Besser als eine CO2-Steuer: Opt-in in den Emissionshandel
Was hilft dem Klima? Eine CO2-Steuer oder die Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf die noch nicht integrierten Sektoren? Der Ökonom Manuel Frondel hat eine klare Meinung: Nur mit dem Emissionshandel lasse sich das Klimaziel treffsicher erreichen. Und das sei nicht der einzige Vorteil.
Nach Auffassung von Ökonomen können die Treibhausgase in Europa am kosteneffizientesten dadurch vermieden werden, dass der bislang auf die Energiewirtschaft und die Industrie beschränkte EU-Emissionshandel auf alle noch nicht darin integrierten Sektoren ausgeweitet wird. Allerdings müssen für die Ausweitung des Emissionshandels Mehrheiten in der Europäischen Union gefunden werden.
Solange diese Ausweitung nicht die Zustimmung aller Mitgliedstaaten findet, könnte zur Forcierung des Klimaschutzes in Deutschland die Einführung einer nationalen CO2-Bepreisung in diesen Sektoren erwogen und im Prinzip auf zwei Wegen umgesetzt werden: Zum einen mittels der Einführung einer nationalen CO2-Steuer, etwa in Form eines Aufschlags auf bestehende Energiesteuern: Dabei würde entweder unterstellt, dass die bestehenden Steuern aus anderen Motiven als einer CO2-Bepreisung erhoben werden, oder aber die bestehenden Energiesteuern würden entsprechend gesenkt oder gar ganz gestrichen.
Zum anderen bietet die Regulierung des EU-Emissionshandels die Möglichkeit, über ein Opt-in weitere Sektoren einzelner Mitgliedstaaten in den Emissionshandel einzubinden (Artikel 24 der EU-ETS-Richtlinie 2003/87/EG, siehe auch SVR 2019:63)[1]. Daher könnte Deutschland ein Emissionshandelssystem für diese Sektoren konzipieren, welches allerdings erst nach Zustimmung der EU-Kommission zu dessen Integration in den bestehenden EU-weiten Emissionshandel etabliert werden sollte.
Die folgende Abwägung der Vor- und Nachteile beider Optionen, CO2-Steuer versus Ausweitung des Emissionshandels, zeigt, dass eine CO2-Steuer gravierende Nachteile aufweist, allen voran die mangelnde Treffsicherheit bei der Erreichung vorgegebener Emissionsziele. So ist erstens a priori unklar, wie hoch die durch eine CO2-Steuer erzielbare CO2-Einsparung ausfällt. Eine Verfehlung der deutschen Klimaziele ist denn auch das Ergebnis zweier jüngst veröffentlichter Studien zur Einführung einer CO2-Steuer in Deutschland, bei denen CO2-Preise von bis zu 180 Euro je Tonne unterstellt wurden (Bach et al. 2019:2; FÖS 2019: 8)[2][3]. Die mit einem Emissionshandelssystem verbundene Mengensteuerung erlaubt hingegen per Konstruktion eine treffsichere Erreichung eines jeglichen Emissionsziels.
Wenn aber Emissionsziele mittels einer CO2-Steuer nicht erreicht würden, müsste die Höhe der Steuer über die Zeit schrittweise angehoben werden. Diskretionäre Anhebungen, welche von der technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung sicherlich nicht gänzlich unabhängig erfolgen, sind somit integraler Bestandteil einer Emissionssteuerung mittels einer CO2-Steuer (SVR 2019:60) und stellen zweitens die Planbarkeit dieses Instruments, welche von dessen Verfechtern als großer Vorteil dargestellt wird, infrage. Letztlich bleibt sogar unklar, ob nicht doch die durch die Politik bestimmten Höhen der CO2-Steuer weniger planbar sind als die sich im Emissionshandel ergebenden CO2-Preise. Gegen schwankende CO2-Preise im Emissionshandel gibt es immerhin Hedging-Instrumente, mit denen Unternehmen sich gegen stark steigende Preise absichern können. Bei einer CO2-Steuer wären die Verbraucher hingegen den nicht selten willkürlich erscheinenden Entscheidungen der Politik ausgesetzt.
Drittens stellt die Notwendigkeit zu diskretionären Anpassungen des Steuersatzes einen systemimmanenten Hebel für die Politik dar, um die CO2-Steuer unter dem Vorwand der Treibhausgasvermeidung zum Zwecke der Einnahmenerhöhung erhöhen zu können. Im Gegensatz dazu hätte die Politik nur wenig Einfluss auf die Höhe des CO2-Preises, der sich in einem integrierten Emissionshandelssystem einstellt, wohingegen eine CO2-Steuer leicht unilateral verändert werden könnte.
Viertens wäre die Politik aufgrund der vor allem im Verkehrs- und Gebäudebereich hohen CO2-Vermeidungskosten und der im Vergleich zur Erweiterung des Emissionshandels fehlenden Möglichkeit, kostengünstigere Maßnahmen in anderen Sektoren zu ergreifen, wohl sogar gezwungen, den Steuersatz einer CO2-Steuer stark in die Höhe zu schrauben, um solch massive Emissionsreduktionen erzielen zu können, wie sie zur Erreichung des 38-Prozent-Treibhausziels für das Jahr 2030 für diese Sektoren gegenüber dem Jahr 2005 nötig sind. Hohe Steuersätze dürften aber die Akzeptanz einer CO2-Steuer auf eine harte Probe stellen.
Falls jedoch fünftens die erforderlichen Steuererhöhungen aus politischen Gründen unterbleiben sollten, drohen Klimaziele verfehlt zu werden und es besteht die Gefahr, dass die Politik stattdessen als Ausweg zu ordnungsrechtlichen Maßnahmen greift, die den Klimaschutz gegenüber der Bepreisung von CO2 unnötig verteuern (SVR 2019:61).
Im Gegensatz dazu hätte die Integration der bislang nicht in den Emissionshandel integrierten Sektoren in den Emissionshandel den Vorteil, dass die dafür geltenden nationalen Ziele irrelevant würden (siehe EU-Lastenteilungsverordnung), da die Emissionen auf übergeordneter Ebene gedeckelt würden (SVR 2019:63).
Sechstens bietet ein Emissionshandelssystem den Vorteil, dass sich der darin bestimmte CO2-Preis bei Änderungen der konjunkturellen Lage endogen anpassen und sich verringern würde, wenn sich die konjunkturelle Lage abschwächt (SVR 2019:63). Bei einer CO2-Steuer ist hingegen aller Erfahrung nach nicht damit zu rechnen, dass die Politik einen einmal erreichten Steuersatz reduziert.
Siebtens wäre es höchst fraglich, ob eine bis zur erstrebenswerten Erweiterung des bestehenden Emissionshandels als Übergangslösung erhobene CO2-Steuer tatsächlich wieder abgeschafft würde. Wie die Erfahrung mit anderen Steuern zeigt, etwa der viel zitierten Sektsteuer, die 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt wurde, weisen Steuern eine hohe Persistenz auf.
Achtens: Erst einmal eingeführt, dürfte eine CO2-Steuer der erstrebenswerten Erweiterung des EU-Emissionshandels im Wege stehen, da aufgrund der Existenz der CO2-Steuer der Einsatz der deutschen Politik für eine Emissionshandelserweiterung erlahmen könnte.
Aus all diesen Gründen sollte die Einführung einer CO2-Steuer tunlichst vermieden werden, selbst wenn diese nur als Übergangslösung vorgesehen ist. Stattdessen sollte Deutschland einen Opt-in-Antrag an die EU-Kommission stellen, mit dem die Einbeziehung der noch nicht integrierten Sektoren wie Straßenverkehr und Landwirtschaft in den EU-Emissionshandel beantragt wird. Dies sollte schnellstmöglich geschehen, um den Bürgern glaubhaft zu machen, dass die Bundesregierung sich ernsthaft um Klimaschutz bemüht, und um ihnen frühzeitig zu signalisieren, dass der CO2-Ausstoß durch das Verbrennen fossiler Kraft- und Brennstoffe zukünftig teurer wird.
