Der Wasserbetteffekt: Warum eine Solarpflicht für Neubauten keinen Klimanutzen hat
Der Photovoltaikanlagen-Ausbau ist von der Bundesregierung angestrebt und ist in einigen Bundesländern sogar schon verpflichtend. Die Wirkungsweise und Sinnhaftigkeit dieses Zwangs ist dabei umstritten: Kosten, Sympathieverlust gegenüber der grünen Energie und Fehlentwicklungen beim Anlagenausbau stimmen nachdenklich. Dabei wäre eine Förderung der Solarenergie leicht zu realisieren.
Der Koalitionsvertrag der neuen Regierung sieht für gewerbliche Neubauten die Verpflichtung vor, auf den Dachflächen Photovoltaikanlagen zu installieren, bei privaten Neubauten soll dies die Regel werden. In einigen Bundesländern gibt es bereits entsprechende gesetzliche Verpflichtungen, etwa in Baden-Württemberg. Dort besteht ab dem 1. Mai 2022 die als Solarpflicht bezeichnete gesetzliche Verpflichtung, unter anderem auf den Dächern von privaten Neubauten Photovoltaik-Anlagen zu installieren.
Dies ist nicht allein aus ökonomischer Perspektive eine sehr fragwürdige ordnungsrechtliche Maßnahme, insbesondere weil Photovoltaik-Kleinanlagen aktuell — und wohl auch künftig — zu den teuersten regenerativen Stromerzeugungstechnologien zählen, vor allem wegen fehlender Skaleneffekte, wie sie bei großen Solar- und Windparks erzielt werden können. Darüber hinaus verteuert die Solarpflicht das Bauen neuer Häuser und verringert so die Zahl der dringend benötigten Neubauwohnungen. Dabei haben neu bauende private Haushalte in der Regel ohnehin hohe Finanzierungslasten zu tragen, nicht zuletzt aufgrund immer weiter verschärfter Energieeffizienz-Standards.
Eingriff in die Konsumentensouveränität
Haus und Grund Baden-Württemberg schätzt die Mehrkosten für Photovoltaik-Anlagen und für einen zur Maximierung des Selbstverbrauchs von Solarstrom nötigen Stromspeicher beim Neubau eines durchschnittlichen Einfamilienhauses auf 13.000 bis 15.000 Euro. Wenngleich sich diese Kosten laut Haus und Grund Baden-Württemberg nach 15 bis 20 Jahren amortisieren sollten, stellen sich viele Fragen, die mit einer solchen Zwangsmaßnahme verbunden sind, insbesondere, ob die Lebensdauer der Anlagen die Amortisationszeit von bis zu 20 Jahren übertrifft.
Vor allem stellt eine Solarpflicht nicht nur einen starken Eingriff in die Konsumentensouveränität dar, nach der im Idealfall allein die Verbraucher entscheiden, welche Art von Gütern und Dienstleistungen sie in Anspruch nehmen wollen und in welchem Umfang. Ebenso gewichtig ist, dass eine Solarpflicht einen Eingriff in das Grundrecht der Eigentumsfreiheit darstellt, der dementsprechend einer besonderen Rechtfertigung bedarf und verhältnismäßig sein muss. Ob dieser Eingriff in allen Fällen gerechtfertigt ist, ist angesichts der unterschiedlichen Sonnenscheindauer in den verschiedenen Bundesländern sowie der Abhängigkeit des Solarstromertrags von der Art des Daches und dessen Himmelsausrichtung fraglich.
„Eine Solarpflicht würde die ohnehin nicht übermäßig groß eingeschätzten Potenziale der Photovoltaik bei Neubauten verringern.“
Die Einführung einer deutschlandweiten Solarpflicht ist selbst in der Solarbranche umstritten. So befürchtet der Präsident des Bundesverbands Solarwirtschaft, Jörg Ebel, dass von einer Solarpflicht kontraproduktive Wirkungen ausgehen könnten, weil erstens die generell vorhandene Sympathie für die Photovoltaik dadurch leiden könnte und zweitens in vielen Fällen nur die Mindestanlagengröße installiert würde, die, wenn erst einmal auf dem Dach, einer späteren freiwilligen Installation von umfangreicheren Anlagen aufgrund einer höheren Attraktivität dieser Investitionsalternative im Wege stehen würde. Dies würde die ohnehin nicht übermäßig groß eingeschätzten Potenziale der Photovoltaik bei Neubauten verringern.
Umso bedauerlicher ist vor diesem Hintergrund, dass durch die Solarpflicht, ebenso wie durch den Ausbau regenerativer Stromerzeugungstechnologien generell, aufgrund der Einbindung des Stromerzeugungssektors in den EU-Emissionshandel im Allgemeinen keine Emissionsminderungen erzielt werden, die über das im EU-Emissionshandel erreichbare Maß hinausgehen.
Es hat sich mittlerweile eingebürgert, in diesem Zusammenhang vom Wasserbetteffekt zu sprechen. Drückt man das Wasserbett an einer Stelle herunter, etwa durch die Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland, geht es an anderen Stellen nach oben, etwa durch den Mehrausstoß von Kohlekraftwerken; die gesamte Emissionsmenge in der Europäischen Union, bildlich gesprochen die Wassermenge, bleibt gleich (Wasserbetteffekt). Zudem ist es wegen der im europäischen Maßstab betrachtet geringfügigen Bedeutung der Solarpflicht kaum vorstellbar, dass die EU-Kommission sie in nennenswerter Weise bei der künftigen Festsetzung der neuen Emissionsobergrenzen für die in den EU-Emissionshandel integrierten Sektoren berücksichtigen würde.
Alternatives Steuerungsinstrument CO2-Zertifikate
Statt auf Zwangsmaßnahmen wie die Solarpflicht und weiterhin auf Subventionen mittels des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zu setzen, wäre die Politik gut beraten, den Ausbau der Erneuerbaren zunehmend dem Markt bzw. den steigenden CO2-Zertifikatpreisen zu überlassen. Bei CO2-Zertifikatpreisen im EU-Emissionshandel von knapp 100 Euro je Tonne sollten die kostengünstigsten regenerativen Stromerzeugungstechnologien, allen voran die großen Solarparks, längst die Wettbewerbsfähigkeit erreicht und somit keine EEG-Förderung mehr nötig haben. Die über 20 Jahre währende Förderung des Erneuerbaren-Ausbaus via EEG könnte deshalb, entsprechenden Mut der Politik vorausgesetzt, bald der Geschichte angehören.
Angesichts der Erhöhung des Erneuerbaren-Ziels, den Anteil grünen Stroms am Stromverbrauch bis zum Jahr 2030 auf 80 Prozent zu steigern, statt wie bislang vorgesehen auf 65 Prozent, muss jedoch stark bezweifelt werden, dass die Politik in absehbarer Zeit den Mut aufbringt, das EEG abzuschaffen. Im Gegenteil: Laut Koalitionsvertrag sollen die Einspeisevergütungen anstatt abgeschafft sogar erhöht werden, damit neue Windkraftanlagen an weniger windreichen Standorten errichtet werden. Das ist wegen der Existenz weitaus effizienterer regenerativer Stromerzeugungsalternativen, insbesondere Windparks vor den Küsten, aus ökonomischer Sicht schwer nachzuvollziehen und schafft weiteren Unmut, vor allem bei den künftigen Anwohnern von Windkraftanlagen.
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Autor:
Prof. Dr. Manuel Frondel ist außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI.