Ukrainische Flüchtlinge – Wir schaffen das noch einmal

Durch den brutalen russischen Angriffskrieg sind bereits mehr als vier Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, mehrere Hunderttausend davon nach Deutschland. Entgegen vielen Behauptungen müssen Geflüchtete keineswegs eine volkswirtschaftliche Belastung sein, sondern können auch für das aufnehmende Land zu einer Chance werden, wenn man die richtigen integrationspolitischen Weichen stellt. – Ein Studienüberblick.

Nach Deutschland sind bisher rund 300.000 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, geflohen. Schaut man sich die Zerstörung von Städten wie Mariupol, Kiew oder Charkiw an, so scheint eine baldige Erholung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in der Ukraine in weite Ferne zu rücken. Es könnte also sein, dass viele Menschen längerfristig in Deutschland bleiben wollen.

Die EU hat auf die Flüchtlingsströme entschlossen reagiert, indem sie von der Massenzustrom-Richtlinie Gebrauch gemacht hat, welche in Reaktion auf die vielen Vertriebenen der Jugoslawienkriege verfasst wurde. Durch die Anwendung der Richtlinie wird den Flüchtlingen ein temporärer Schutzstatus verliehen, ohne dass sie einen Asylantrag stellen müssen. Durch die Verleihung des vorübergehenden Schutzstatus haben Flüchtlinge direkten Zugang zum Bildungs- und Arbeitsmarkt und Anspruch auf Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz. Der Schutzstatus läuft nach einem Jahr ab, kann aber mit einem Mehrheitsbeschluss des Europäischen Rats auf maximal drei Jahre verlängert werden. Wie viele Ukrainer sich nach Ablauf des temporären Schutzstatus dazu entscheiden, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen, ist ungewiss und hängt wesentlich vom weiteren Kriegsgeschehen in der Ukraine ab.

Sind Flüchtlinge eine Belastung für die Aufnahmeländer?

Es ist offensichtlich, dass die Aufnahme von Flüchtlingen öffentliche Gelder erfordert und somit eine kurzfristige fiskalische Belastung darstellt. Eine Vielzahl von Studien ist sich jedoch einig in der Einschätzung, dass die fiskalische Bilanz von Flüchtlingen bereits nach wenigen Jahren positiv wird. Die Ökonomen d’Albis, Boubtane und Coulibaly (2018) haben mit Daten von 15 westeuropäischen Ländern von 1985 bis 2015 nachgewiesen, dass Geflüchtete bereits nach wenigen Jahren eine positive fiskalische Bilanz aufweisen, sofern sie schnell Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Auch in Bezug auf Beschäftigungszahlen und Löhne haben Flüchtlinge nur einen kaum messbaren bis gar keinen Effekt, was in einer Vielzahl von Studien nachgewiesen wurde (eine schöne Übersicht findet sich bei Clemens und Hunt (2019)). Flüchtlinge bieten nämlich nicht nur ihre Arbeit auf dem Arbeitsmarkt an, sondern sie fragen auch Güter und Dienstleistungen im ungefähr gleichen Verhältnis nach, was wiederum Arbeitsplätze schafft. Eine Gefahr des Lohndumpings oder einer massenhaften Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme Flüchtlingen lässt sich nicht durch Studien belegen.  

Eine Besonderheit der ukrainischen Flüchtlinge ist, dass deren Qualifikationsniveau außergewöhnlich hoch ist. Nach Einschätzungen des Vorstandsvorsitzenden für die Bundesagentur für Arbeit Detlef Scheele verfügt jeder zweite erwachsene ukrainische Flüchtling über eine akademische Ausbildung. Die hohe akademische Qualifikation dürfte die positiven fiskalischen Effekte deutlich verstärken. Auf Basis der gegebenen Information scheint es somit unwahrscheinlich, dass die ukrainischen Flüchtlinge eine signifikante Belastung für den Arbeitsmarkt und die Staatsbilanzen darstellen.

