Deutschland digital machen

Deutschland hat bei der Digitalisierung erhebliche Defizite im Vergleich zu vielen EU-Partnern.

„In der Krise wird deutlich, was auch in ,normalen‘ Zeiten immer öfter Sorge bereitet: Deutschland ist, denkt und handelt zu kompliziert“, urteilt der Nationale Normenkontrollrat (NKR). Der Hauptgrund: Föderale Entscheidungen von Bund, Ländern und Gemeinden im Konsensprinzip mit vielen Beteiligten und unterschiedlichen Interessen kosten viel Zeit und führen in aller Regel zu komplizierten Lösungen.

Klar ist, Deutschland hat beim digitalen Infrastrukturausbau, bei der digitalen öffentlichen Verwaltung und in der digitalen Bildung erhebliche Defizite im Vergleich zu vielen EU-Partnern. Das zentrale Hindernis für Digitalisierung in Deutschland sind die Komplexität des föderalen Staates und die damit verbundenen zeitaufwändigen Abstimmungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsprozesse. Lösung dieses Komplexitätsproblems ist die Beschleunigung der Prozesse durch verkürzte Genehmigungsverfahren, Kompetenzbündelung sowie Standards und Verbindlichkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden.

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft fordert:

  • den flächendeckenden Breitbandausbau im Gigabitbereich umzusetzen,
  • gemeinsames E-Government von Bund, Ländern und Gemeinden mit einer Digitalisierungsagentur zu schaffen,
  • eine elektronische Identifizierung zügig und flächendeckend einzuführen,
  • Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen ein „Recht auf digitalen Service“ einzuräumen und
  • die Digitalisierung an Schulen voranzutreiben.

Flächendeckenden Breitbandausbau im Gigabitbereich umsetzen

Laut ifo-Institut hat nur ein Drittel der deutschen Haushalte die Möglichkeit, einen Gigabit-Anschluss für ihre Internetverbindung zu nutzen. Damit liegt Deutschland in Europa im unteren Drittel und ist mehr als zehn Prozentpunkte von Frankreich und dem EU-Durchschnitt entfernt. Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass Deutschland teilweise kein Angebots-, sondern ein Nachfrageproblem hat: Wo schnelles Gigabit-Internet verfügbar ist, wird die volle Leistung oft nicht ausgeschöpft und es werden nur niedrigere Bandbreiten nachgefragt. Bei der Breitbandabdeckung mit mittleren Bandbreiten steht Deutschland international hingegen gut da. Auch der 5G-Ausbau kommt relativ gut voran.

Vergleichsweise teure Gigabit-Anschlüsse in Deutschland sowie fehlende oder unzureichende digitale, öffentliche Dienstleistungen hemmen die Nachfrage. Damit Haushalte und Unternehmen verfügbare Giganetze auch nutzen, brauchen sie einen deutlichen Mehrwert im Vergleich zu ihren bisherigen Internet-Anschlüssen, der auch die Kosten übersteigt. Daher ist das Ziel der neuen Bundesregierung richtig, den Gigabit-Ausbau über Glasfaser und 5G weiter voranzutreiben. Parallel muss der Rückstand beim E-Government zügig aufgeholt werden, um die Giga-Netz-Nachfrage zu erhöhen.

Gemeinsames E-Government von Bund, Ländern und Gemeinden

„Bei der Digitalisierung liegt die deutsche Verwaltung etwa zehn Jahre gegenüber Ländern wie Dänemark und Österreich zurück, kann also das hier bestehende große Potenzial für Kostenreduzierung und Effizienzsteigerung nur unzureichend mobilisieren“, fasst Johannes Ludewig, Vorsitzender des NKR, zusammen.

Die neue Bundesregierung muss sich mit mehr Elan an die Umsetzung von E-Government machen als die bisherige. Die Regierenden in Bund, Ländern und Gemeinden müssen sich gemeinsam zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bekennen und diese politisch auch unterstützen. In der praktischen Umsetzung braucht es Standards und Verbindlichkeit zwischen den föderalen Ebenen, um aus dem Kompetenzwirrwarr zu entkommen und die Komplexität deutlich zu reduzieren. Ein wichtiger Meilenstein ist es dabei, eine Digitalisierungsagentur (über Ausbau der Föderalen IT-Kooperation, kurz FITKO) einzurichten, die die fachlichen Kompetenzen und Kapazitäten bündelt. Der gerade geschlossene Koalitionsvertrag zeigt, dass die Beteiligten den Weiterentwicklungsbedarf der FITKO verstanden haben. Nun kommt es auf eine erfolgreiche und zügige Umsetzung an.

