Deutschland kommt beim E-Government nicht voran
Deutschland verfehlt beim E-Government krachend seine selbst gesteckten Ziele und steht auch im EU-Vergleich schlecht da. Seit einem halben Jahr sind flächendeckend, also bundesweit, keine weiteren zentralen Verwaltungsdienste für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen digitalisiert worden. Verantwortlich hierfür sind Berlin und Saarland. In beiden Bundesländern wurde seit dem Frühjahr keine einzige weitere Verwaltungsleistung digitalisiert. Lesen Sie im Folgenden das jüngste Update (der Umsetzungsstand des OZG im Oktober 2022) unseres Behörden-Digimeters und schauen Sie hier die Historie unseres fortlaufenden Projekts an.
Die Umsetzung des E-Governments kommt in Deutschland weiterhin äußerst schleppend voran, und es mehrt sich grundsätzliche Kritik am gewählten Vorgehen. Entsprechend den im Online-Zugangsgesetz (OZG) getroffenen Festlegungen müssten bis Ende 2022 alle 575 im Gesetz definierten Leistungen der Verwaltung für Bürger und Unternehmen verfügbar sein. Die Umsetzung des OZG hinkt jedoch weiterhin dem Zeitplan stark hinterher, auch wenn ein „OZG-Booster“ bis Jahresende noch weitere wichtige Umsetzungen ermöglichen soll. Dieser betrifft vor allem Online-Angebote für Bürger wie BAföG-Antrag und Elterngeld, weniger Unternehmensleistungen. Aber selbst die 35 im Mai für den Booster ausgewählten Leistungen werden bis Ende 2022 nicht flächendeckend verfügbar sein.
Im Oktober 2022 waren laut OZG-Dashboard weiterhin 80 Leistungen bundesweit online – nicht mehr als Mitte März. Verantwortlich hierfür sind Berlin und das Saarland, in den übrigen Bundesländern gab es in den vergangenen Monaten gewisse Fortschritte. Neben den bundesweit verfügbaren Leistungen werden im OZG-Dashboard für die 16 Bundesländer die dort jeweils flächendeckend verfügbaren Leistungen sowie die Anzahl der nur in einzelnen Kreisen oder Gemeinden angebotenen digitalen Leistungen angegeben.
Das führende Bundesland ist zum Stand Ende Oktober 2022 Bayern mit 166 landesweit verfügbaren Leistungen vor Schleswig-Holstein mit 159. Der stärkste „Aufsteiger“ im Vergleich zu März ist ebenfalls Bayern, wo 46 zusätzliche flächendeckende Leistungen angeboten werden, vor Hamburg mit 42 Leistungen. Auch bei den in mindestens einer Gemeinde verfügbaren Leistungen liegt der Freistaat mit 74 zusätzlichen Angeboten vorn. Es gibt aber auch einen „Absteiger“: In Bremen sank die Anzahl der landesweit verfügbaren Leistungen seit März von 118 auf 104: Offenbar wurden zuvor Leistungen als umgesetzt gemeldet, die einer näheren Prüfung der Online-Reife nicht standhielten und deshalb wieder aus dem Dashboard entfernt werden mussten.
Unzureichende Fortschritte durch falschen Ansatz
In den meisten Bundesländern gab es im vergangenen Halbjahr durchaus messbare Umsetzungsverbesserungen mit jeweils 20 bis über 30 zusätzlich flächendeckend verfügbaren Online-Diensten, so in Nordrhein-Westfalen (32), Niedersachsen (34) oder Schleswig-Holstein (36). Bedenkt man jedoch, dass eigentlich bis Jahresende in allen 16 Bundesländern und ihren Kommunen flächendeckend 575 Online-Leistungen für Bürger und Unternehmen verfügbar sein müssten, ist der Fortschritt weiterhin ausgesprochen gering.
