Regierungspolitik im Deutschland-Check

Deutschland-Check Oktober 2010

Im Deutschland-Check Oktober 2010 von INSM und WiWo bewerten die Wissenschaftler des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln die Neuregelungen zu offenen Immobilienfonds und das Gesetz zur Neuberechnung der Hartz IV-Regelsätze.

15. Oktober 2010

Konjunkturkurven

Die Wirtschaftsentwicklung hat die Verschnaufpause im Sommermonat August genutzt, um neuen Schwung zu holen. Sowohl der Arbeitsmarktindex wie auch der Wachstumsindex signalisieren eine ungebremste Aufbruchstimmung. Beide Indikatoren konnten gegenüber dem Vormonat erhebliche Positionsgewinne verzeichnen.

Auch im September ging die Arbeitslosigkeit zurück. Bei der Bundesagentur für Arbeit waren in diesem Monat saison- und kalenderbereinigt nur noch 3,15 Millionen Personen als arbeitslos registriert, das waren 40.000 weniger als im Vormonat. Damit hat sich der Rückgang der Arbeitslosigkeit im August sogar beschleunigt fortgesetzt. Auch die Nachfrage der Wirtschaft nach Arbeitskräften – gemessen an den offenen Stellen - hat sich im September erneut positiv entwickelt. Saisonbereinigt stieg sie um 4.000 Arbeitsangebote an. Dazu passt auch die Entwicklung bei der Kurzarbeit, die bis zuletzt in hohem Tempo zurückgegangen ist. Ingesamt legte der Arbeitsmarktindex im September um 1,2 Prozent zu und damit sogar schneller als noch im Vormonat (+1 Prozent).

Der Wachstumsindex verbesserte im September sich gleich um 3 Prozent und konnte so den Rückgang im Vormonat (-1 Prozent) mehr als wettmachen. Zu diesem fulminanten Ergebnis begeitragen haben diesmal alle drei Einzelindikatoren: Die Lageeinschätzung der Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft hat sich im September von einem hohen Niveau aus nochmals verbessert (+1,4 Prozent). Wenn irgendwo der Buchstabe „V“ zur Beschreibung des Verlaufs gerechtfertigt ist, dann bei diesem Indikator, der nur noch wenig von seinem Vorkrisenniveau entfernt ist. Die stürmische Aufwärtsentwicklung bei den Auftragseingängen in den Vormonaten ist nun auch bei der Produktionsentwicklung angekommen. Nach der eingetrübten Stimmung an den Finanzmärkten im August hellte sich im September auch hier das Bild auf. Der Optimismus kehrte zurück, der DAX-Performance-Index machte mit einem Plus von 5,1 Prozent einen kräftigen Satz nach vorn.

Neuregelungen zu offenen Immobilienfonds

Das Kabinett hat am 22. September 2010 den Gesetzentwurf zur Stärkung des „Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes“ verabschiedet. Dieser Gesetzentwurf enthält weit reichende Neuregelungen zu offenen Immobilienfonds: Künftig soll eine Mindesthaltedauer von zwei Jahren für alle Neu-Anleger gelten. Offene Fonds, die aufgrund von Liquiditätsengpässen keine Anteilsscheine mehr zurücknehmen können, sollen dann endgültig abgewickelt werden, wenn der Fonds innerhalb eines 5-Jahreszeitraumes das dritte Mal geschlossen werden muss. Offene Immobilienfonds stellen mit einem verwalteten Vermögen von etwa 80 Milliarden Euro eine wichtige Anlageklasse dar, gerade auch für Kleinanleger. Im Rahmen der Finanzkrise mussten einige Fonds die Anteilsrückgabe einstellen: Etwa über ein Viertel des in offenen Immobilienfonds investierten Kapitals kann derzeit nicht verfügt werden.

Mit der Einführung einer Mindesthaltedauer geht die Bundesregierung in die richtige Richtung. Allerdings greift die Regelung nur in den ersten Jahren der Anlage. Nach vier Jahren können die Anleger ihr Kapital wieder schnell freisetzen, was den Fonds vor Probleme stellen kann. Insbesondere dann, wenn sich ein großer institutioneller Anleger sein Kapital überraschend auszahlen lässt. Gerade in der Finanzkrise zeigte sich, dass gerade große institutionelle Anleger offene Immobilienfonds vor Probleme stellen. Alternativ sollte im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses über eine Kündigungsfrist nachgedacht werden, gegebenenfalls gestaffelt nach dem Anlagevolumen. Mit der Freigrenze von 5.000 Euro monatlich sind Kleinanleger nicht von Mindesthaltefristen und Abschlägen betroffen. Die zwingende Abwicklung der offenen Fonds bei der dritten Schließung ist vor allem als Drohkulisse zu verstehen. Offene Immobilienfonds werden künftig daher noch genauer prüfen, ob eine temporäre Schließung tatsächlich unausweichlich ist.

Insgesamt ist der Gesetzentwurf geeignet, die Anlageklasse zu stabilisieren. Gerade für institutionelle Investoren werden die Haltefristen abschreckend wirken, so dass der offene Immobilienfonds wieder primär zu einem Produkt für Kleinanleger wird. Das Segment kann sich somit gesund schrumpfen.

Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch

Die Ermittlung des Regelbedarfes für Empfänger von Arbeitslosengeld II war vom Bundesverfassungsgericht beanstandet worden. Das Verfahren zur Ermittlung sei zwar grundsätzlich geeignet, im Detail aber zuwenig transparent. Die Neuregelung trägt der Kritik des Bundesverfassungsgerichtes Rechnung. Die Datenbasis wurde von der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Jahres 2003 auf die EVS 2008 umgestellt. Die Bemessung der Regelsätze erfolgt in Anlehnung an die Ausgaben des unteren Fünftels der Einkommensbezieher, wobei die Transferempfänger aus diesem Personenkreis herausgerechnet werden. Dadurch wird vermieden, dass sich der Regelsatz am Ausgabenverhalten der Regelsatzempfänger selbst bemisst.

Während in der alten Regelsatzbemessung noch prozentuale Abschläge von Ausgaben für bestimmte Gütergruppen vorgenommen wurden, gibt es nach dem neuen Verfahren diese Abschläge nicht mehr. Eine Gütergruppe ist entweder vollständig Teil des sozio-kulturellen Existenzminimums oder gar nicht. Nennenswerte Änderungen der Zusammensetzung der zum Existenzminimum gehörenden Gütergruppen bestehen in der Hinzunahme von Praxisgebühren und den Kosten für einen Internetzugang sowie dem Ausschluss von Ausgaben für Tabak und Alkohol. Die Regelsätze für Kinder werden im neuen Verfahren nicht mehr prozentual aus den Regelsätzen für Erwachsene berechnet, sondern eigenständig aus den Ausgaben des unteren Einkommensquintils ermittelt.
Im Ergebnis erhöht sich der für Erwachsene maßgebliche Eckregelsatz von zuvor 359 auf 364 Euro im Monat.

Mit dem neuen Verfahren zur Berechnung der Regelsätze werden die Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichtes berücksichtigt. Das Verfahren ist transparent und – soweit möglich – objektiv. Die Herausrechnung der Transferempfänger aus der Gruppe der Referenzhaushalte zur Vermeidung von Zirkelschlüssen ist sachgerecht. Die Kritik, es würden statt der unteren 20 Prozent nur noch die unteren 15 Prozent der Einkommensbezieher betrachtet, um damit die Regelsatzhöhe zu senken, ist unzutreffend. Da die Transferempfänger geringere Einkommen aufweisen als die anderen Haushalte der Referenzgruppe, erhöht sich das regelsatzrelevante Ausgabenniveau. Die Koppelung an das Preisniveau – auch indirekt im Rahmen eines zusammengesetzten Indikators – ist jedoch problematisch. Bei sinkenden oder stagnierenden Reallöhnen kann sich der Lohnabstand zwischen Transfers und unteren Lohngruppen verringern, so dass der Anreiz, eine Beschäftigung aufzunehmen, sinkt. Die Orientierung an der Preisentwicklung ist auch nicht sachgerecht, da der Regelsatzbemessung kein normativ definierter Warenkorb zugrunde liegt, sondern dem Ausgabenniveau einer Bevölkerungsgruppe folgt.