Rente mit 63: Frühzeitige Renteneintritte kosten viel Geld und verschärfen Fachkräfteengpass
Die „Rente mit 63“ sorgt für teure Fehlanreize. In der Folge müssen die Beitragszahler allein bis 2035 fast 140 Milliarden Euro zusätzlich bezahlen. Gleichzeitig sinkt durch die Rente mit 63 das Rentenniveau. Außerdem hat die Rente mit 63 allein im vergangenen Jahr dem Arbeitsmarkt mehr als 200.000 Beschäftigte entzogen. – Das sind die Ergebnisse einer Studie der Prognos AG.
Mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz (Rentenpaket 2013) wurde zum 01.07.2014 die „Rente mit 63“ eingeführt. Für besonders langjährig Versicherte mit mindestens 45 Beitragsjahren wurde damit die Möglichkeit der abschlagsfreien Rente vor Erreichen des 65. Lebensjahres geschaffen. Die bereits bestehende Ausnahme („Rente mit 65“) von der „Rente mit 67“ wurde für die Jahrgänge 1947 bis 1963 dabei nochmals großzügiger ausgestaltet.
Rentenpolitik ist Arbeitsmarktpolitik
Die Rente mit 63 hat spürbare finanzielle Folgen für die Rentenversicherung und gleichzeitig negative Folgen für den Arbeitsmarkt. Denn sie „entzieht“ dem Arbeitsmarkt dringend benötigte Arbeits- und Fachkräfte, und das in einer Phase, in der Personal durch den demografischen Wandel ohnehin immer knapper wird. Entsprechend haben verschiedene Seiten eine Abkehr von der Rente mit 63 gefordert.
Neben dem Mitglied des Sachverständigenrats Prof. Dr. Martin Werding [1] oder dem Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger [2] hat beispielsweise das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung darauf hingewiesen, dass allein der Wunsch oder die Forderung nach einem längeren Verbleib im Arbeitsleben nicht ausreichend sind, um die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer zu erhöhen [3]. Vielmehr erfordert es gezielte politische Weichenstellungen, um Anreize für einen längeren Verbleib im Arbeitsleben zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund hat Prognos in einer Kurzstudie für die INSM die Auswirkungen einer Abschaffung der Rente für besonders langjährig Versicherte bzw. einer Rente mit 67 ohne Ausnahmen für die langfristige Finanzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung sowie deren potenzielle Effekte für den Arbeitsmarkt untersucht.
Stabilere Rentenfinanzen, höhere Steuern
Die Ergebnisse zeigen, dass eine Abschaffung der Rente mit 63 als Teil einer umfassenden Strategie zur Fachkräftesicherung einen Beitrag zur Auflösung bzw. Reduktion von Fachkräfteengpässen leisten kann. Rein rechnerisch hätten mit einem Verzicht auf die Rente mit 63 bereits in den vergangenen zehn Jahren rund zehn Prozent der offenen Stellen vermieden – und dabei wichtiges Know-how erhalten – werden können. Das entspricht durchschnittlich rund 180.000 Beschäftigten.
Für die Rentenfinanzen zeigen die hier vorgelegten Szenarien ebenfalls positive Effekte. Das Rentenniveau würde z. B. im Jahr 2030 gut 0,6 Prozentpunkte höher liegen als mit der aktuell gültigen Regelung. Rentnerinnen und Rentner bekämen somit im Durchschnitt gut 300 Euro mehr Rente. Und auch die Beschäftigten würden entlastet: Der Beitragssatz könnte fast bis zum Ende des Jahrzehnts (2028) bei 18,6 Prozent stabilisiert werden, was etwa 240 Euro pro Jahr entspricht.
Und auch der Bundeshaushalt profitiert über geringere Bundeszuschüsse an das Rentensystem sowie höhere Steuereinnahmen der länger Erwerbstätigen. Da Steuergelder an anderen Stellen von Wirtschaft und Gesellschaft dringend gebraucht werden, könnte mit der Abschaffung von Fehlanreizen in der Rentenversicherung nicht nur ein Beitrag zur Fachkräftesicherung geleistet, sondern es könnten in den kommenden Jahren auch Handlungsspielräume für Investitionen in die grüne und digitale Transformation der deutschen Wirtschaft geschaffen werden.
Dieser Blogpost basiert auf der Studie „Rente mit 63 – Quo Vadis“ von Dr. Stefan Moog, Dr. Oliver Ehrentraut und Leilah Dismond von der Prognos AG
Fußnoten
[1] t-online. 2022. „Die Rente mit 63 muss abgeschafft werden“. Zugriff am 19.04.2023.
[2] Tagesspiegel. 2022. „Hat zu einem Braindrain geführt“. Arbeitgeber fordert Abkehr von Rente mit 63. Zugriff am 19.04.2023.
[3] Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB). 2022. „Renteneintritt der Babyboomer: Für viele ist schon mit 63 Schluss“. Pressemitteilung vom 10.12.2022.
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Autor:
Dr. Oliver Ehrentraut und Dr. Stefan Moog Dr. Oliver Ehrentraut ist Direktor bei Prognos und Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung und verantwortlich für den Standort Freiburg. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Finanzwissenschaft I und dem Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg. Dr. Stefan Moog ist Diplom-Volkswirt und Senior Experte bei Prognos.