INSM-Bildungsmonitor 2023: Probleme im Bildungssystem nehmen zu
Sachsen und Bayern haben in Deutschland das beste Bildungssystem. Insgesamt hapert es aber deutschlandweit an vielen Stellen, seit 2013 haben die Herausforderungen in den untersuchten Handlungsfeldern des INSM-Bildungsmonitors teils stark zugenommen. Die größten Probleme und Rückschritte zeigen sich in den Bereichen Integration, Schulqualität und der Bekämpfung von Bildungsarmut. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick.
Sachsen und Bayern im INSM-Bildungsmonitor 2023 vorn
Die besten Ergebnisse im Durchschnitt aller im INSM-Bildungsmonitor 2023 bewerteten Bereiche erreichen Sachsen und Bayern. Dahinter reihen sich Thüringen und Hamburg ein, vor Baden-Württemberg und dem Saarland als dritter Gruppe. Darauf folgt ein breites Mittelfeld, beginnend mit Niedersachsen und Hessen auf den Plätzen sieben und acht. Die hinteren drei Plätze belegen Brandenburg, Berlin und mit etwas Abstand auf dem letzten Platz Bremen.
Der INSM-Bildungsmonitor setzt sich aus 13 Handlungsfeldern zusammen. In welchen davon die einzelnen Bundesländer besonders gut abschneiden:
- Sachsen ist in gleich vier Handlungsfeldern spitze – der Förderinfrastruktur, der Schulqualität, der Forschungsorientierung und der Bekämpfung von Bildungsarmut. Unter dem Bundesdurchschnitt liegt Sachsen lediglich bei der Zeiteffizienz, der Digitalisierung und den Betreuungsrelationen.
- Bayern belegt in zwei Handlungsfeldern den ersten Rang, in der Digitalisierung und der Förderung der beruflichen Bildung. Nachholbedarf gibt es in vor allem im Ausbau der Förderinfrastruktur, dem Bereich Hochschule/MINT und der Zeiteffizienz.
- Auch Thüringen erreicht mit den Bereichen Ausgabenpriorisierung und Hochschule/MINT zwei Spitzenplätze. Unterdurchschnittlich schneidet das Bundesland allerdings in der Digitalisierung, der Forschungsorientierung, der Internationalisierung und der Inputeffizienz ab.
- Hamburg erreicht ebenfalls zwei Top-Platzierungen, in den Handlungsfeldern Internationalisierung und Inputeffizienz. Verbesserungspotenzial besteht trotz Fortschritten insbesondere weiterhin in den Feldern Ausgabenpriorisierung, Schulqualität und der Bekämpfung von Bildungsarmut.
- Brandenburg belegt den ersten Platz im Handlungsfeld Integration, liegt aber in der Forschungsorientierung, dem Bereich Hochschule/MINT, der Digitalisierung, der beruflichen Bildung und der Zeiteffizienz deutlich unter dem Durchschnitt.
- Das Saarland ist spitze bei der Zeiteffizienz, landet hinsichtlich der Integration und der Internationalisierung aber auf den hinteren Rängen.
- Besonders groß ist die Kluft zwischen Stärken und Schwächen beim Schlusslicht Bremen. Dem Spitzenplatz im Bereich Betreuungsrelationen und guten Werten in den Bereichen Hochschule/MINT, Inputeffizienz, Digitalisierung und Zeiteffizienz stehen letzte Plätze in den Bereichen Schulqualität, der Bekämpfung von Bildungsarmut, Integration, Ausgabenpriorisierung sowie bei der Förderinfrastruktur gegenüber.
Viel Rückschritt in den vergangenen zehn Jahren
Nachdem sich die Ergebnisse des INSM-Bildungsmonitors im Zeitraum der Jahre 2004 bis 2013 deutlich verbesserten, haben die Probleme im Bildungssystem seitdem stark zugenommen.
- Die Durchschnittsbewertung für Gesamtdeutschland liegt im INSM-Bildungsmonitor 2023 bei 47,1 Punkten und damit um 2,5 Punkte unter der Bewertung aus dem INSM-Bildungsmonitor 2013. Das entspricht einem Rückgang von 5 Prozent.
- Im Durchschnitt aller im INSM-Bildungsmonitor bewerteten Bereiche verzeichneten im Vergleich zu 2013 lediglich das Saarland (+7,1 Punkte) sowie Hamburg (+5,4 Punkte) nennenswerte Fortschritte im Bildungsbereich.
- In Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen stagnierte das Niveau bei geringfügigen Zuwächsen.
- In elf Bundesländern ging das Bildungsniveau in den vergangenen zehn Jahren zurück. Am drastischsten fallen die Verluste in Sachsen-Anhalt (-5,4 Punkte), Bremen (-8,5 Punkte) und Baden-Württemberg (-9,6 Punkte) aus.
Die größten Fortschritte seit 2013 gab es im Bundesdurchschnitt in den Handlungsfeldern Internationalisierung (+20,5 Punkte), Förderinfrastruktur (+18,4 Punkte) und Betreuungsbedingungen (+17,1 Punkte)
Dagegen haben sich insbesondere die Ergebnisse in den Handlungsfeldern Integration (-38,8 Punkte), Schulqualität (-28,2 Punkte) und der Bekämpfung von Bildungsarmut (-17,5 Punkte) sehr stark verschlechtert.
Ausgewählte Entwicklungen im Einzelnen
Die Schülerschaft ist deutlich heterogener geworden: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund hat zugenommen, ebenso der Anteil von Viertklässlerinnen und Viertklässlern sowie Kindern mit nicht-deutscher Familiensprache.
