Handelspolitik: Welche Strategie brauchen Deutschland und Europa?
Wie sieht der globale Handel der Zukunft aus? An welchen Stellschrauben muss jetzt gedreht werden, damit nachhaltiger Wohlstand steigen kann? Wir haben das Institut der deutschen Wirtschaft beauftragt, eine Serie handelspolitischer Empfehlungen für Deutschland und die Europäische Union auszuarbeiten. Die fünf Gutachten und die zusammengefassten Ergebnisse veröffentlichen wir sukzessive auf dieser Seite.
Die Zukunft globaler Wertschöpfungsketten: Top oder Flop?
Die abgelaufene Präsidentschaft von Donald Trump in den USA mit einer Wiederbelebung des Protektionismus im Zuge von Trumps America-First-Devise hat Deutschland und die EU spüren lassen, wie angreifbar die Wirtschaft hierzulande wegen ihrer Exportorientiertheit ist. Die Corona-Pandemie mit all ihren zeitweise harten Einschnitten im Handel durch Kontaktbeschränkungen, Produktionsschließungen und im Frühjahr 2020 sogar Grenzschließungen tat ihr Übriges.
Renationalisierungstendenzen, auch durch Corona, verdeutlichen, wie wichtig ein klares Bekenntnis Deutschlands und der EU zu einer multilateralen, reziproken und fairen Handelsliberalisierung ist.
IW-Simulation eines Handelskriegs: Hohe Wohlfahrtsverluste
Als Folge sich ausbreitender Renationalisierungsstrategien wären nach Simulation des IW die Kosten eines eskalierenden Handelskonfliktes enorm. Würden die USA ihre Zollsätze gegenüber der EU, China und fünf weiteren Handelspartnern um 25 Prozent erhöhen und käme es zu den entsprechenden Vergeltungsmaßnahmen seitens der Handelspartner, so wäre das mittelfristig mit Kosten für die deutsche Wirtschaft in der Größenordnung von mehr als 100 Milliarden Euro jährlich verbunden. Damit einhergehend würde es zu einem dramatischen Rückgang des Welthandels um 15,9 Prozent nach zehn Jahren kommen, der auch die deutsche Exportwirtschaft stark treffen würde. Auch die Beschäftigung in Deutschland würde leiden – die Arbeitslosenquote würde um 0,5 Prozentpunkte steigen.
Das IW betont, dass es sich hierbei nicht um eine Prognose handelt, denn eine solche Entwicklung beruht auf einem höchst unwahrscheinlichen Szenario. Allerdings zeigt die Simulation eindrücklich, welch hohe Kosten und welcher Wohlstand auf dem Spiel stehen. Oberstes Ziel sollte es daher für die Politik in Deutschland, der EU und weltweit sein, die Zukunftsfähigkeit der Welthandelsordnung zu sichern.
Wie die WTO reformieren?
Die Welthandelsorganisation war lange Zeit eine Erfolgsgeschichte. Seit Gründung der WTO im Jahre 1995 sind die Durchschnittszölle von 10,5 auf 6,4 Prozent gesunken. Die Folge: Die Wohlstandsgewinne ihrer Mitgliedstaaten in Folge fairer Handelsregeln werden auf jährlich 850 Milliarden Dollar geschätzt, das sind rund 4,5 Prozent der Wirtschaftsleistung dieser Staaten. Doch die WTO steckt in einer tiefen Krise. Das Juwel des Multilateralismus, das sogenannte WTO-Streitschlichtungsverfahren, wird durch die USA blockiert, die Organisation ist aktuell ohne Führung, und notwendige Anpassungen der Handelsregeln unterbleiben, weil sie einstimmig von den WTO-Mitgliedstaaten getroffen werden müssen. Diese Einstimmigkeit aber findet sich immer seltener, weil viele Staaten sich von liberalen Handelsprinzipien abgewendet haben. Deshalb nimmt der Protektionismus zu, die Gefahr von weltweiten Handelskriegen wächst. Was kann getan werden, um den liberalen Welthandel zu beleben? Eine Studie im Auftrag der INSM (PDF) lotet die Möglichkeiten aus, wie Deutschland und die Europäische Union dazu beitragen können, der WTO neues Leben einzuhauchen. Ein Ergebnis: Ohne Kompromisse auf allen Seiten wird sich wenig bewegen. Die EU wird den USA entgegenkommen müssen, um die Streitschlichtung wieder aktivieren zu können, China muss sich von seinen Industriesubventionen verabschieden, und die nächste US-Administration wird lernen müssen, dass das Recht des Stärkeren am Ende auf Dauer keinem hilft. Einen einfachen Weg gibt es also nicht. Gemeinsame Regeln brauchen gemeinsame Commitments. Aber für die Stärkung des freien Handels sollte uns kein Weg zu schwer sein. Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, gemeinsam mit der EU auf ein Freihandelsabkommen mit den USA zu drängen und sich für eine Reform der WTO einzusetzen. Europa muss mit der nächsten US-Administration die WTO reformieren. Gerade der durch die Corona-Pandemie geschwächte Welthandel braucht einen funktionierenden Ordnungsrahmen und eine starke Institution, die diese Regeln durchsetzen kann.
Wie kommen wir zu einem fairen Wettbewerb mit China?
Subventionierte chinesische Firmen machen europäischen Unternehmen Marktanteile streitig. Beim handelspolitischen Umgang mit China sollte die Europäische Union daher robuster vorgehen und die Wirtschaftskraft des eigenen Binnenmarktes stärker in die Waagschale werfen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) empfiehlt, Handelsschutzinstrumente stärker zu nutzen und um Anti-Subventionsinstrumente zu erweitern. Die EU sollte außerdem verstärkt auf WTO-Klagen zurückgreifen, um im Rahmen der WTO-Regeln bestehende Ungleichgewichte der Handelsbarrieren zu adressieren. Des Weiteren sollte die EU Möglichkeiten schaffen, um in bestimmten Fällen nicht subventionierte europäische Hersteller gegenüber chinesischen subventionierten Unternehmen zu bevorzugen. Denn: Es kann kein Recht auf die Verwendung von Produkten mit künstlich niedrigen Preisen geben, wenn dadurch wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in Europa bedroht werden.
Wie wird der Umweltschutz in der europäischen Handelspolitik berücksichtigt?
Die EU-Handelspolitik verfolgt seit Jahren nicht mehr nur das Ziel des Abbaus von Handelshemmnissen, sondern sorgt auch für Verbraucherschutz und den stetigen Ausbau von Umweltschutz- und Nachhaltigkeitszielen. Seit den 2000ern ist die durchschnittliche Anzahl der Umweltschutzbestimmungen pro Handelsabkommen kontinuierlich gestiegen. In vielen der neueren Abkommen wird der Umweltschutz bereits in der Präambel betont und findet auch in den Kapiteln kontinuierlich Eingang. Handelsabkommen verfolgen auch das Ziel, die Ziele des Pariser Klimaabkommen zu erreichen. Der Text des Mercosur-Abkommens beispielsweise enthält konkrete Ziele zum Umwelt- und Klimaschutz. Offen ist allerdings, ob die Durchsetzbarkeit dieser Bestimmungen gewährleistet ist. Es stellt sich deshalb die Frage, ob Bedingungen so gestellt werden können, dass bei der Verfehlung von umwelt- und klimapolitischen Zielen Sanktionen möglich sind.
Was wären die Folgen eines nationalen Lieferkettengesetzes?
Es ist ein nachvollziehbarer Wunsch der Verbraucher zu wissen, dass die von ihnen gekauften und konsumierten Produkte zu menschenwürdigen Bedingungen hergestellt wurden. Zahlreiche Skandale in der Vergangenheit und die damit verbundenen Imageverluste haben dazu geführt, dass die im Ausland produzierenden Unternehmen ihre Lieferantenbeziehungen vorsichtiger prüfen und Risiken vermeiden wollen, die ihr Geschäft gefährden könnten. Eine sanktionierbare Verpflichtung mittels eines Lieferkettengesetzes ist jedoch höchst umstritten. Sie sollte auf einen begrenzten, genau geregelten und realistisch zu prüfenden Umfang an Lieferantenbeziehungen beschränkt werden. Denn in der heutigen Welt und bei der aktuell herrschenden Fragmentierung der Wertschöpfungsketten würde es einen nicht vertretbaren und teils nicht leistbaren bürokratischen Aufwand gerade für kleine und mittelständische Unternehmen bedeuten, die Verantwortung für jeden einzelnen indirekten Lieferanten tragen zu müssen. Dies gilt umso mehr, wenn die hiesigen Unternehmen nur einen eingeschränkten Einblick in die eigenen Lieferstrukturen ihrer Lieferanten bekommen können. Haftung und Kontrolle müssen auch unbedingt Hand in Hand gehen.