Neben der zögerlichen Entwicklung neuer Online-Leistungen ist die schleppende Umsetzung bereits erstentwickelter Services auf kommunaler und Landesebene ein wichtiges Hindernis zum Erreichen der OZG-Ziele. So sind in Nordrhein-Westfalen derzeit bereits 399 verschiedene Online-Leistungen des OZG in mindestens einer Kommune verfügbar. Würden einmal entwickelte und in einzelnen Kommunen eingesetzte Lösungen zügiger landes- und bundesweit übernommen, könnte das E-Government in Deutschland deutliche Fortschritte machen. Eigentlich wurde hierzu das „Einer-für-Alle“-Prinzip (EfA) entwickelt, dem zufolge einzelne federführende Bundesländer oder Kommunen bestimmte Leistungen fertig entwickeln und allen anderen verfügbar machen. Doch fehlende Digital-Kapazitäten, falsche Prioritäten oder schlichtes Desinteresse in den Kommunen wirken weiterhin als Bremsschuh. Zudem sind entwickelte Lösungen oft an die spezifischen Bedingungen sowie die Hard- und Software der jeweiligen Kommune angepasst und lassen sich eben nicht 1:1 von anderen übernehmen. Die Neukonzeption einheitlicher Lösungen und Standards „für alle“ wurde im Dickicht föderaler und kommunaler Selbstbestimmung versäumt, sie hätte eigentlich am Beginn der OZG-Umsetzung stehen müssen.
Der Fehlschlag in der OZG-Umsetzung scheint auch dadurch mit verursacht zu sein, dass versucht wurde, komplizierte analoge Behördenvorgänge mit Online-Masken für den Nutzer zu versehen, statt die Digitalisierung zur grundlegenden Neukonzeption einer kundenorientierten Verwaltung zu nutzen. Plattformlösungen, die weitgehend automatisierte Abläufe und „intelligente“ Verfahren beinhalten, würden ein E-Government aus einem Guss mit Vereinfachungen und Einsparungen auch in den Verwaltungen erlauben. Demgegenüber bleibt die Übertragung komplexer behördlicher Abläufe auf Online-Portale mit fehlenden Digitallösungen im Background nicht nur Stückwerk, sondern wirkt zudem verwaltungsseitig eher kostensteigernd (so zum Beispiel Thomas Bönig, Leiter Digitalisierung der Stadt Stuttgart).
Schlechtes Abschneiden auch im EU-Vergleich
Die EU vergleicht den Stand der Digitalisierung und des E-Governments in ihren Mitgliedsländern im Rahmen laufender Erhebungen diverser Indikatoren des Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (Digital Economy and Society Index, DESI; vgl. Abbildung 3).
Bei den digitalen öffentlichen Diensten steht Deutschland in der EU in der aktuellen Erhebung 2022 an 18. Stelle und schneidet hiermit nach wie vor unterdurchschnittlich ab; im Vergleich zum Vorjahr ist das Land von Platz 17 noch um einen Platz abgerutscht. Führend in dem Ranking dagegen sind Estland und Finnland, während sich Rumänien abgeschlagen auf dem letzten Platz befindet. Ein klarer Abwärtstrend ist zwar nicht zu erkennen, da Deutschland im Jahr 2020 auf Platz 22 lag, doch kann Deutschland als führende Wirtschaftsnation in der EU mit dieser Platzierung nicht zufrieden sein.
Auch im Bereich der digitalen Öffentlichen Dienste für Unternehmen ist Deutschlands Positionierung innerhalb der EU nicht besser. Eine Bewertung von 79,9 Punkten (von 100) bedeutet für diesen Bereich Rang 19 (Abbildung 3). Mit ca. 80 von 100 möglichen Punkten befindet sich Deutschland damit auf dem letzten Platz einer Riege von sechs Ländern, die ungefähr gleichauf liegen, und ist bezogen auf die Punktzahl immerhin nicht weit vom EU-Durchschnitt entfernt.
Ein besseres Abschneiden Deutschlands in den Digitalen Services – insgesamt und für Unternehmen – wird unter anderem dadurch verhindert, dass hierzulande kaum vorausgefüllte Online-Formulare verfügbar sind. Ein kundenorientierter Online-Service verlangt, dass die Eingabe-Software bei Anträgen und Meldungen von Unternehmen und Bürgern auf bereits bei staatlichen Stellen verfügbare Daten über den Antragstellenden zugreift und diese Daten nicht ein weiteres Mal eingegeben werden müssen. Hier erreicht Deutschland 42 von 100 Punkten und liegt abgeschlagen auf Rang 23 von 27 EU-Ländern. Ein Grund hierfür ist eine weiterhin fehlende Verknüpfung von Registern und die unzureichende Kooperation und Kommunikation von staatlichen Stellen untereinander in Deutschland.
Wir verfolgen regelmäßig die Umsetzung des sogenannten Online-Zugangsgesetzes (OZG), mit dem die Verwaltung in Deutschland digitalisiert werden soll. Checken Sie hier den Behörden-Digimeter.
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Autor:
Dr. Klaus-Heiner Röhl Senior Economist, Themencluster Digitalisierung und Klimawandel am Institut der deutschen Wirtschaft