Wie gelingt es, jüngere Generationen vor immer weiter steigenden Kosten zu schützen, wenn sie die Leistungen für immer mehr Ältere finanzieren? Und wie muss eine Rentenpolitik aussehen, die auch unseren Kindern ein Auskommen im Alter ermöglicht? – Antworten auf die drängenden Fragen des demografischen Wandels
18. November 2016Publikation bestellen Faktensammlung herunterladenFakten zum demografischen Wandel in DeutschlandPosition Rente
Fakt 1: Deutschland wächst wieder
Fakt 2: Die Lebenserwartung steigt
Fakt 3: Die Gesellschaft altert
Fakt 4: Erwerbsfähige müssen für mehr Rentner aufkommen
Fakt 5: Die Rentenbezugsdauer erhöht sich
Fakt 6: Der demografische Wandel kostet
Fakt 7: Der Fachkräfteengpass wird immer gravierender
Fakt 8: 63 Jahre sind zu jung für die Rente
Fakt 9: Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat noch Potenzial
Zwar wird Deutschlands Einwohnerzahl laut aktueller Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln entgegen allen bisherigen Erwartungen durch die hohe Zuwanderung sogar steigen. Allerdings können auch die Flüchtlinge und andere Neu-Bundesbürger die Alterung der Gesellschaft nicht aufhalten.
Bereits in den kommenden zwei Jahrzehnten werden die Auswirkungen spürbar sein, sagen Experten voraus. Die Herausforderungen bestehen jedoch schon heute: Wie gelingt es, jüngere Generationen vor immer weiter steigenden Kosten zu schützen, wenn sie die Leistungen für immer mehr Ältere finanzieren? Und wie muss eine Rentenpolitik aussehen, die auch unseren Kindern ein Auskommen im Alter ermöglicht?
Die Rente mit 67 war ein erster Schritt der Politik zu neuen Antworten. Doch nur wenig später wurde mit der Rente mit 63 der Rückwärtsgang eingelegt. Es ist keine gute Idee, bisherige Reformen zurückzudrehen: Die Jungen, die die Folgen des demografischen Wandels mit voller Wucht treffen werden, stehen schon heute vor dem Dilemma aus steigenden Rentenbeiträgen und der Notwendigkeit, stärker privat vorsorgen zu müssen.
Unsere Faktensammlung gibt einen Überblick darüber, welche Umbrüche durch den demografischen Wandel zu erwarten sind und wie er sich bereits heute bemerkbar macht.
Bis vor wenigen Jahren sah es noch so aus, als würde Deutschlands Einwohnerzahl beständig schrumpfen, seit einigen Jahren wächst sie jedoch wieder. Grund für diese Trendumkehr ist die Zuwanderung: Unterm Strich, also abzüglich der Abwanderer, kamen 2014 und 2015 fast 1,7 Millionen Menschen nach Deutschland.
Nach Prognosen des IW Köln wird Deutschland im Jahr 2035 rund 83 Millionen Einwohner haben – rund 1,2 Millionen mehr als heute.
Heute leben neugeborene Jungen und Mädchen im Schnitt mehr als doppelt so lange wie bei der ersten landesweiten Berechnung für das Deutsche Reich im Zeitraum zwischen 1871 und 1881. Für Jungen, die in den Jahren 2010 bis 2012 geboren sind, beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung 77 Jahre und sieben Monate, für Mädchen 82 Jahre und acht Monate.
Der starke Anstieg seit Ende des 19. Jahrhunderts liegt vor allem an den Fortschritten in der medizinischen Versorgung, Hygiene, Ernährung und Wohnsituation sowie den besseren Arbeitsbedingungen und dem gestiegenen materiellen Wohlstand.
Nicht einmal die Zuwanderung kann die Alterung der Gesellschaft verhindern: Im Jahr 1970 war jeder neunte Einwohner Deutschlands 67 Jahre oder älter, heute ist es knapp jeder fünfte und 2035 wird es nach Berechnungen des IW Köln jeder vierte sein.
Die Alterung ist regional unterschiedlich weit fortgeschritten. Besonders groß ist der Anteil älterer Menschen in strukturschwachen und ländlichen Räumen, da viele junge Menschen diese Gebiete verlassen. In Ostdeutschland trugen zudem der Geburteneinbruch nach 1989 und der Fortzug der jungen Menschen in den Westen zum hohen Altersschnitt bei. Einen geringen Anteil älterer Einwohner haben Großstädte und wirtschaftlich starke Räume.
Das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbsfähigen verschiebt sich in Deutschland schon bis 2035 gravierend – aus drei Gründen: Die Geburtenrate pendelt schon seit Jahren um 1,4 Kinder pro Frau. Die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen. Und: In den kommenden Jahren bis Mitte der 2030er geht die Babyboomer-Generation der geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1969 in Rente. Schon 2035 kommen daher auf einen Rentner nur noch zwei Erwerbsfähige, die dessen Altersversorgung erwirtschaften müssen. Heute stemmen diese Aufgabe immerhin noch rund drei 20- bis 64-Jährige.
An dieser Verschiebung der Altersstruktur ändert auch die aktuelle Zuwanderung vorwiegend jüngerer Menschen nichts.
Die Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahrzehnten schneller gestiegen als das tatsächliche Renteneintrittsalter. Letzteres hat sich kaum verändert: In Westdeutschland hatte das durchschnittliche Zugangsalter 2014 mit 61,9 Jahren etwa das Niveau von 1965 (61,1 Jahre) und in Ostdeutschland lag es 2014 (61,3 Jahre), nur wenig über dem Wert von 1995 (59,6 Jahre).
Dadurch erhöhte sich die durchschnittliche Rentenbezugsdauer in den letzten 50 Jahren um rund 90 Prozent. Erhielten Senioren Anfang der 1960er Jahre noch weniger als zehn Jahre Rente, sind es heute im Schnitt rund 19 Jahre.
Die steigende Zahl der Rentner bei abnehmender Anzahl Erwerbstätiger gefährdet die Finanzierung der öffentlichen Sozialversicherungen. So hat die Prognos AG für das Jahr 2040 ein Defizit der öffentlichen Haushalte von 144 Milliarden vorausberechnet, sollten Versicherungsbeiträge und steuerliche Bedingungen auf dem heutigen Niveau bleiben.
Die größte Finanzierungslücke enstünde dabei in der Gesetzlichen Rentenversicherung mit 83 Milliarden Euro.
Bis 2035 werden knapp vier Millionen Arbeitskräfte fehlen – davon über 2,7 Millionen mit Berufsabschluss und 1,1 Millionen Akademiker. Ende September 2016 mangelte es allein im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) an rund 200.000 Spezialisten, Experten und Fachkräften, um alle offenen Stellen besetzen zu können.
Nach Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln wird der Engpass vor allem in den MINT-Ausbildungsberufen bis zum Jahr 2025 noch deutlich größer werden, weil die jährlichen Absolventen zu wenige sind, um die ausscheidenden Fachkräfte zu ersetzen: 2016 fehlen 78.000 MINT-Kräfte, 2025 werden es 135.000 sein.
In den vergangenen Jahren ist die Erwerbsquote Älterer (55- bis 64-Jährige) deutlich gestiegen: von 37 Prozent im Jahr 2000 auf 66 Prozent im Jahr 2014. Dieser Trend muss sich fortsetzen. Denn bereits 2020 werden 40 Prozent der Personen im erwerbsfähigen Alter älter als 50 Jahre sein.
Eine längere Lebensarbeitszeit würde dem Wunsch mancher entsprechen: 19,7 Prozent der mindestens 60-Jährigen konnten sich laut Allensbach-Umfrage 2014 vorstellen, über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu arbeiten. Das dürfte auch an der positiven Selbsteinschätzung liegen. Fast 90 Prozent der über 50-Jährigen bewerten ihre mentale Arbeitsfähigkeit als gut oder sehr gut und damit fast genauso wie die Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen.
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird jede Arbeitskraft gebraucht, vor allem auch gut ausgebildete Eltern. In den vergangenen Jahren hat die Erwerbstätigenquote von Frauen zwischen 20 und 64 Jahren bereits deutlich zugenommen: von 61 Prozent im Jahr 2000 auf 73 Prozent im Jahr 2014.
Doch noch immer gibt es großes Entwicklungspotenzial. So geben vor allem Frauen familiäre Verpflichtungen wie Kinderbetreuung und Pflege von Familienangehörigen als Grund für Teilzeitarbeit an. Bei den Männern hat die Teilzeittätigkeit hingegen oft nicht-familiäre Gründe.
Um die Einwohnerzahl in Deutschland auf dem Stand von 2014 zu halten, müssten bis 2035 netto mehr als sieben Millionen Menschen zuwandern.
Hierbei muss klar zwischen Asylpolitik und gezielter Zuwanderung unterschieden werden: Mit der Aufnahme von Flüchtlingen nimmt die Bundesrepublik Deutschland eine humanitäre Aufgabe wahr. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist aber vor allem die gezielte Zuwanderung von gut ausgebildeten Fachkräften wichtig. So kann Einwanderung helfen, den Wohlstand in Deutschland auch im demografischen Wandel zu sichern.
Einfluss der Zuwanderung auf die demografische Entwicklung,
Philipp Deschermeier, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, IW-Trends 2/2016.
Bevölkerung Deutschlands bis 2060:
Ergebnisse der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung,
Statistisches Bundesamt, April 2015.
Gesundheit: Krankheitskosten,
Statistisches Bundesamt, August 2010.
MINT-Frühjahrsreport,
Christina Anger/Oliver Koppel/Axel Plünnecke,
Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Mai 2016.
Demografie-Check Staatshaushalt 2040,
Prognos AG, Oktober 2016.
Rentenversicherung in Zahlen 2015,
Deutsche Rentenversicherung, Juni 2015.