Wissenschaftler: "Keine nennenswerten positiven Wirkungen"
Das erklärte Ziel der Einführung des Betreuungsgeldes ist es, Eltern die Wahlfreiheit bei der Kleinkinderbetreuung zu ermöglichen und die Erziehungsleistung von Eltern, die sich für eine Betreuung zu Hause entscheiden, zu würdigen. Dieses Ziel wird verfehlt, urteilen die Wissenschaftler des IW Köln im Deutschland-Check.
Was ist geplant?
Auf dem sogenannten „Krippengipfel“ haben sich Bund, Länder und Kommunen 2007 darauf geeinigt, dass ab dem Jahr 2013 für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ein Rechtsanspruch auf einen staatlich geförderten Betreuungsplatz bestehen soll. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass Eltern, die Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr zu Hause betreuen, als Anerkennung ihrer Erziehungsleistung ein Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro ausbezahlt werden soll. Hierzu hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) nun einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Im Einzelnen sind folgende Regelungen zum Betreuungsgeld vorgesehen:
- Anspruchsberechtigte: Eltern, die für ein Kind im zweiten und dritten Lebensjahr keinen staatlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen, sollen das Betreuungsgeld erhalten. Dabei bestehen keine Einschränkungen im Hinblick auf ihre Erwerbstätigkeit. Beziehen die Eltern Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe, wird das Betreuungsgeld auf die Regelsätze angerechnet. Darüber hinaus wird das Betreuungsgeld in Härtefällen (z.B. schwere Krankheit oder Tod der Eltern) auch bei einer Inanspruchnahme staatlicher Kinderbetreuung im Umfang von weniger als 10 Stunden in der Woche gezahlt.
- Übergangsregelungen: Im Jahr 2013 wird ein vermindertes Betreuungsgeld von 100 Euro im Monat ausbezahlt. Zudem kann Betreuungsgeld nur für Kinder bezogen werden, die nach dem 31.12.2011 geboren wurden, so dass 2013 nur Eltern von Einjährigen Betreuungsgeld erhalten. Ab 2013 liegt der Satz bei 150 Euro im Monat.
- Kosten: Das BMFSFJ geht von Kosten in Höhe von 1,23 Milliarden Euro im Jahr für das Betreuungsgeld aus. Abweichend wird für das Übergangsjahr 2013 wird mit Ausgaben in Höhe von 300 Millionen Euro und für 2014 mit 1,11 Milliarden Euro gerechnet, da aufgrund der Stichtagsregelungen auch 2014 noch nicht alle Eltern von Zweijährigen Anspruch auf Betreuungsgeld haben.
Beurteilung (1 von 5 Sternen) und Begründung
Das erklärte Ziel der Einführung des Betreuungsgeldes ist es, Eltern die Wahlfreiheit bei der Kleinkinderbetreuung zu ermöglichen und die Erziehungsleistung von Eltern, die sich für eine Betreuung zu Hause entscheiden, zu würdigen. Dies wird mit dem vorgesehenen Betreuungsgeld nicht erreicht. Zudem kann es negative Effekte auf die Entwicklung von Kindern aus bildungsfernen Schichten und die Erwerbskarrieren von Frauen haben.
Bisher können viele Eltern nicht wählen, ob sie ihr Kind in einer Kindertagesstätte oder von einer Tagesmutter / einem Tagesvater betreuen lassen oder ausschließlich zu Hause versorgen wollen, da zu wenig staatlich geförderte Betreuungsplätze vorhanden und private Betreuungsangebote für viele Eltern nicht finanzierbar sind. Dies wird sich 2013 mit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr ändern. Dann sollten Eltern grundsätzlich die Wahl haben, ob sie staatlich geförderte Kinderbetreuung in Anspruch nehmen oder nicht. Allerdings fehlen derzeit nach Berechnungen des Familienministeriums noch rund 160.000 Plätze, um eine Betreuungsquote von 39 Prozent der unter Dreijährigen zu erreichen, was Berechnungen des Ministeriums zu Folge notwendig wäre, um allen interessierten Eltern einen Betreuungsplatz anzubieten.
Auch wenn diese Betreuungsquote erreicht wird, werden Eltern keinen Anspruch darauf haben, ihr Kind in einer Einrichtung oder bei einer Tagespflegeperson ihrer Wahl unterzubringen. Nach derzeitigem Stand werden sie noch nicht einmal die Form der Kinderbetreuung, also Kindertagesstätte oder Tagespflege, frei bestimmen können. Da sich Betreuungseinrichtungen stark in Art und Umfang ihrer Angebote, unter anderem im Hinblick auf frühkindliche Förderung und Betreuungszeiten unterscheiden, bedeutet dies, dass Eltern an dieser Stelle noch immer keine echte Wahlfreiheit haben werden.
Anders sieht es im Hinblick auf die Entscheidung aus, das Kind zuhause zu betreuen. Diese Entscheidungsmöglichkeit steht Eltern heute grundsätzlich frei.
So sind etwa auch im Unterhaltsrecht und beim Bezug von Arbeitslosengeld II Personen, die Kinder im Alter von unter drei Jahren betreuen, von der Verpflichtung befreit, sich um eine Arbeit zu bemühen. Dies ändert sich mit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz auch nicht. Der Rechtsanspruch ermöglicht Eltern nur eine Inanspruchnahme institutioneller Kinderbetreuung, beeinflusst die Wahlfreiheit jedoch nicht weitergehend, indem er die Attraktivität institutioneller Kinderbetreuung verändert. So werden die Elternbeiträge für Kindertagesstätten und –tagespflege, die in vielen Kommunen bis zu 300 Euro und mehr im Monat betragen, mit großer Wahrscheinlichkeit in den nächsten Monaten nicht sinken. Möchte man eine echte Wahlfreiheit bei der Kleinkinderbetreuung gewährleisten, wären auch sie hinterfragen.
Das Betreuungsgeld würdigt nicht unbedingt die Erziehungsleistung von Eltern, die auf eine Erwerbstätigkeit verzichten, um sich vollständig der Erziehung ihrer Kinder zu widmen. Dies wäre der Fall, wenn das Betreuungsgeld daran gebunden wäre, dass ein Elternteil auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet oder diese stark einschränkt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Betreuungsgeld ist allein an einen Verzicht auf die Inanspruchnahme staatlich geförderter Kinderbetreuung geknüpft. Das bedeutet, dass auch dann ein Anspruch auf Betreuungsgeld besteht, wenn beide Elternteile Vollzeit arbeiten und das Kind im Rahmen eines nicht staatlich geförderten Betreuungsarrangements versorgt wird. So ein Arrangement kann eine Betreuung durch Großeltern oder andere nahe Bezugspersonen sein, was die Regierung ebenfalls für förderwürdig erachtet. Es kann sich aber genauso um eine private Kindertagesstätte handeln. Auf der anderen Seite haben Eltern keinen Anspruch auf Betreuungsgeld, wenn zwar ein Elternteil bewusst auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet, das Kind jedoch nur wenige Stunden in der Woche eine Kindertagesstätte besucht, etwa um eine gezielte Frühförderung zu erhalten.
Die Forschung hat klar gezeigt, dass sich frühkindliche Betreuung sehr positiv auf die Kompetenzentwicklung von Kindern aus bildungsfernen Schichten und insbesondere aus bildungsfernen Migrantenhaushalten auswirkt. Viele dieser Kinder finden zuhause kein anregendes, lernförderndes Umfeld und werden insbesondere in ihrer Sprachentwicklung nicht im notwendigen Umfang begleitet. Dem tragen die Kommunen Rechnung, indem sie die Gebühren für frühkindliche Betreuung einkommensabhängig gestalten und in vielen Fällen für Niedrigeinkommensbezieher, was in der Regel mit Bildungsferne Hand in Hand geht, vollständig auf Gebühren verzichten. Auch wenn Bezieher von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe ausgenommen sind, stellt das Betreuungsgeld für viele Niedrigeinkommensbezieher mit 150 Euro eine substantielle Einkommensverbesserung dar. Daher ist insbesondere bei Paaren mit nur einem erwerbstätigen Elternteil damit zu rechnen, dass das Betreuungsgeld zu einem Verzicht auf staatlich geförderte Kinderbetreuung führt.
Je länger Frauen ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, desto schwerer fällt ihnen später der Wiedereinstieg in den Beruf und desto niedrigere Erwerbseinkommen erzielen sie langfristig. Da viele junge Mütter einerseits das Aufwachsen ihrer Kinder intensiv begleiten und andererseits den Kontakt zum Arbeitsmarkt nicht verlieren wollen, bevorzugen sie eine Teilzeittätigkeit. Dies setzt allerdings in den meisten Fällen voraus, dass das Kind zumindest einige Stunden in der Woche eine Betreuungseinrichtung besucht. In Zukunft bedeutet das, dass nicht nur Elternbeiträge gezahlt werden müssen, sondern auch auf das Betreuungsgeld verzichtet werden muss, so dass für Frauen im mittleren und niedrigen Einkommensbereich eine nicht vollzeitnahe Teilzeittätigkeit finanziell unattraktiv wird. Es ist damit zu rechnen, dass sich viele dieser Frauen dann für längere Erwerbsunterbrechungen entscheiden werden. Das Betreuungsgeld wirkt sich also vor allem für Frauen negativ aus, die einen großen Teil der Erziehungsleistung zuhause erbringen wollen, wohingegen es die Entscheidungssituation für Frauen, die eine Vollzeittätigkeit anstreben, kaum ändert.
Fazit: Das Betreuungsgeld belastet den Staatshaushalt nicht nur zusätzlich mit 1,2 Milliarden Euro im Jahr, es kann sich mittelfristig auch nachteilig auf die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands auswirken. Kommt es dazu, dass sich viele bildungsferne Haushalte gegen eine staatliche Kinderbetreuung entscheiden und Frauen ihre Erwerbsunterbrechungen verlängern, verringert sich dadurch mittel- bis langfristig das Fachkräftepotenzial in Deutschland. Zudem ist das Betreuungsgeld im Sinne der Wahlfreiheit junger Eltern bei der Kinderbetreuung überflüssig und kommt noch nicht einmal zielgerichtet nur den Eltern zu Gute, die sich tatsächlich für eine Erziehung ihrer Kinder zu Hause entscheiden. Da die Erwerbstätigkeit der Eltern nicht beschränkt wird, ist das Betreuungsgeld allerdings auch keine „Herdprämie“ im eigentlichen Sinne und kommt auch familiären Betreuungsarrangements jenseits des Erwerbsverzichts der Mutter zugute, etwa einer Kinderbetreuung durch die Großeltern während der Erwerbszeiten. Dennoch sind von der Einführung des Betreuungsgelds in der geplanten Form keine nennenswerten positiven Wirkungen zu erwarten.
Der Wachstums- und Arbeitsmarktindex sind Bestandteil des Deutschland-Checks, eine monatlich erscheinende Dauerstudie der INSM und der WirtschaftsWoche. Insgesamt besteht der Deutschland-Check aus drei Teilen: Die Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung, einer Beurteilung neuer Gesetze und einer Umfrage unter Wirtschaftsexperten, Arbeitnehmern und Arbeitgebern.