Rententricksereien kosten Milliarden"
Prof. Dr. Diether Döring

„Die Rente mit 67 muss kommen“

An der Rente mit 67 sollte auch in der Wirtschaftskrise festgehalten werden, sagt Rentenexperte Diether Döring. In einem Interview mit dem "Handelsblatt" erklärt der Professor für Sozialpolitik an der Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main, warum ein späteres Renteneintrittsalter unvermeidbar ist.

23. Juni 2009

"Im Gegensatz zu manch anderen Ländern wie die Schweiz oder Skandinavien, die relativ hohe Beschäftigungsraten von Älteren nach dem 60. Lebensjahr erreichen, war Deutschland auf diesem Gebiet wenig erfolgreich", kritisiert Döring im Interview mit dem Handelsblatt. "Zwar hat sich statistisch gesehen das Ausstiegsalter etwas nach hinten geschoben. Studien zeigen allerdings, dass es nur einer Minderheit gelingt, die eigene Berufstätigkeit bis 63 oder gar 65 fortzusetzen und dann aus der Tätigkeit in den Ruhestand zu gehen. Tatsächlich erfahren viele Ältere längere Arbeitslosigkeit oder Wartepositionen. Das macht die Menschen skeptisch gegenüber der Rente mit 67. Sie sehen für sich gar nicht die Chance, bis 65 oder künftig sogar 67 tätig zu sein."

"Betrachtet man die Strategie jener, die da erfolgreicher sind, fallen einem folgende Punkte auf: Der jeweilige Arbeitsmarkt macht ein sehr differenziertes und flexibles Arbeitszeitangebot, mit dem auch Ältere eingestellt werden können. Die Schweiz hat zum Beispiel einen hohen Anteil von unterschiedlichen Teilzeittätigkeiten. Entscheidend ist auch die berufliche Weiterbildung nach dem 50. Lebensjahr. Da sieht es sehr armselig bei uns aus. Der wichtigste Aspekt aber ist die Bildung selbst. Liegt das Niveau der Ausgangsbildung hoch, hilft es den Menschen, lange im Beruf zu bleiben. Zugegeben: Wer körperlich arbeitet, als Facharbeiter, Arbeiter oder angelernter Arbeiter, der hat nach 60 wirklich schlechte Karten."

"Das prinzipielle Konzept eines späteren Berufsausstiegs ist natürlich auf lange Sicht unvermeidbar. Nach 2010 wird der demografische Wandel härter greifen und nach dem Jahr 2020 nochmals deutlich. Man kann also darüber streiten, ob man es jetzt umsetzt oder in fünf Jahren, aber nicht darüber, dass es passieren muss."

"Blieben wir beim Rentenalter von 65, dann wäre das ein Belastungsanstieg mit Blick auf die Beiträge zur Rentenversicherung. Idealerweise sollte ein späterer Berufsausstieg in einer Phase der ansteigenden Beschäftigung angestoßen werden. Doch wann die kommt, kann derzeit keiner sagen. Im Moment dominiert unser wirtschaftlicher Einbruch die Szenerie. Wenn wir im kommenden Jahr eine deutliche Wende bekommen, dürften wir relativ geringe Probleme haben. Doch sollten wir in eine mehrjährige Krise rutschen, dann verändert das natürlich die Situation. Aber das werden wir nicht jetzt wissen, bestenfalls 2010. Es wäre also angebracht, derzeit alles zu lassen wie geplant und abzuwarten."

"Die traditionelle deutsche Denkweise lässt sich mit einer Stilllegungsthese formulieren: Wenn wir Arbeitslosigkeit bei den Jungen haben, schicken wir die Alten früher raus, um die Chancen der Jungen zu erhöhen. Diese These haben in den 70er und 80er Jahren sowohl Unternehmen als auch Gewerkschaften so vertreten. Bei europäischen Vergleichen fällt jedoch auf, dass Länder mit einer hohen Erwerbsbeteiligung insgesamt und der Älteren im Schnitt sehr viel geringere Arbeitslosenraten haben, auch bei den Jungen. Das heißt: Jene Volkswirtschaften, die ihre personellen Ressourcen nutzen und nicht stilllegen, haben langfristig mehr Erfolg – in der Wirtschaft allgemein und bei der Beschäftigung. Ein Grund dürfte darin liegen, dass eine hohe Erwerbsbeteiligung die Beitragszahler und ihre Arbeitgeber generell entlastet und größere Spielräume in der Beschäftigung schafft."

"Wir schauen immer nur darauf, wann die Älteren aufhören oder es ihnen zugestanden wird, dass sie aufhören. Aber wir übersehen dabei, dass die wichtigste Entwicklung bei den jungen Leuten stattfindet. Die Menschen, die heute im Ruhestand sind, hatten meist einen sehr frühen Start in die Berufstätigkeit. Sie brachten allein schon bis zum Alter von 60 etwa 45 Jahre Berufsbiographie hinter sich. Wer aber heute eine akademische Ausbildung absolviert, der startet unter Umständen erst mit 30 in eine bezahlte Arbeit – mit Konsequenzen für die Alterssicherung."

"Die wichtigste Folgerung dieser neuerlichen Debatte ist schon, mehr Akzente auf eine positive Strategie zu setzen, um die Beschäftigungsfähigkeit älterer Erwerbstätiger anzuheben. Die Tarifpartner könnten Weiterbildungsangebote, vielleicht sogar Weiterbildungsverpflichtungen tariflich vorsehen. Unternehmen könnten energischer eine Förderstrategie verfolgen – zum Beispiel begleitend zu den gegenwärtigen Kurzarbeitsmaßnahmen. Das findet bislang kaum statt."