Bewerber mit einer entsprechenden Fachausbildung gedeckt werden können. Am schlechtesten stellt sich die Lage in den Fächern Informatik und Technik dar, dann folgen Physik und Chemie.

Hinzu kommt, dass die Datenlage insgesamt so brüchig ist, dass die genaue Situation mit den verfügbaren Statistiken kaum sinnvoll gemessen werden kann. Eine positive Entwicklung des Lehrkräftebestands im MINT-Bereich ist jedoch keinesfalls zu erwarten, da die Zahl der Absolventen der einschlägigen Lehramtsstudiengänge in den vergangenen Jahren leicht rückläufig war. Das Problem ist zwar erkannt – so hat die KMK hierzu eigens einen Leitfaden entwickelt –, doch die Lösung steht aus.

Das Lehrpersonal an Deutschlands Schulen hat sich in den vergangenen gut zehn Jahren im Durchschnitt verjüngt – gegen den allgemeinen Trend am Arbeitsmarkt. Dies ist der Grund, warum kurzfristig keine größere Verrentungs- oder Pensionierungswelle bevorsteht – zumindest nicht in den westdeutschen Bundesländern und Berlin. Derzeit ist nur noch rund ein Viertel der Lehrkräfte 55 Jahre und älter – vor zehn Jahren war es noch jeder Dritte.

Allerdings stellt sich die Lage in Ostdeutschland ungünstiger dar. Dort sind noch immer große Teile der Lehrkräfte 55 Jahre und älter. Insbesondere Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern haben eine vergleichsweise alte Lehrkräftebasis. Hier sind also im besonderen Maße schon sehr bald massive Neueinstellungen nötig, um die altersbedingt ausscheidenden Lehrerinnen und Lehrer zu ersetzen.

So kann man die drohenden Lücken bei den Lehrkräften in Deutschland abwenden oder zumindest verkleinern:

1. Vorhandene Potenziale heben:

Die tatsächliche Arbeitszeit von Lehrkräften ausweiten, etwa durch höhere Untergrenzen für Teilzeit wie derzeit in Baden-Württemberg diskutiert. Dazu gehört auch: Lehrer über das Rentenalter hinaus auf freiwilliger Basis länger beschäftigen.

2. Attraktivität erhöhen:

Mehr junge Menschen für ein Lehramtsstudium gewinnen und ausreichend Studienplätze zur Verfügung stellen.

3. Mehr Lehrkräfte durch Seiten- oder Quereinstieg:

Qualifizierte Menschen mit einem anderen Studium über den Quereinstieg möglichst unbürokratisch in den Lehrberuf holen, bei Bedarf Nachqualifizierungen anbieten.

4. Multiprofessionelle Teams:

Entlastung der Lehrkräfte durch Einstellung multiprofessioneller Teams – für alle Tätigkeiten außerhalb des regulären Unterrichts, etwa Digitalisierung und IT an Schulen, pädagogische Arbeit oder Aktivitäten außerhalb des regulären Lehrplans.

5. Finanzielle Anreize:

In Mangelfächern, insbesondere im MINT-Bereich, durch finanzielle Anreize die Attraktivität einer Beschäftigung in der Schule erhöhen.