INSM-Positionen
Mindestlohnkommission hat sich bewährt

INSM-Position Mindestlohn

Zum 1. Januar 2015 führte der Gesetzgeber in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro ein. Seitdem bekommt der Gesetzgeber alle zwei Jahre von der Mindestlohnkommission, bestehend aus Vertretern der Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und der Wissenschaft, Vorschläge zur Mindestlohnanpassungen.

10. Januar 2022

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Die Kommission orientiert sich nachlaufend an der Tariflohnentwicklung. Bereits beschlossen ist, dass der Mindestlohn bis zum Sommer 2022 auf 10,45 Euro steigt.

Die Ampelkoalition im Bund plant jedoch, noch im Jahr 2022 den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen. Zudem arbeitet die Europäische Kommission an neuen EU-Mindestlohnregeln, unter anderem mit einer Orientierung am mittleren Einkommen. Beide Vorhaben würden die erfolgreiche Einbindung der Tarifparteien bei der Entwicklung des deutschen Mindestlohns gefährden und erheblich in die Tarifautonomie eingreifen. 12 Euro Mindestlohn in Deutschland würde die Tarifautonomie für zahlreiche Tarifgruppen überflüssig machen und das Tarifgeschehen auch für höhere Lohngruppen in erheblichem Maße beeinflussen. Solch ein politischer Mindestlohn würde auch Lohnsubventionen bedingen, wenn Beschäftigungsverluste vermieden werden sollen. Diese Lohnsubventionen hätten erhebliche sozialpolitische und fiskalische Lasten zur Folge.

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) fordert,

Von einem politisch gelenkten Mindestlohn ist abzusehen

Bisher soll die deutsche Mindestlohnkommission alle zwei Jahre über eine Mindestlohnanpassung entscheiden und sich dabei nachlaufend an der Tariflohnentwicklung orientieren.

Die Arbeit der Mindestlohnkommission hat sich bewährt. Die Tarifparteien kennen die Spielräume für Lohnerhöhungen. Und deren Grenzen. Sie reflektieren Produktivitätsgewinne und antizipieren konjunkturelle Entwicklungen. Die Orientierung am Tariflohn stellt sicher, dass die Arbeitnehmer am steigenden Wohlstand teilhaben, die erhöhten Arbeitskosten aber nicht zu unnötigen Arbeitsplatzverlusten führen.

Die Entwicklung eines Medianeinkommens nimmt im Gegensatz zum Tariflohn keine Rücksicht auf den beschäftigungssensiblen Bereich der Einstiegsgehälter. Von einem politisch gelenkten Mindestlohn mit Orientierung an einem solchen mittleren Einkommen – also 60 Prozent des deutschen Medianeinkommens, das im Jahr 2020 rund 12 Euro je Stunde entspricht und auch als „Living Wage“ (Existenzminimum) bezeichnet wird – ist daher abzuraten.

Die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie muss respektiert werden

Dank der bisherigen Regelung geriet das Tarifgeschehen nur in wenigen Branchen mit niedrigem Lohnniveau unter Anpassungsdruck, den die Tarifparteien in Deutschland erfolgreich gemeistert haben. Der Vorstoß von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, dem Mindestlohn eine neue Orientierung am mittleren Einkommen zu verpassen, ist ein Angriff auf die Tarifautonomie und wäre mit der im Grundgesetz verankerten Tarifautonomie vermutlich schwer vereinbar. Werden Tarifentgelte durch den gesetzlichen Mindestlohn überholt und damit faktisch außer Kraft gesetzt, liegt ein erheblicher Eingriff in die Tarifautonomie vor. Die Eingriffsintensität in das Tarifsystem eines Mindestlohns von 12 Euro ab dem 1. Juli 2022 wäre etwa fünfmal so hoch wie 2015, als der Mindestlohn eingeführt wurde.

Die Tarifparteien haben ein ureigenes Interesse, miteinander über Tarifentgelte für alle Lohngruppen zu verhandeln, statt durch einen politisch gelenkten Mindestlohn für die unteren Tarifgruppen nicht mehr gebraucht zu werden. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes würden bei einer Erhöhung auf 12 Euro zum 1. Juli 2022 mehr als 30 Prozent der bestehenden Tarifverträge von der gesetzlichen Regelung überholt, zum 1. Januar 2023 wären es 17 Prozent. Am 1. Juli 2023 wären es noch rund 6 Prozent, ungefähr so viel wie bei der Einführung im Jahr 2015.

