In Europa wächst eine verlorene Generation heran. Ausgeschlossen vom Arbeitsmarkt – ausgeschlossen von der Gesellschaft. Der Welttag soziale Gerechtigkeit bietet Anlass, über Lösungen nachzudenken.
25. Februar 2013Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit: Die schwindenden Chancen junger Menschen in Europa, im Anschluss an ihre Ausbildung eine qualifizierte Arbeitsstelle zu finden. Im EU-Durchschnitt liegt die Arbeitslosigkeit von unter 25-jährigen dreimal höher als die der älteren. In Spanien ist schon fast jeder zweite zwischen 15 und 25 ohne Chance auf den Einstieg in den Beruf. In Griechenland sind nach neuesten Zahlen sogar über 60 Prozent ohne Arbeit. Und damit existenziell an den Rand gedrängt, bevor ihr Leben richtig begonnen hat.
Die soziale Brisanz der südeuropäischen Verhältnisse kann gar nicht überschätzt werden, weder individuell menschlich noch übergreifend sozial und ökonomisch. Der Standortfaktor „sozialer Frieden“, der viel zur ökonomischen Robustheit Deutschlands beigetragen hat, rückt in unerreichbare Ferne, wenn die Hälfte der jungen Menschen sich nicht aus eigener Kraft ernähren, keine Familie gründen und letztlich keinen Start ins eigenverantwortete Leben finden. Viele Experten sprechen von einer „verlorenen Generation“ – denn die arbeitslosen Jugendlichen von heute sind die arbeitslosen Älteren von morgen und die am Existenzminimum lebenden Rentner von Übermorgen.
Diese soziale Katastrophe zeigt, wo reparierende Sozialpolitik kapitulieren muss. Keine Transferleistung und keine Sozialarbeit kann auch nur annähernd auffangen, was solch tiefe Perspektivlosigkeit anrichtet. Die Kombination aus Bildungsverlierern, Staatsschulden und Standortschwäche ist nicht einfach abstraktes politisches Versagen, sondern ein Verbrechen an Millionen höchst realen menschlichen Schicksalen. Die Einzige Antwort liegt im Beseitigen der Ursachen.
Vor gut zehn Jahren hielten auch viele in Deutschland das Phänomen steigender Langzeitarbeitslosigkeit und der Abwanderung von industrieller Produktion für ein unabwendbares Schicksal. Für Deutschland hat es sich als großes Glück erwiesen, dass alle damals maßgeblichen politischen Kräfte den Mut für weitreichende Reformen gefasst haben. So wurde die Industrie- und Standortpolitik flankiert durch eine tiefgreifende Modernisierung zentraler sozialpolitischer Instrumente und Institutionen. Im Zuge dessen ist auch die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland massiv zurückgegangen. Mit einer bundesweiten Arbeitslosenquote von 9 Prozent sind wir zwar in einigen Bereichen noch nicht bei der Lösung des Problems, bewegen uns aber in einer ganz anderen Dimension als unsere südeuropäischen Nachbarn.
Die Kombination des Förderns und Forderns hat damals die deutsche Abwärtsspirale gestoppt und ist auch heute der beste Kompass zum Umgang mit sozialen Herausforderungen. Jeder Staat ist dazu aufgerufen, die idealen Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand zu schaffen. Dazu gehört, jedem jungen Bürger eine Ausbildung zu bieten, die es ihm unabhängig von seiner sozialen Herkunft ermöglicht, seine Talente ausprobieren und zu entwickeln. Bildung ist die beste, weil vorsorgende Sozialpolitik. Denn sie ermöglicht nicht nur individuellen Erfolg und Aufstieg, sondern befördert auch den Wohlstand der ganzen Gesellschaft.
So wichtig Aus- und Fortbildung ist, so naiv wäre es aber auch zu glauben, dass sie den einzigen Baustein für sozialen und wirtschaftlichen Erfolg darstellt. Ein weiterer Blick in den Süden zeigt, dass die Gesetze ökonomischer Vernunft in Haushalts- wie Standortpolitik nicht nur eine rein intellektuelle oder theoretische Anforderung darstellen. Wer im Kampf um Wettbewerbsfähigkeit zurück schreckt vor Widerständen oder kurzlebigen politischen Verlockungen, gibt am Ende Millionen an höchst realen menschlichen Perspektiven auf.
Dieser Standpunkt ist zuerst in der Südwest-Presse erschienen.
Wolfgang Clement ist Vorsitzender des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen a.D. und Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit a.D.