- Die Bildungsergebnisse von Kindern aus Haushalten mit Migrationshintergrund oder von bildungsfernen Haushalten sind besonders stark gesunken.
- Immer mehr Vorschulkinder sprechen zu Hause nicht Deutsch: Lag deren Anteil an allen Vorschulkindern im Jahr 2008 noch bei 15,7 Prozent, waren es 2021 schon 21,1 Prozent.
- Die digitale Bildung der Schülerinnen und Schüler stagniert.
- Es gibt weniger Bücher in den Haushalten: Gaben im Jahr 2011 noch 39,2 Prozent der Kinder an, in einem Haushalt mit mehr als 100 Büchern zu leben, lag der Anteil im Jahr 2021 nur noch bei 30,9 Prozent.
- Die Betreuungsrelationen haben sich verbessert: Kamen auf eine Lehrkraft im Jahr 2000 noch 20,6 Schülerinnen und Schülern, waren es 2021 nur noch 15,6 Kinder.
- Die Ganztagsinfrastruktur wurde ausgebaut: Zwischen 2002 und 2021 stieg der Anteil der Grundschulen mit Ganztagsschulbetrieb von 10,3 auf 72,1 Prozent. Der Anteil der Grundschulkinder, die ganztägig eine Schule besuchen, erhöhte sich in diesem Zeitraum von 4,2 auf 47,5 Prozent. Der Ganztagsbetreuung mangelt es jedoch an Qualität, die Ganztagsinfrastruktur setzt keine ausreichenden Bildungsimpulse.
- Die Verbesserungen in der Ganztagsinfrastruktur und den Betreuungsrelationen können die generelle Verschlechterung der Bildungsergebnisse nicht aufhalten.
Was jetzt zu tun ist
Aus den Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre, dem Status Quo des Bildungssystems und den zukünftigen Herausforderungen lassen sich eine Reihe von Maßnahmen für die Bildungspolitik ableiten, die ein zukunftsfähiges Bildungssystem sicherstellen. Diese lassen sich in drei Schwerpunktzielen zusammenfassen:
1. Ungleichheiten reduzieren durch bessere Bildungschancen
- Schulqualität erhöhen. Um Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu fördern und herkunftsbedingte Ungleichheiten abzubauen, muss eine hohe Qualität der Schulen gewährleistet sein. Dafür sollte die frühkindliche Bildung – vor allem mit Hinblick auf die Sprachförderung – ausgebaut, die Autonomie der Schulen gestärkt und Verantwortlichkeiten zwischen den Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden besser geregelt werden. Gezielte Investitionen können die Schulqualität steigern – sinnvoll ist unter anderem die Finanzierung auf Grundlage eines Sozialindex, der Schulen mit überdurchschnittlich großen Herausforderungen auch überdurchschnittlich unterstützt.
- Lehrkräfte stärken. Alternative Möglichkeiten der Lehrkräftegewinnung wie die Qualifizierung von Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern sollten ausgeweitet werden, insbesondere im MINT-Bereich. Für Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern in Risikolagen könnten mit zusätzlichen finanziellen Anreizen Lehrkräfte gewonnen werden. Wichtig ist zudem, das digitale Lernen in der Lehrkräftebildung zu verankern und multiprofessionelle Teams – unter anderem mit IT-Expertinnen und -Experten – zur Unterstützung aufzubauen.
- Eltern besser unterstützen. Um fehlende Möglichkeiten der Eltern zur Förderung ihrer Kinder zu kompensieren, sollten Eltern gezielt unterstützt und begleitet werden. Wichtig ist hierbei der weitere Ausbau einer hochwertigen Ganztagsinfrastruktur sowie von Familienzentren an Kitas und Schulen. Zudem sollte der Staat die Förderung von Mentoring- und Nachhilfeprogrammen ausweiten.
2. Neue Ungleichheiten vermeiden
- Chancen der Digitalisierung nutzen. Die digitale Infrastruktur an den Schulen muss weiter ausgebaut; die Entwicklung, Verfügbarkeit und Nutzung digitaler Lehr- und Lernmaterialien im Unterricht gesteigert werden. Außerdem braucht es Konzepte zum Umgang mit und zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI).
- Auf Transformation vorbereiten. Um die IT-Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu verbessern, sollte Informatik als eigenes Fach oder als Teil bestehender Fächer bundesweit in möglichst vielen Jahrgangsstufen verpflichtend unterrichtet werden. Die gesellschaftliche Relevanz von MINT-Berufen für den Klimaschutz sollte betont werden, um gut ausgebildete Fachkräfte für die Dekarbonisierung zu gewinnen. Um das Potenzial von Frauen für den MINT-Bereich zu nutzen, ist eine klischeefreie Berufs- und Studienorientierung wichtig. Schulen sollten die Kinder zudem für einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien sensibilisieren.
3. Demokratische Kompetenzen vermitteln
- Bildung in demokratischen Kompetenzen ausbauen. In den Grundschulen kann dies als Teil des Sachunterrichts erfolgen, in der Sekundarstufe sollte es fächerübergreifend verankert werden.
- Verbindliche Bildungsstandards etablieren. Die Vermittlung demokratischer Kompetenzen sollte verbindlichen Zielen und Bildungsstandards auf Ebene der Kultusministerkonferenz folgen. Durch regelmäßige Studien muss ein systematisches Monitoring sichergestellt werden.
- Weltoffenheit fördern und Resilienz stärken. Weltoffenheit und eine Vielfalt der Perspektiven sind als Grundlage von Kreativität und Innovativität stärker im Unterricht zu vermitteln; Eigenständigkeit, Flexibilität und Selbstwirksamkeit der jungen Menschen stärker zu fördern.