Elektronische Identifizierung per eID zügig und flächendeckend einführen

Technischer Dreh- und Angelpunkt für erfolgreiches E-Government ist die elektronische Identifizierung (eID). Das zeigt auch der Blick zu unserem Nachbarland Österreich, wo dank sogenannter Handy-ID das persönliche Erscheinen im Amt kaum noch nötig ist. Die bereits begonnenen Bemühungen für eine einheitliche deutsche eID müssen zügig abgeschlossen werden. Die Bundesregierung sollte sich darauf konzentrieren, die laufenden Pilotprojekte und Tests für eine eID zu einer flächendeckenden Nutzung zu führen. Dabei sollten Verfahren, die keine Interoperabilität erwarten lassen, zurückgestellt werden.

„Recht auf digitalen Service“ einräumen

Indem Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen für definierte Behördenakte gesetzlich ein Anspruch auf digitalen Service eingeräumt wird – ähnlich wie es in der Single Digital Gateway-Verordnung der EU der Fall ist –, kann eine Umsetzung in den Gemeinden aufgrund der kommunalen Selbstbestimmung zumindest angeregt werden. Konkret heißt das, dass E-Government-Anwendungen zunächst auf Bundesebene implementiert werden und über ein „Recht auf digitalen Service“ alle Länder und Gemeinden aufgefordert sind, entweder die Bundesanwendung zu übernehmen oder kompatible digitale Dienste zu bieten. So könnte flächendeckend ein einheitlicher digitaler Service angeboten werden ohne zeitraubende und kostenträchtige Parallelstrukturen auf föderaler Ebene.

Digitalisierung an Schulen vorantreiben

Durch Corona und die damit verbundenen Schulunterbrechungen verschärfen sich laut INSM-Bildungsmonitor 2021 die ohnehin vorhandenen Probleme bei Schulqualität, Bildungsarmut und Ungleichheit der Bildungschancen. Im Bereich Digitalisierung, sowohl in Bezug auf Infrastruktur des Bildungssystems als auch in Bezug auf die digitalen Kompetenzen, zeichnet sich in Deutschland ein sehr unterschiedlicher Stand ab. Vergleichsweise gut schneiden hier die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin sowie die Flächenländer Bayern und Baden-Württemberg ab. Großen Nachholbedarf haben die fünf ostdeutschen Flächenländer – sowohl bei der Verfügbarkeit schnellen Internets an Schulen als auch bei der IT-Fachkräfte-Sicherung und bei der Forschung im Bereich Digitalisierung.

Der regelmäßige Einsatz digitaler Medien im Unterricht vermittelt nicht nur digitale Kompetenzen, sondern führt auch zu besseren Ergebnissen in Mathematik und Naturwissenschaften und hilft bei Recherchetätigkeiten. Es kann aber nicht die Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer oder der Schulleitung sein, die technische Infrastruktur in Schuss zu halten. Daher fordert die INSM die Einstellung von mindestens 20.000 IT-Administratorinnen und -Administratoren an deutschen Schulen. Bund und Länder sollten sich hierauf schnellstmöglich verständigen. Die Kosten belaufen sich nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft auf rund zwei Milliarden Euro pro Jahr. Die Mittel aus dem Konjunkturpaket sind ein erster Schritt, müssten aber, wie im neuen Koalitionsvertrag zum Digitalpakt Schule angedeutet, dauerhaft aufgestockt werden. Zudem braucht es verpflichtende Weiterbildungen für Lehrkräfte in digitaler Didaktik. Lehrkräfte aller Altersstufen müssen schnellstmöglich nachgeschult werden. Für den Lehrkräfte-Nachwuchs sollte dies selbstverständlicher Bestandteil der Ausbildung sein. Die Aus- und Weiterbildungsverordnungen für Lehrkräfte sollten entsprechend reformiert werden.


Quellen

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