Im Deutschland Check Juni von INSM und WiWo bewerten die Wissenschaftler des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie, sowie die Novellierung des EEG.
18. Juni 2011
Wirtschaftsentwicklung: Fulminantes erstes Quartal
„Deutsche Wirtschaft in glänzender Verfassung“ – so kommentierte der neue Bundeswirtschaftsminister, Dr. Philipp Rösler, die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen zum Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal 2011. Saisonbereinigt gegenüber dem ersten Quartal war das reale BIP überraschend stark um 1,5 Prozent gewachsen. Gemessen am Vorjahresniveau betrug der Zuwachs 5,2 Prozent. Der durch die schwerste Nachkriegsrezession ausgelöste scharfe Einbruch der realen Wirtschaftsleistung wurde damit bereits im 1. Vierteljahr 2011 wieder übertroffen. In den bis dato vorliegenden Konjunkturprognosen wurde dies erst für Mitte bis Ende 2011 erwartet. Erfreulich auch: Treibende Kraft für das gute Ergebnis war die Binnennachfrage, insbesondere die Investitionen in Ausrüstungen und Bauten. Auch die Konsumausgaben zogen an. Der Aufschwung steht somit auf einem breiten Fundament und wird nicht mehr allein vom Export getragen. Insofern wundert es nicht, dass die Kritik aus dem Ausland am „Geschäftsmodell Deutschland“ mittlerweile verstummt ist. Deutschland hat sich zur Konjunkturlokomotive in Europa gemausert und sorgt über steigende Importe auch für zusätzliche Nachfrage in unseren Nachbarländern. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln geht nunmehr davon aus, dass das reale Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 3 ½ Prozent ansteigt und genauso stark wächst wie im Nachkrisenjahr 2010.
Das hohe Wachstumstempo des ersten Quartals, auch begünstigt durch Nachholeffekte wegen des frühen und strengen Winters, wird allerdings im zweiten Quartal nicht zu halten sein. Dies signalisieren auch die Entwicklungen des Arbeitsmarkt- und Wachstumsindex im Mai. Der Aufwärtstrend des Arbeitsmarktindex verlor etwas an Tempo, beim Wachstumsindex sind sogar leichte Verluste zu verzeichnen.
Die Mai-Ergebnisse im Einzelnen:
Im Mai trugen beide Teilindikatoren zum Anstieg des Arbeitsmarktindex bei. Allerdings hat sich das Entwicklungstempo im Mai gegenüber den Vormonaten abgeschwächt:
Die gute Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes in und nach der schweren Rezession und die Diskussion über zunehmende Fachkräfteengpässe am deutschen Arbeitsmarkt zeigen, dass hohe Arbeitslosigkeit nicht unser Schicksal sein muss und Vollbeschäftigung keineswegs eine unerfüllbare Illusion bleiben muss. Um dem Vollbeschäftigungsziel Nachdruck zu verleihen, wird mit dieser Ausgabe des D-Checks der Arbeitsmarktindex um einen Zieltrichter erweitert und grafisch umgesetzt (siehe Abb. Arbeitsmarktindex). Der Zieltrichter ist so konstruiert, dass bei einer Bewegung des Arbeitsmarktindexes innerhalb des Trichters bis Mitte 2015 eine Arbeitslosenquote zwischen 3 Prozent (oberer Trichterrand) und 4 Prozent (unterer Trichterrand) erreicht wird. Bleibt der Arbeitsmarktindex innerhalb des Trichters wäre der Arbeitsmarkt somit auf Vollbeschäftigungskurs. Vollbeschäftigung ist nicht erst bei einer Arbeitslosenquote von null Prozent erreicht. Allein schon wegen der natürlichen Fluktuation auf einem funktionierenden Arbeitsmarkt liegt die Quote deutlich höher. Denn ein dynamischer und flexibler Arbeitsmarkt ist immer in Bewegung, Arbeitsplätze gehen verloren und neue entstehen. Die Frage, bei welcher Arbeitslosenquote Vollbeschäftigung genau erreicht ist, lässt sich kaum eindeutig beantworten und ändert sich im Zeitablauf. Der Zieltrichter trägt dieser definitorischen Ungenauigkeit Rechnung, indem er eine Spanne vorgibt.
Der Startpunkt für den Zieltrichter wurde auf den Wendepunkt des Arbeitsmarktindex im Juli 2009 gelegt. Die Entwicklung zeigt, dass die Entwicklung in den ersten Monaten knapp unterhalb des unteren Trichterrands verlief. Im September 2009 setzte dann eine merkliche Beschleunigung des Arbeitsmarktindex ein mit der Folge, dass er sich seit Mai 2010 innerhalb des Zieltrichters in Richtung oberen Rand bewegt.
Wachstumsindex
(Anmerkung: Das Ifo-Institut hat mit Wirkung vom Mai 2011 die Gewichtung seines Index einer aktualisierten Wirtschaftszweigklassifikation angepasst. Zudem wurde das Basisjahr von 2000 auf 2005 verändert. Beide Änderungen wurden hier übernommen. Durch diese Revision hat sich der Wachstumsindex, in der Ifo-Lage-Index mit einem Viertel eingeht, rückwirkend leicht verändert, ohne jedoch die bisherigen Bewertungen stark zu beeinflussen).
Der Wachstumsindex tendierte im Mai negativ:
Ein Blick auf die fünf Einzelindikatoren zeigt ein unverändertes nur marginal verändertes Bild bei den beiden Arbeitsmarktindikatoren. Durch die Neuberechnung des Ifo-Geschäftsklimaindex hat der Ifo-Lage-Index trotz des leichten Plus im Mai etwas an Boden verloren, liegt aber nach wie vor deutlich über dem Vorkrisenniveau. Deutlicher abgerutscht ist der DAX-Performance-Index. Nach wie vor gilt, dass nur die Industrieproduktion den Vorkrisenwert noch nicht wieder erreicht hat.
Was ist geplant?
Die Bundesregierung plant als Reaktion auf das Reaktorunglück in Japan und die öffentliche Forderung nach einem Ausstieg aus der Kernenergie eine drastische Verkürzung der Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke. Die acht im Zuge des Moratoriums vom März vorläufig stillgelegten Kraftwerke sollen dauerhaft stillgelegt werden. Eines dieser Kraftwerke soll bis zum Winter 2012/2013 als Reserve vorgehalten werden. Die anderen Kernkraftwerke sollen bis 2022 schrittweise abgeschaltet werden.
Damit vollzieht die Bundesregierung hinsichtlich der Kernenergienutzung eine grundlegende Kehrtwendung gegenüber dem Energiekonzept aus dem Herbst 2010, in dem die Laufzeiten der Kernkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre verlängert wurden. Sie bezieht sich dabei nicht auf eine materielle Veränderung der Situation der Kraftwerke in Deutschland, sondern auf eine durch die Ereignisse in Japan verursachte neue gesellschaftliche Wertung von Risiken.
Andere Rahmenbedingungen des Energiekonzepts bleiben davon unberührt. Die Festlegung auf eine weitgehende Stromversorgung aus erneuerbaren Energien bis zur Mitte des Jahrhunderts bleibt bestehen. Damit werden lediglich die mittelfristigen Entwicklungen auf dem Weg dorthin verändert. Um die Versorgungssicherheit laufend zu sichern, soll der Bau von Kraftwerken und Leitungsnetzen beschleunigt werden. Energieintensive Industrien sollen bis zu 500 Millionen Euro als Kompensation für höhere Strompreise erhalten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht durch energiepolitische Entscheidungen zu gefährden.
Bewertung durch das IW Köln: 1 von 5 Sternen
Begründung:
Die Bundesregierung basiert ihre Entscheidung, die Nutzung der Kernenergie schneller als bisher zu beenden, auf einer veränderten Risikobewertung in der Gesellschaft. Diese ist maßgeblich geprägt durch das Unglück in Japan, auf das die Bundesregierung mit einem vorübergehenden Abschalten von insgesamt acht Reaktoren reagiert hat. Diese Entscheidung kann rückblickend eher als Vorfestlegung zur Zukunft der acht Kraftwerke angesehen werden denn als Startpunkt einer ergebnisoffenen Diskussion.
Die Wertenscheidung zum Umgang mit nicht auszuschließenden Restrisiken der Kernenergie, die durch niedrige Eintrittswahrscheinlichkeit aber hohen denkbaren Schaden charakterisiert sind, kann zugunsten oder zulasten der Technologie gefällt werden. Dabei müssen jedoch technische Voraussetzungen und ökonomische Auswirkungen klarer benannt und berücksichtigt werden, als dies in dem engen Zeitfenster der letzten Wochen geschehen konnte. Auch die Arbeit der Ethikkommission musste aufgrund der knappen Zeit vor der Beantwortung zahlreicher wichtiger Fragen beendet werden.
Verschiedene Aspekte des beschleunigten Ausstiegs erscheinen besonders problematisch:
Positiv zu würdigen ist die Ankündigung der Bundesregierung, eine übermäßige Belastung energieintensiver Unternehmen zu verhindern. Ob es tatsächlich gelingt, die Wettbewerbsfähigkeit dieser Branchen durch den beschleunigten Kernenergieausstieg nicht zu gefährden, wird von der konkreten Ausgestaltung möglicher Kompensationen abhängen.