Lohnsubventionen und Beschäftigungsverluste müssen verhindert werden

Die Umsetzung eines politischen Mindestlohns von 12 Euro würde teuer für Steuer- und Beitragszahler. Dies zeigt der Blick auf Länder wie Frankreich und das Vereinigte Königreich, wo die Politik gegen mögliche Beschäftigungsverluste Niedrigverdienste subventioniert. Frankreich gab 2019 1,0 Prozent des BIP (oder 1,9 Prozent der Lohnkosten) für Lohnsubventionen aus. Das entsprach 23,6 Milliarden Euro. Auch das Vereinigte Königreich zahlte Lohnsubventionen, für 2020 waren dies 2,5 Milliarden Pfund oder 2,9 Milliarden Euro zuzüglich impliziter Kosten durch Freibeträge bei den Sozialversicherungsbeiträgen.

Solche Subventionen für Niedrigverdienste gibt es in Deutschland nicht. Da Analysen für Frankreich ergeben haben, dass es dort ohne Lohnsubventionen zu deutlichen Beschäftigungseinbußen gekommen wäre, stünde Deutschland vor der Wahl, einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit zu riskieren oder sein Steuer- und Transfersystem grundlegend umzubauen – mit weitreichenden Folgen für Steuer- und Beitragszahler.

Zu bedenken sind auch mögliche Einflüsse auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Hier steht zwar das verarbeitende Gewerbe im Mittelpunkt, dessen Lohnniveau auch für Ungelernte mit Ausnahme sehr weniger Branchen über der 12-Euro-Marke liegt. Mittelbar sind aber dennoch Einflüsse zu erwarten. Zum einen könnte es durch eine gestauchte Lohnverteilung und damit verbundene allgemeine Preissteigerungen auch zu steigenden Arbeitskosten in der Industrie kommen. Zum anderen müssten Lohnsubventionen für Mindestlohnempfänger oder kleinere Betriebe gegenfinanziert werden. So könnte es beispielsweise zu höheren Sozialversicherungsbeiträgen in der hoch entlohnenden Industrie kommen.

Nach Corona an die Erfolge der Agenda 2010 anknüpfen

Der Ländervergleich von Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich zeigt, dass Jüngere bei einem höheren Mindestlohn erschwert einen Job finden. Tatsächlich bewegt sich die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich auf einem hohen Niveau. Laut Eurostat-Daten war sie im Jahr 2019 bei Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren mit 19,6 Prozent mehr als dreimal so hoch wie in Deutschland (5,8 Prozent) und auch deutlich höher als im Vereinigten Königreich (11,2 Prozent). Allerdings sind diese Niveauunterschiede nicht ausschließlich auf unterschiedliche Mindestlohnregime zurückzuführen, da auch andere Faktoren wie das duale Ausbildungssystem in Deutschland eine Rolle spielen.

Zweifelhaft ist überdies, ob eine Orientierung des Mindestlohns am mittleren Einkommen in Deutschland zu einer deutlichen Verringerung der Armutsgefährdung führen würde. Nach IW-Schätzungen würde ein Mindestlohn von 12 Euro die Armutsgefährdungsquote unter den Beschäftigten zwar um 1,4 Prozentpunkte und in der Gesamtbevölkerung um 1,0 Prozentpunkte senken können. Dies gilt aber nur, wenn es weder zu Entlassungen noch zu einer Verkürzung der Arbeitszeit kommen würde. Falls es zu Beschäftigungsverlusten oder Arbeitszeitverkürzungen käme, wäre die Senkung der Armutsgefährdung noch weniger spürbar. Mithin kann der Mindestlohn kein geeignetes Instrument zur Armutsbekämpfung sein.

Statt staatlicher Lohnvorgaben sollte Deutschland auf dem Arbeitsmarkt an die Erfolge der Agenda 2010 anknüpfen, indem für Grundsicherungsempfänger und Arbeitsuchende Einstiegschancen bestehen und vollzeitnahe Beschäftigung attraktiver ist.

Quellen und weiterführende Informationen