Integration über und in den Arbeitsmarkt

Der wichtigste Parameter bei der Flüchtlingsintegration ist die schnelle Integration in den Arbeitsmarkt. Mit der Anwendung der Massenzustrom-Richtlinie wurden wichtige Lehren aus der Flüchtlingskrise von 2015 gezogen. Dort verhinderten langwierige Asylantragsverfahren und temporäre Beschäftigungsverbote eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt. Diese Beschäftigungsverbote hatten massive makro- und mikroökonomische Effekte. Eine Studie beziffert die volkswirtschaftlichen Kosten des Beschäftigungsverbots für Flüchtlinge in Europa während der europäischen Flüchtlingskrise 2015 mit rund 37,6 Milliarden Euro (Fasani, Frattini und Mingale, 2021). Auch für die Flüchtlinge selbst haben Beschäftigungsverbote langfristige Auswirkungen. Selbst fünf Jahre nach der Ankunft ist die Erwerbsquote von Flüchtlingen, welche sieben oder mehr Monate auf ihre Arbeitserlaubnis warten mussten, durchschnittlich um 20 Prozentpunkte geringer als bei Flüchtlingen, die direkt eine Arbeitserlaubnis erhalten haben (Marbach, Hainmueller und Hangartner, 2018). Der direkte Zugang in den Arbeitsmarkt dürfte die Integration vieler Flüchtlinge signifikant beschleunigen.

Die Verteilung der Flüchtlinge

Ein weiterhin bestehendes Problem liegt in der zentralen Verteilung von Flüchtlingen. In Deutschland werden alle Flüchtlinge mithilfe des „Königsteiner Schlüssels“ zentral auf die Bundesländer und von dort aus weiter auf die Landkreise verteilt, um so die finanzielle Belastung zwischen den Ländern möglichst gleich zu halten. Der Schlüssel basiert zu 1/3 auf der Bevölkerungsanzahl und zu 2/3 auf dem Steueraufkommen des Landes. Während der europäischen Flüchtlingskrise 2015 versuchten einige Landkreise zudem, Flüchtlinge mittels einer Residenzpflicht in ihrem zugeteilten Landkreis zu halten, um so die innerdeutsche Migration zu verhindern.

Der zentrale Allokationsmechanismus für Flüchtlinge mag zur gerechten Finanzierung zwischen den Ländern beitragen, hat allerdings diametrale Effekte auf die Integration. In einem Forschungspapier schauen sich die Ökonomen Panu Poutvaara, Cevat Giray Aksoy und Felicitas Schikora (2020) die Verteilung von Flüchtlingen in Deutschland während der europäischen Flüchtlingskrise an und stellen fest, dass die soziale und wirtschaftliche Integration im Wesentlichen von zwei Faktoren auf Landkreisebene bestimmt wird: der Arbeitslosenquote und der allgemeinen Akzeptanz von Migranten. Verteilt man Flüchtlinge aufgrund eines regionalen Proporzes in ökonomisch perspektivlose und tendenziell eher fremdenfeindliche Gebiete, schafft man gleichermaßen Frust bei Einheimischen und Flüchtlingen. Deshalb sollte man bei der Verteilung der Flüchtlinge auch Faktoren wie das lokale Wohnungs- und Arbeitsangebot berücksichtigen. Des Weiteren sollte man die innerdeutsche Migration von Flüchtlingen nicht verhindern, da sonst wichtige produktivitätssteigernde Sortierungs- und Spezialisierungsprozesse nicht ausgeschöpft werden können.

Fazit

Die Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge war nicht nur moralisch notwendig, sondern kann auch positive ökonomische Effekte haben. Hierzu sind eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt sowie eine effiziente Verteilung der Flüchtlinge essenziell. Zusätzlich kann die Integration durch ein breites Angebot an Sprachkursen, Möglichkeiten der Kinderbetreuung und die schnelle Anerkennung beruflicher Qualifikationen beschleunigt werden. Deutschland hat die Ukrainer außenpolitisch im Stich gelassen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, den ukrainischen Flüchtlingen ein vernünftiges Integrationsangebot zu unterbreiten.

Literatur

d’Albis, H., E. Boubtane, und D. Coulibaly (2018). Macroeconomic evidence suggests that asylum seekers are not a „burden“ for Western European countries. Science advances, 4(6).

Aksoy, C. G., P. Poutvaara, und F. Schikora (2020). First Time Around: Local Conditions and Multidimensional Integration of Refugees“. IZA Discussion Paper, S. 1-74.

Clemens, M. und J. Hunt (2019). The Labor Market Effects of Refugee Waves: reconciling Conflicting Results. ILR Review 72 (4), S. 818–857.

Fasani, F., T. Frattini und L. Mingale (2021). Lift the Ban? Initial Employment Restrictions and Refugee Labour Market Outcomes. Journal of the European Economic Association, 19(5), S. 2803-2854.

Marbach, M., J. Hainmueller, und D. Hangartner (2018). The long-term impact of employment bans on the economic integration of refugees. Science Advances, 4(9).

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Autor:

Alexander Albrecht hat in Erfurt und London politische Ökonomie studiert. Er ist Lehrbeauftragter für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin und Head of Communication bei Prometheus – Das Freiheitsinstitut.

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