Was ist beabsichtigt?
Das EEG wird regelmäßig evaluiert und an neue Entwicklungen und Rahmenbedingungen in der Energiewirtschaft angepasst. Die nächste EEG-Novelle soll am 1.01.2012 in Kraft treten. Sie zielt im Wesentlichen auf drei Entwicklungen ab. Die wichtigsten Maßnahmen:
(1) Erneuerbare Energien (EE) sollen zunehmend direkt an der Strombörse vermarktet werden. Das Preissignal des Marktes soll die relevante Rolle für die Entwicklung der erneuerbaren Energien spielen. Insbesondere fluktuierende EE – wie Wind- oder Sonnenkraft – sollen dabei stärker in den Strommarkt integriert werden.
(a) Einführung einer Marktprämie
Die Marktprämie deckt die Differenz aus dem Verkaufserlös direkt an der Strombörse vermarkteten EEG-Stroms (Direktvermarktung) und der EEG-Vergütung ab. Sie kann vom Anlagenbetreiber optional anstelle der gesetzlich garantierten EEG-Vergütung gewählt werden. Durch die Direktvermarktung zusätzlich entstehende Kosten (z.B. für die Handelsteilnahme oder Prognosen) werden technologiespezifisch berücksichtigt.
(b) Anpassung des Grünstromprivilegs
Energieversorgungsunternehmen sind im Falle der Direktvermarktung von der Zahlung der EEG-Umlage bis zu einer Höhe von maximal 2 ct/kwh befreit wenn, sie mehr als 50 % ihres Stroms aus erneuerbaren Energien liefern (Grünstromprivileg). Das Grünstromprivileg kann in Zukunft nur in Anspruch genommen werden, wenn mindestens 25 % des Stroms aus fluktuierenden Energiequellen stammen.
(c) Einführung einer Kapazitätskomponente für Biogasanlagen
Um erneuerbaren Strom bedarfsgerecht zu erzeugen, wird die „Zusatzleistung“ einer Biogasanlage bei Direktvermarktung mit 130 € pro kw und Jahr vergütet. Die Zusatzleistung wird anhand der Auslastung der Anlage ermittelt.
(2) Die technologiespezifischen Vergütungssätze bzw. -strukturen werden den Entwicklungen in der EE-Branche angepasst. Die wesentlichen Kostentreiber des EEG sind die Photovoltaik (PV) und die Biomasse. Die Anpassungen für diese Technologien werden daher näher betrachtet.
(a) Photovoltaik
Die Vergütungssätze wurden aufgrund des unerwartet hohen Zubaus von PV-Anlagen bereits gesondert vor Inkrafttreten der Novelle abgesenkt. Ebenso wurde vor der Novelle die zubauabhängige jährliche Degression (atmender Deckel) beschleunigt. Mit der Novelle 2012 ist des Weiteren eine halbjährliche Anpassung der Degression vorgesehen. PV-Anlagen werden außerdem ins Einspeisemanagement der Netzbetreiber mit einbezogen.
(b) Biomasse
Die Vergütung wird um durchschnittlich 10 – 15 % abgesenkt. Insbesondere Kleinanlagen sind davon betroffen. Die Degression wird von 1 auf 2 % erhöht. Diverse Boni werden gestrichen. Dem steht die Einführung neuer Ausnahmen und Boni entgegen. Der 2009 eingeführte Gülle-Bonus wird für jene Anlagen halbiert, die vor 2009 in Betrieb gingen.
(3) Energieintensive Unternehmen sollen durch die Kosten des EEG nicht ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Die besondere Ausgleichsregelung befreit stromintensiv produzierende Unternehmen teilweise von der Zahlung der EEG-Umlage auf verbrauchten Strom.
(a) Senkung der Anforderungen für die Nutzung der besonderen Ausgleichsregelung. Einführung einer gleitenden Komponente
Die besondere Ausgleichsregelung (teilweise Befreiung von der EEG-Umlage für energieintensiv produzierende Unternehmen) kann statt wie bisher ab 10 Gwh nun ab einem Verbrauch von 5 Gwh in Anspruch genommen werden. Aufgrund der gleitenden Komponente muss ab einem Verbrauch von 5 Gwh noch für 100 %, ab einem Verbrauch von 10 Gwh nur noch für 10 % der verbrauchten Strommenge die volle EEG-Umlage bezahlt werden.
Bewertung durch das IW Köln: 2 von 5 Sternen
Begründung:
Zu 1.
