Die Menschen
Spot. Analyse. Solve.

Rainer Brüderle

Lesen Sie den Rainer Brüderle Artikel „Spot. Analyse. Solve.“ in „Das Deutschland-Prinzip“.

27. Juli 2015

Dieser Beitrag erscheint im Original im Buch „Das Deutschland-Prinzip“. Im Buch erörtern 175 prominente Gastautoren Ihre Standpunkte darüber, was  Deutschland stark macht.
Lesen Sie hier eine Auswahl der Beiträge.

 

Spot. Analyse. Solve.

Das amerikanische Magazin Newsweek widmete Deutschland nach dem WM-Sieg in Brasilien eine Titelgeschichte. Die hieß: On the top of the world. Deutschland ist Fußballweltmeister. Und auf Deutschland richten sich die Augen, wenn es um Wirtschaft geht.

Aber wir wissen: Nichts ist so vergänglich wie der Erfolg von gestern. Genauso schwer, wie an die Spitze zu gelangen, ist es, das Toplevel über Jahre oder Jahrzehnte zu halten. Wir haben in der Wirtschaft und in der Politik in den letzten zwanzig Jahren vieles richtig und ziemlich gut gemacht.

Die Tarifpartner waren vernünftig. Über ein Jahrzehnt gab es signifikante Reallohnkürzungen. Die Kürzung der Arbeitslosentransfers haben Arbeitsplatzerhalt vor Umverteilung gesetzt. Die Politik hat den Arbeitsmarkt entriegelt. Nicht nur Staat und Tarifpartner haben ihren Beitrag geleistet. Die Unternehmen haben sich neu aufgestellt. Sie sind viel globaler geworden. Sie haben Mitte der 1990er Jahre ausländische Managementmethoden übernommen. All das zahlt sich heute aus.

Seit vier Jahren steigen die Reallöhne vor allem, weil wir in vielen Teilen Deutschlands Vollbeschäftigung haben. Damit steigen auch die Kaufkraft und der Binnenkonsum. Steuern und Abgaben wurden zumindest im erträglichen Ausmaß gehalten. Selbst der Bundeshaushalt dreht das erste Mal seit 1950 von minus auf plus.

Deutschland wurde lange Zeit wegen seines angeblich antiquierten Wirtschaftsmodells belächelt. Seit der Lehmann-Krise hat Deutschland eine bessere Entwicklung genommen als andere Staaten der westlichen Welt. Wir haben unseren Industriesektor erhalten.

Deutschland hat einen Industrieanteil von 22 Prozent gemessen am BIP (UK: ca. 10, F: ca. 10, USA: ca. 13,5 Prozent). Nimmt man die industrienahen Dienstleistungen dazu, ist es gut ein Drittel der Wertschöpfung, die an der industriellen Fertigung hängt. Großbritannien hängt mit 40 Prozent der Wertschöpfung an der Londoner City. Frankreich hat dagegen seinen Staatssektor aufgebläht und läuft auf eine Staatsquote von 60 Prozent zu.

Aber Deutschland steht auch vor Herausforderungen: 1. die Alterung der Gesellschaft, 2. die Globalisierung, 3. die Digitalisierung. Was für den Einzelnen toll ist, nämlich 90 oder 100 Jahre alt werden zu können, ist eine Herausforderung für die Wirtschaft und die Politik. Wir müssen den Fachkräftemangel auffangen. Durch eine Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit. Durch eine gesteuerte Zuwanderung nach Vorbild Kanadas. Durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass schon heute zwei Drittel des weltweiten Wachstums außerhalb Europas und der USA erfolgen. Will Europa nicht als Museum enden, muss es sich fundamental neu aufstellen. Für den Wohlstand wäre es beispielsweise wichtig, dass ein einheitlicher digitaler Binnenmarkt geschaffen wird. 28 verschiedene Datenschutzstandards, 28 verschiedene Haftungsregeln machen in der digitalen Welt keinen Sinn.

Das Zauberwort für die Zukunft Deutschlands heißt Industrie 4.0, die Digitalisierung der Industrieproduktion. Die Vorteile der Massenproduktion und der Einzelanfertigung werden in der digitalen Fabrik der Zukunft verschmolzen. Hierin liegt eine Riesenchance für Deutschland. Experten sprechen von Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 Prozent.

Der „Top of the world“-Titel von Newsweek hat als urdeutsche Stärke ausgemacht: Spot a problem. Analyse it. Solve it. Besser kann man deutsche Tugenden nicht auf den Punkt bringen. So tickt Deutschland. Auf dem Fußballplatz. In der Wirtschaft. Und manchmal auch in der Politik.