Wie hat Präsidentschaft von Donald Trump den Handel zwischen den USA und Europa verändert?
Schon vor der Trump-Administration trug die USA-Handelspolitik protektionistische Züge. Teils verdeckte Anforderungen an lokal erbrachte Wertschöpfungsanteile und intensivere Zollkontrollen fanden seit 2009 Eingang. Seitdem Donald Trump im Amt ist, haben sich diese Entwicklungen deutlich verschärft. Direkt nach Amtsantritt hatte er die Abkommen zur Transpazifischen Partnerschaft (TPP) sowie die TTIP-Verhandlungen mit der EU abgebrochen. Außerdem drohte er Handelsbeschränkungen beispielsweise für Waschmaschinen, Stahl- und Aluminiumimporte ebenso an wie Zölle auf Automobilexporte aus Deutschland und anderen Ländern. Dabei verwies er regelmäßig auf angebliche Gefährdungen der nationalen Sicherheit durch diese Importe. Vor allem ist Donald Trumps Handelsstrategie aber durch eine dauerhafte Unsicherheit und Unberechenbarkeit für alle Handelspartner geprägt. Nach der gerade stattgefundenen Wahl ist es wichtig, den Dialog fortzusetzen, um die USA für das Thema WTO wiederzugewinnen. Es gilt, die amerikanischen Bedenken hinsichtlich der globalen Handelsregeln noch besser zu verstehen und weitere gemeinsame Ideen für konstruktive Reformen zu entwickeln. Auch die bilateralen handelspolitischen Spannungen sind anzugehen. Im Bereich des Automobilhandels ist zum Beispiel in gemeinsamer Kooperation ein globales Abkommen im Rahmen der WTO denkbar, um die Asymmetrien bei den Zollsätzen zu beseitigen und weitere Handelsbarrieren abzubauen. Es bleibt dabei aber auch wichtig, Stärke zu signalisieren. So müssen die deutsche Ratspräsidentschaft und die EU weiterhin deutlich machen, dass man bei US-Importzöllen auf Autos mit proportionalen Vergeltungsmaßnahmen reagiert.
Welche EU-Handelspolitik braucht es im Zeichen des Brexits?
Das Vereinigte Königreich wird auch nach dem Brexit ein wichtiger Handelspartner für Deutschland und die EU sein. Allerdings: Obwohl sich bislang die Handelsregeln mit dem Vereinigten Königreich noch nicht geändert haben, sind bereits tiefe Spuren der Brexit-Diskussion und der damit einhergehenden Pfund-Abwertung zu sehen. War das Vereinigte Königreich im Jahr 2015 mit einem Warenexportanteil von 7,5 Prozent noch Deutschlands drittwichtigster Exportpartner, rutschte es bis 2019 mit nur noch 5,9 Prozent auf Rang 5 ab. Für die konservative britische Regierung, die ihren Anspruch auf ein neues „Global Britain“ mit dem Brexit durchsetzen will, scheint es sehr schwierig zu akzeptieren, dass sie aufgrund der ökonomischen Gegebenheiten bei den Verhandlungen am kürzeren Hebel sitzt. Die EU besteht auf Mindeststandards bei Umwelt- und Sozialbedingungen sowie bei Wettbewerbs- und Subventionsregeln. Die britische Regierung will ihre Handlungssouveränität in diesen Bereichen jedoch nicht so stark einschränken lassen. Sie ging zuletzt auf Konfrontationskurs und droht, einzelne Teile des Anfang Februar 2020 in Kraft getretenen Austrittsabkommens in Bezug auf Nordirland zu ändern. Mit diesem Vertragsbruch riskiert sie auf Jahre hinaus den Ruf des Vereinigten Königreichs als verlässlichem internationalen Partner. Verständlicherweise hat dies die Position der EU und der deutschen Ratspräsidentschaft gegenüber der Johnson-Regierung weiter verhärtet. Wichtig ist, dass sich die Mitgliedstaaten durch derartige britische Manöver weiterhin nicht spalten lassen.