Zu 2.
Zu 3.
Seit Einführung des Gesundheitsfonds am 1. Januar 2009 gilt für alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen der gleiche Beitragssatz. Mit der Einführung eines einheitlichen Beitragssatzes sollte der Wettbewerb unter den Kassen angekurbelt werden. Zuvor konnten die gesetzlichen Krankenkassen ihren Beitragssatz noch selbst festlegen. Kam es früher zu finanziellen Engpässen, so wurden die Krankenkassenbeiträge einfach erhöht, um einen höheren Finanzierungsbedarf im Notfall auffangen zu können. Eine Krankenkasse, die gut wirtschaftet, kann ihren Versicherten Geld zurückzahlen, das sie vorher über den Gesundheitsfonds erhalten hat. Eine Krankenkasse, die schlechter wirtschaftet, muss bei ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag erheben. Seit 1. Januar 2011 gilt ein einheitlicher Beitragssatz von 15,5 Prozent. Der Arbeitgeberanteil wurde hierbei auf 7,3 Prozent festgeschrieben. Der Arbeitnehmeranteil beträgt aktuell 8,2 Prozent. Zudem dürfen die gesetzlichen Krankenkassen bei defizitärem Wirtschaften einkommensunabhängige Zusatzbeiträge bei den Arbeitnehmern jetzt frei und ohne Obergrenze festsetzen. Die Krankenkassen sind lediglich aufgefordert, die Höhe des Zusatzbeitrages pauschal und nicht prozentual festzusetzen.
Im Rahmen einer Kurzumfrage wurden Mitte Mai 2011 1.000 Arbeitnehmer um ihre Meinung zum Thema Zusatzbeiträge befragt.
Konkret gefragt wurde:
Einige gesetzliche Krankenkassen nutzen aktuell die Möglichkeit, ihre Mitglieder an sich zu binden, indem sie garantieren, in diesem Jahr keine Zusatzbeiträge einzuführen. Die Mehrheit der gesetzlich versicherten Arbeitnehmer wird laut IW-Arbeitnehmervotum in diesem Jahr keine Zusatzbeiträge an ihre Krankenkasse leisten müssen:
Nur eine Minderheit hat bisher die Kasse wegen Zusatzbeiträgen gewechselt
Die Mehrheit der Arbeitnehmerschaft hat sich bisher noch nicht wegen Zusatzbeiträgen für eine andere Krankenversicherung entschieden. Allerdings haben Arbeitnehmer aktuell häufiger Wechselpläne, wenn sie in diesem Jahr bereits Zusatzbeiträge leisten bzw. noch damit rechnen müssen:
Betrachtet man lediglich die gesetzlich versicherten Arbeitnehmer, dann zeigt sich ein sehr ähnliches Bild wie in der Gesamtarbeitnehmerschaft. Mit 14 Prozent haben gesetzlich versicherte Angestellte etwas häufiger zu einer anderen gesetzlichen Kasse gewechselt.
Lediglich jeder zehnte gesetzlich versicherte Arbeitnehmer, der bereits heute einen monatlichen außerordentlichen Obolus zahlen muss, hat in der Vergangenheit die GKV aufgrund von Zusatzbeiträgen gewechselt. Allerdings spielt in dieser Gruppe jeder fünfte Arbeitnehmer mit dem Gedanken dies zu tun. Bei Arbeitnehmer, die von ihrer gesetzlichen Kassen bereits über anstehende Zahlungen in 2011 benachrichtigt worden sind, hat jeder Fünfte bereits in der Vergangenheit die Kasse gewechselt und jeder Zehnte zieht dies aktuell in Erwägung.
Jeder fünfte Arbeitnehmer, der von seiner gesetzlichen Krankenversicherung eine Garantie erhalten hat, dass in diesem Jahr keine Zusatzzahlungen fällig werden, ist zu dieser Kasse aufgrund von Zusatzbeiträgen bei einer anderen gesetzlichen Krankenkasse gewechselt.
Arbeitnehmer, die bei einer gesetzlichen Krankenkasse sind, die keine Zusatzzahlungen in diesem Jahr planen bzw. dies sogar teilweise garantiert haben, erwägen nur sehr selten, ihre Versicherung zu wechseln.
Monatlicher Zusatzbeitrag bis 19 Euro akzeptabel
Gesetzlich versicherte Arbeitnehmer erwägen erst ab einem monatlichen Zusatzbeitrag von durchschnittlich 19 Euro, ihre Krankenkasse zu wechseln. Bis zu diesem Betrag wollen die Arbeitnehmer ihrer jetzigen Krankenkasse treu bleiben: