Bildungschancen stärken – Herausforderungen der Corona-Krise meistern

Der INSM-Bildungsmonitor erscheint in diesem Jahr zum 18. Mal. Sein Autor Prof. Dr. Axel Plünnecke stellt hier die zentralen Ergebnisse vor.

Über alle Bundesländer und Handlungsfelder hinweg stagnieren die Bildungsmonitor-Ergebnisse zu den Herausforderungen des Bildungssystems. Fortschritte bei Internationalisierung, Förderinfrastruktur und Betreuungsbedingungen stehen Verschlechterungen bei der Vermeidung von Bildungsarmut, der Integration und der Schulqualität gegenüber.

Empirische Studien zeigen, dass durch die coronabedingten Schulschließungen in diesen drei Handlungsfeldern in den kommenden Jahren die Probleme noch weiter zunehmen dürften. Eine eigene aktuelle Befragung von Eltern und Lehrkräften bestätigt die Befürchtungen. Um die Herausforderungen zu meistern, sollte die Digitalisierung an Schulen weiterentwickelt, die MINT-Ausbildung gestärkt, ein gezieltes Corona-Aufholprogramm umgesetzt, der Ausbau der Infrastruktur weiter vorangebracht und gezielter als bisher in gleiche Bildungschancen investiert werden.

Im Bildungsmonitor 2021 zeigen sich insgesamt nur noch sehr geringe Fortschritte gegenüber dem Bildungsmonitor 2013, bei dem erstmals die aktuelle Methodik und Indikatorenauswahl verwendet wurden. Relativ stark haben sich die Ergebnisse in den Handlungsfeldern Internationalisierung (+19,1 Punkte), Förderinfrastruktur (+18,9 Punkte) und Betreuungsbedingungen (+16,1 Punkte) verbessert. Auch gegenüber dem Vorjahr gab es hier im Durchschnitt der 16 Bundesländer weiterhin Fortschritte. Die größten Rückschritte gab es hingegen verglichen mit dem Bildungsmonitor 2013 bei der Schulqualität (-18,0 Punkte), bei der Integration (-14,9 Punkte) und bei der Reduzierung von Bildungsarmut (-3,5 Punkte). Bei der beruflichen Bildung (-7,0 Punkte) zeigen sich bereits coronabedingte Herausforderungen in den Daten.

Die bereits in den letzten Jahren verschlechterten Bewertungen in den Handlungsfeldern Schulqualität, Bildungsarmut und Integration (Bildungschancen) drohen sich im Zuge der Corona-Krise weiter zu verschärfen. Studien zeigen deutlich, dass durch längere Schulunterbrechungen aufgrund der Defizite bei der digitalen Bildung negative Effekte auf den Kompetenzerwerb eintreten (Handlungsfeld Schulqualität) und vor allem die Kompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Haushalten und mit Migrationshintergrund belastet wird (Handlungsfeld Integration). Da leistungsschwache Schülerinnen und Schüler stärker von den Schulschließungen betroffen sind, dürfte die Bildungsarmut zunehmen (Handlungsfeld Bildungsarmut).

Für diesen Befund spricht auch die Einschätzung von Eltern und Lehrkräften, die das Meinungsforschungsinstitut Civey im Sommer 2021 für den INSM-Bildungsmonitor befragt hat:

  • Knapp 56 Prozent der Eltern mit schulpflichtigen Kindern waren im Schuljahr 2020/2021 mit den Lernangeboten der Schulen eher oder sehr unzufrieden, gut 30 Prozent eher zufrieden oder sehr zufrieden. Die Unzufriedenheit war höher, wenn Eltern einen niedrigeren Bildungsabschluss aufweisen oder in kaufkraftschwächeren Regionen leben.
  • 16,5 Prozent der Lehrkräfte in Deutschland geben an, dass es bei „fast allen“ Schülerinnen und Schülern durch die besondere Situation im Schuljahr 2020/2021 gravierende Lernrückstände gibt, weitere rund 30 Prozent sehen dieses Problem „bei mehr als der Hälfte“. Besonders kritisch bewerten Lehrkräfte aus Regionen mit sehr niedriger Kaufkraft die Situation – hier geben rund 24 Prozent der Lehrkräfte an, dass bei fast allen ihrer Schülerinnen und Schüler gravierende Lernlücken entstanden sind – verglichen mit rund 13 Prozent der Lehrkräfte aus Regionen mit mittlerer, hoher oder sehr hoher Kaufkraft.

Damit sich die Ungleichheit der Bildungschancen nicht weiter verschärft, sondern die Gleichheit der Chancen zunimmt, sind spürbare Bildungsimpulse nötig:

  • Digitalisierung der Schulen weiterentwickeln: Zur Umsetzung der Digitalisierungsstrategie werden für Administration und Unterstützung der Lehrkräfte 20.000 zusätzliche IT-Stellen an den Schulen benötigt. Ferner müssen die Lehrkräfte für den Einsatz digitaler Technologien im Unterricht und für das Begleiten der Schülerinnen und Schüler im Homeschooling besser qualifiziert und das Feedback der Lehrkräfte untereinander zum digitalen Unterricht weiter gesteigert werden. Die kommenden Vergleichsarbeiten sollten entsprechend weiterentwickelt werden. Schließlich sollte eine intelligente Lernsoftware entwickelt werden, die Schülerinnen und Schüler motiviert und Lerndefizite individuell beheben kann.
  • MINT stärken: Um digitale Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu stärken, sollte das Schulfach IT flächendeckend eingeführt werden. Ferner ist die MINT-Lehrkräfteversorgung sicherzustellen. Durch eine klischeefreie Berufs- und Studienorientierung sind die Potenziale der Frauen für die MINT-Berufe besser zu erschließen. Darüber hinaus ist zur Stärkung der MINT-Bildung der gesamte Bildungsprozess in den Blick zu nehmen.
  • Gezieltes Corona-Aufholprogramm: Um die negativen Effekte der Corona-Pandemie auf die Bildung der Schülerinnen und Schüler zu verringern, sind neben der weiteren Digitalisierung zusätzliche Fördermaßnahmen für die Schülerinnen und Schüler mit Lernverlusten durchzuführen. An allen Schulen und in allen Jahrgängen sollten Vergleichsarbeiten durchgeführt werden, um den Umfang des Lernverlustes systematisch zu ermitteln. Auf dieser Grundlage könnten dann Nachqualifizierungsprogramme entwickelt werden.
  • Ausbau der Infrastruktur: Über die Corona-Krise hinaus sollten Bildungschancen durch einen Ausbau der Infrastruktur verbessert werden. Insgesamt fehlen noch immer mehr als 340.000 Plätze für unter dreijährige Kinder. Zudem besteht ein Mangel an 645.000 Ganztagsplätzen für Grundschulkinder. Um die Qualität der Infrastruktur zu verbessern, sollten eine Ausweitung multiprofessioneller Teams (IT-Experten, Gesundheitsberater, Schulpsychologen) und eine Weiterentwicklung der Bildungseinrichtungen zu Familienzentren vorgesehen werden. Die Sprachförderung sollte möglichst früh im Leben einsetzen und bei Bedarf sehr intensiv erfolgen.
  • Gezielter investieren: Betreuungseinrichtungen, die sich um besonders viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund oder sonstigem besonderen Unterstützungsbedarf kümmern, benötigen mehr Personal als andere. Diese zusätzlichen Bedarfe sollten bei der Verteilung der finanziellen Mittel berücksichtigt werden. Grundlage hierfür sollte ein Sozialindex sein, der die familiären Hintergründe der Schüler statistisch erfasst. Lehrkräfte an diesen Schulen sollten für besondere Leistungen in den Schwerpunktschulen zusätzlich honoriert werden. Ferner sollten Stellen für Chancenbeauftragte an Schulen geschaffen werden, die Konzepte entwickeln und umsetzen, wie die im Zuge der Corona-Krise entstandenen Einbußen an Chancengleichheit kompensiert und darüber hinaus nachhaltig Chancengleichheit bei der Bildung erreicht werden können. Daten aus Vergleichsarbeiten sollten zur Evaluation von Konzepten genutzt werden.

Insgesamt sind für dieses Programm neben den Einmalkosten von 6,8 bis 9 Milliarden Euro zusätzliche jährliche Ausgaben in Höhe von 16 bis 17,3 Milliarden Euro notwendig. Hierdurch können Bildungschancen gestärkt und die Herausforderungen der Digitalisierung, der Dekarbonisierung und der Demografie besser gemeistert werden. Langfristig stärkt dieses Maßnahmenbündel im Sinne einer investiven Sozialpolitik das Wachstum und trägt zur Sicherung von Wohlstand und Teilhabechancen bei.

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Autor:

Prof. Dr. Axel Plünnecke ist stellvertretender Leiter des Wissenschaftsbereichs Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik und Leiter des Kompetenzfelds Humankapital und Innovationen beim Institut der deutschen Wirtschaft.

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