Soziale Marktwirtschaft
Über Wolfgang Clement

Ein Freund wird 80

Namensbeitrag von Dr. Michael Vesper aus der Festschrift zum 80 Jährigen Geburtstag von Wolfgang Clement.

Das waren noch Zeiten! Eine Karikatur vom 15. Mai 2000: Am Tag zuvor hatte Wolfgang Clement seine erste (und zugleich letzte) Landtagswahl als Ministerpräsident überstanden, mit immerhin 42,8 Prozent, und nun musste er zwischen zwei möglichen Koalitionspartnern in Gestalt zweier Kröten wählen, die eine mit, die andere ohne Schnurrbart. Da steht er in seiner ganzen Pracht, scheint zu zögern und ein wenig unschlüssig von der einen Kröte zur anderen zu blicken – auch wenn man ahnt, welcher der beiden er eher zuneigt.

Aber Wolfgang Clement als Prinz? Zögernd? Unschlüssig? Passt das? Kaum.

Gewiss, Wolfgang Clement war lange – für seine Begriffe zu lange – „Kronprinz“ von Johannes Rau. Aber das ist zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre vorbei, er trägt bereits die Königskrone des Ministerpräsidenten auf dem Haupt. Und in der langen Liste der Wolfgang Clement zugeschriebenen Charakteristika finden sich die Begriffe „zögernd“ und „unschlüssig“ nicht. Im Gegenteil, er steht im Ruf, nach dem Prinzip zu handeln: Herr, gib mir Geduld, aber gefälligst sofort!

Ich lernte Wolfgang Clement vor mehr als 30 Jahren in der nordrhein-westfälischen Landespolitik kennen – und sogleich schätzen. Er war der Macher, manche sagen: der Rammbock von Johannes Rau und bald auch sein Kronprinz; ich strebte für die Grünen in den Landtag, den wir am Muttertag 1990 endlich enterten. Fünf Jahre später fanden wir uns dann in der Landesregierung wieder. Die Grünen hatten ihr Ergebnis auf 10 Prozent verdoppelt, die FDP musste mit 4 Prozent draußen bleiben. Und die SPD? Sie hatte ein deprimierendes Ergebnis – heute schmunzelt man, damals empfanden die Genossen es so – von nur 46 Prozent und war angewiesen auf einen grünen Koalitionspartner, mit dem sie nun ganz bestimmt nicht regieren wollte. Aber sie musste, denn nicht nur die gewohnte absolute Mehrheit, sondern auch die FDP waren weg.

Wolfgang Clement war weder zögerlich noch unschlüssig, sondern er war in dieser Situation das Antidepressivum seiner Partei. Er führte sie nüchtern in die ungeliebte Koalition, handelte mit uns in nächtelangen Sitzungen den Vertrag aus und übernahm als Wirtschafts- und Verkehrsminister das Kommando der sozialdemokratischen Streitmacht auf den Gefechtsfeldern Kohle und Mobilität.

Nach drei langen Jahren wurde er dann im Mai 1998 endlich Ministerpräsident, mit Unterstützung der Grünen. Zwei Jahre später schaffte er die Wiederwahl – aber nun eben in veränderter Lage: Die FDP war wieder drin und bot sich begierig als gefügiger Partner an. Die demonstrativen Rolltreppenfahrten von Wolfgang Clement mit Jürgen Möllemann im Foyer des Stadttors rauf und runter sind Legende; sie sollten uns Grüne quälen. Da ist die Karikatur mit dem sehnsüchtigen Lächeln, gezeichnet am Tag der Wahl, fast ein bisschen prophetisch. Aber es war nichts mit der Neuauflage einer sozialliberalen Koalition, sie war gegen die SPD im Land und vor allem im Bund nicht durchsetzbar. Bis zum Herbst 2002 blieb Clement Ministerpräsident; dann wechselte er, Gerhard Schröder hatte gerufen, gegen den Rat vieler Freunde (und zum Entsetzen von Johannes Rau) als Minister für Wirtschaft und Arbeit nach Berlin.

Sein Ehrgeiz war es zu zeigen, wie man ein großes Industrieland im Umbruch regiert und einen Strukturwandel hinbekommt, der trägt und die Region ins 21. Jahrhundert katapultiert – und das alles weniger mit Gefühl und Seligkeit als klar und fokussiert aufs Handeln. Dabei war und ist es mit ihm nie langweilig, er sorgt immer wieder für Überraschungen und Brüche. So wollte Clement zu Beginn seiner ersten Amtszeit als MP auch dem letzten Beobachter zeigen, dass unter ihm nun ein neues Kapitel begann. Als Erstes verkleinerte er das Kabinett deutlich (auf Kosten der SPD-Ressorts, die beiden grünen blieben erhalten), was allseits sehr gelobt wurde. Allerdings ging er dabei einen Schritt zu weit, denn die Zusammenlegung von Innen- und Justizministerium ließ sich gegen das Verfassungsgericht nicht durchsetzen.

Dann das Stadttor. Wolfgang Clement wollte die Villa Horion so schnell wie möglich verlassen, den damaligen Sitz des Ministerpräsidenten, mit dunkel getäfelten Wänden und knarrenden Dielen, oft verspottet als Pförtnerhäuschen von Mannesmann. Seine Wahl fiel stattdessen auf das einen Steinwurf entfernte Stadttor, ein modernes Bürogebäude. Dumm nur, dass der Rohbau bereits stand und nur noch Teilflächen zur Anmietung zur Verfügung standen, darunter nicht die repräsentativen obersten Stockwerke, sozusagen das Dach des Tors, dort saßen und sitzen Anwaltskanzleien. Fortan residierte der Ministerpräsident auf einigen zusammengewürfelten Etagen in einem Gebäude, das von außen etwas hermachte, aber innen nicht auf die Bedürfnisse einer Regierungszentrale hin gebaut worden war. Die Gänge waren so schmal, dass keine zwei Personen nebeneinander gehen konnten, was bei Staatsbesuchen gelegentlich zu peinlichen Situationen führte.

Die andere Seite der Medaille seiner manchmal brachialen Entschlusskraft ist Wolfgang Clements Offenheit und Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber. Er kämpft mit offenem Visier. Während unter Johannes Rau alle Konflikte immer möglichst vor der Kabinettssitzung bereinigt und durch Kompromisse gelöst sein mussten, andernfalls gab es eine Vertagung mit der freundlichen Ermahnung, sich doch noch einmal zusammenzusetzen, konnte man bei Clement nie wirklich wissen, was am Ende herauskam. Er liebte die Auseinandersetzung in der Sache. Das machte die Arbeit mit ihm spannend, und man ging ins Kabinett nicht wie ein Notar, der vorher gefasste Beschlüsse beurkundete, sondern wie ein Sportler in einen Wettkampf. Außerhalb der Sitzungen konnten wir – und können wir noch heute – stundenlang miteinander diskutieren, uns gemeinsam auf- und wieder abregen, herzlich lachen und dabei ein gutes Glas Wein trinken.

Wolfgang Clement verstand sich nicht nur als CEO der Nordrhein-Westfalen AG, er war und ist auch ein großer Kultur- und Sport-Fan. Er war es, der die Ruhrtriennale, das wichtigste Kulturfest Nordrhein-Westfalens, damals auf den Weg brachte, mit Gerard Mortier als Gründungsintendanten. Und ihm gelang das geradezu Unmögliche, nämlich die Region an Rhein und Ruhr im Zuge der Olympiabewerbung mit Düsseldorf als Fahnenträger zu vereinen und selbst Köln dahinter zu versammeln.

...ein Mensch mit vielen Facetten...auf dem Teppich bleibend und doch visionär.

Wolfgang Clement ist ein Mensch mit vielen Facetten: neugierig und mit beißendem Humor, entscheidungsstark und verlässlich, liebenswürdig und undogmatisch, aber wenn ihm etwas quer läuft, gelegentlich auch hart in seiner Kritik, er ist ausdauernd und weder sich selbst noch sein Umfeld schonend, auf dem Teppich bleibend und doch visionär. Kein Prinz. Ein Mensch. Ein Freund.

 

Dr. Michael Vesper

NRW-Minister für Bauen und Wohnen – ab 2000 Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport – und stellvertretender Ministerpräsident in NRW (1995–2005)
Generalsekretär (2006–2014) und Vorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) (2014–2017)