Agenda 2010

Rolle rückwärts: Warum Martin Schulz irrt

Die Agenda 2010, die unter dem damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder 2003 auf den Weg gebracht wurde, gilt heute international als Vorbild für eine gelungene Reform des Sozialstaates und des Arbeitsmarktes. Dennoch hat der designierte Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, angekündigt, Teile der Reform zurückdrehen zu wollen. Ein Fehler.

24. Februar 2017

Standpunkt zu Schulz-Plänendeutsches jobwunder in gefahr

Die Agenda 2010 ist mitverantwortlich dafür, dass die Zahl der Arbeitslosen zwischen 2005 und heute von zeitweise über fünf Millionen auf 2,7 Millionen nahezu halbiert werden konnte. Mit über 43 Millionen Personen, ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland so hoch wie noch nie. So wurde Schröders Versprechen aus dem Jahr 1998, die Arbeitslosenzahl zu halbieren, zehn Jahre nach seinem Amtsaustritt doch noch wahr.

Doch nun fordert Martin Schulz, die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I zu verlängern. Darüber hinaus will er im Falle einer Regierungsbeteiligung seiner Partei nach der Bundestagswahl im September die sogenannte sachgrundlose Befristung abschaffen.
 

Erwerbstätigenquote Älterer in Prozent

Die Arbeitsmarktforschung zeigt eindeutig: Die Dauer von Arbeitslosigkeit steht in engem Zusammenhang mit der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld. Wer länger auf Geld vom Amt vertrauen kann, sucht mit weniger Nachdruck einen Job. Gleichzeitig vermindern sich mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit die Fähigkeiten der Betroffenen. Nach zwölf Monaten verschlechtern sich die Chancen auf Beschäftigung dramatisch.

Die Folge: Eine Verlängerung der Arbeitslosengeldbezugsdauer führt dazu, dass Ältere vom Arbeitsmarkt ausgesperrt werden. Vor der Agenda lag die Beschäftigungsquote der 60- bis 65-Jährigen bei gerade einmal 28 Prozent. Inzwischen hat sich diese Quote mit fast 53 Prozent nahezu verdoppelt. Ohne die Rente mit 63 und die bereits heute geltende Möglichkeit für Ältere, mit 24 Monaten doppelt so lange Arbeitslosengeld zu beziehen als jüngere Kollegen, würde die Quote wahrscheinlich noch höher liegen.
 

Abhängig Beschäftigte mit befristetem Arbeitsvertrag in Prozent

Ebenso falsch wäre es, die Möglichkeit, Arbeitsverträge zu befristen, jetzt einzuschränken. Es gibt auch keinen Grund dafür. Die Befristungsquote ist seit Jahren stabil. Nur 18 Prozent und nicht 40 Prozent der 25- bis 34-Jährigen befinden sich in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Hinzu kommt: Seit zehn Jahren liegt die Befristungsquote bei etwa acht Prozent. Ein Blick in die Statistik zeigt ebenfalls, dass mit steigendem Alter die Befristungsquote stark abnimmt. Das bedeutet, dass für Berufseinsteiger eine befristete Beschäftigung ein Sprungbrett für eine unbefristete Stelle darstellt.
 

Es gibt drängendere Probleme

Trotz der erfreulichen Entwicklung am Arbeitsmarkt gibt es noch immer drängende Probleme. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich seit einigen Jahren nicht mehr weiter reduziert und liegt noch immer bei knapp einer Million. Eine Verlängerung der ALG-I Bezugsdauer und eine stärkere Regulierung der Befristungen helfen diesen Menschen nicht und schaffen keinen einzigen neuen Job.

Was Langzeitarbeitslose dagegen brauchen, ist eine intensive Betreuung und mehr Hilfe als bisher bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt - statt sie länger passiv zu verwalten. Dies belegen wissenschaftliche Studien. Ein Mitarbeiter im Job-Center betreut heute 150 Arbeitslose. Mit diesem Betreuungsschlüssel ist eine Wiedereingliederung nach teilweise etlichen Jahren der Arbeitslosigkeit nur schwer möglich.

Wer glaubt, der gute Zustand der deutschen Volkswirtschaft sei für immer festgeschrieben, irrt gewaltig. Schon einmal, nämlich in der Zeit vor den Agenda-Reformen, dachte man dies und zwar solange, bis man mit dem Rücken an der Wand stand.

 

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