Bis der Opt-in-Antrag, dem das Europäische Parlament und der Europäische Rat nicht zustimmen müssen, durch die Europäische Kommission geprüft und positiv beschieden ist, bedarf es sicherlich einiger Monate, wenn nicht gar ein Jahr. Diese Zeit ist für die Treibhausgasvermeidung jedoch nicht verloren: Allein die glaubwürdige Ankündigung einer CO2-Bepreisung wird, selbst wenn diese sich erst ab einem späteren Zeitpunkt in höheren Preisen für fossile Brenn- und Kraftstoffe niederschlagen wird, ab dem Zeitpunkt der Ankündigung eine langfristige Lenkungswirkung entfalten, denn dann werden rational handelnde Verbraucher dies in ihre Investitionsentscheidungen einkalkulieren. In anderen Worten: In Bezug auf die langfristigen Emissionsminderungseffekte ist eine sofortige Etablierung einer CO2-Bepreisung nicht notwendig, die glaubwürdige Selbstbindung der Politik zu ihrer Umsetzung zu einem nicht allzu fernen späteren Zeitpunkt sollte zu ähnlichen Minderungseffekten führen.
Vor diesem Hintergrund relativiert sich einer der größten Vorteile, die neben der vermeintlichen Stabilität des CO2-Preissignals für die Einführung einer CO2-Steuer ins Feld geführt werden: deren schnelle Umsetzbarkeit. Diesem − letztlich rein technischen − Aspekt stehen, wie soeben erläutert, gravierende Nachteile einer CO2-Steuer entgegen.
Während im Falle eines positiven Bescheids bezüglich eines deutschen Opt-in-Antrags an die Europäische Kommission das EU-rechtlich verbindliche Ziel für die nicht in den Emissionshandel integrierten Sektoren entfallen würde (SVR 2019:63), könnte eine potenzielle Verfehlung der Ziele für diese Sektoren derweil in Kauf genommen werden, da bis zur Erreichung des Ziels für das Jahr 2020 von minus 14 Prozent gegenüber 2005 lediglich 2,6 Prozentpunkte beziehungsweise rund 11 Mio. Tonnen fehlen. Selbst wenn diesem Ziel bis 2020 nicht näher gekommen würde, würde der dann erforderliche Kauf von Zertifikaten von anderen EU-Ländern bei einem aktuellen Preisniveau von knapp 30 Euro je Tonne mit rund 0,33 Milliarden Euro pro Jahr einen überschaubaren finanziellen Aufwand bedeuten.
Literatur
[1]SVR (2019) Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik, Sondergutachten, Juli 2019. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/gutachten/sg2019/sg_2019.pdf
[2]Stefan Bach, Niklas Isaak, Claudia Kemfert, Uwe Kunert, Wolf-Peter Schill, Nicole Wägner, Aleksandar Zaklan (2019) Für eine sozialverträgliche CO2-Bepreisung. Forschungsvorhaben „CO2-Bepreisung im Wärme- und Verkehrssektor: Diskussion von Wirkungen und alternativen Entlastungsoptionen“ im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.635193.de/diwkompakt_2019-138.pdf
[3]FÖS (2019) Hintergrundpapier zur Pressekonferenz Lenkungs- und Verteilungswirkungen einer klimaschutzorientierten Reform der Energiesteuern. Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Forschungsvorhaben „Künftige Finanzierung der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“ (FKZ UM 17433160). Auftraggeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). http://www.foes.de/pdf/2019-07-FOES_CO2Preis_Hintergrundpapier_BMU.pdf
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Autor:
Prof. Dr. Manuel Frondel ist außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI.