Wir brauchen eine neue Willkommenskultur
Trotz Euro-Krise rechnen 63 Prozent der von Roland Berger befragten 130 Vorstände und Geschäftsführer von mittelständischen und börsennotierten deutschen Unternehmen im laufenden Jahr mit einem Umsatzwachstum von mindestens zehn Prozent. Im Vorjahr waren es laut Roland Berger noch 73 Prozent. Von Euro-Angst also keine Spur. Die Wachstumsprobleme liegen woanders: Die Manager fürchten, dass eine erneute Kreditklemme sie ausbremsen könnte. Und vor allem macht ihnen der Fachkräftemangel nach wie vor große Sorgen.
Da scheint es, dass der Zustrom junger, arbeitsloser Akademiker aus dem europäischen Ausland gerade recht kommt – so schlimm das für die jeweiligen Heimatländer ist, Deutschland könnte von dieser Situation profitieren. Die Jugendarbeitslosigkeit hat in Staaten wie Griechenland (52,7 Prozent), Spanien (50 Prozent) oder Portugal (36 Prozent) so dramatische Werte erreicht, dass die Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bereits von einer verlorenen Generation spricht. In Deutschland liegt sie laut Handelsblatt mit 7,9 Prozent deutlich unter dem Eurozonenschnitt von 22,1 Prozent. Laut Statistischem Bundesamt kamen im vergangenen Jahr knapp 24.000 Griechen – 90 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zuzüge aus Spanien legten um 52 Prozent zu, die aus Portugal um 28 Prozent.
Es sind dieses Mal nicht die Kumpel für die Produktion, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine Stelle zu hoffen finden, sondern gut bis sehr gut qualifizierte Menschen für den Finanz-, Rechts- oder IT-Sektor – ambitionierte Akademiker zwischen 25 und 35 Jahren. Sie wollen für die Deutschlands Unternehmen Produkte entwickeln, neue Märkte erschließen oder internationale Verträge gestalten. Allein aus Spanien hat die Fach- und Führungskräftevermittlung (ZAV) der Bundesagentur, die ausländisches Personal für deutsche Arbeitgeber sucht, 17.000 Job-Interessenten registriert. Vor allem IT-Spezialisten und Ingenieure bringt die ZAV inzwischen auf speziellen Bewerbertagen in Barcelona und Madrid mit deutschen Arbeitgebern in Kontakt.
Doch wer nun glaubt, dass die Mehrheit dieser jungen Auswanderungswilligen vor allem Deutschland im Sinn hat, nur weil bei uns die Wirtschaft stabiler und der Arbeitsmarkt chancenreicher als in ihren Heimatländern ist, irrt. Die größte Zahl der Südeuropäer sucht sich ganz andere Länder. Zum Beispiel die skandinavischen – oder auch Frankreich, allein wegen der kulturellen und sprachlichen Nähe. Vor allem der Service, den Länder wie Norwegen, Schweden, Kanada oder Australien bieten, ist viel großzügiger als das, was Deutschland zur Verfügung stellt. Diese Staaten spendieren den jungen Ausländern – egal welchen Bildungsniveaus – Sprachkurse für Anfänger oder Fortgeschrittene. Außerdem helfen die Mitarbeiter der offiziellen Einwandererberatungsstellen den Neuankömmlingen bei der Wohnungs- und Jobsuche. Und sie sorgen mit speziellen Orientierungskursen dafür, dass sich auch der Partner oder die Kinder rasch eingewöhnen.
Eine derartige Willkommenskultur gibt es in Deutschland nicht. Es reicht nicht, ständig ein diskriminierungsfreies und tolerantes Klima für Ausländer und Migranten zu fordern, aber tatkräftige Hilfe zu unterlassen. Die Homepage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die grundsätzlich viele Informationen für Neulinge in Deutschland bereithält, ist in Deutsch, Englisch, Russisch und Türkisch. Spanisch, Griechisch oder Italienisch Fehlanzeige. Es hapert also schon am sprachlichen Zugang – abgesehen davon, dass Deutschland kaum finanzielle Hilfe für die potenziellen Steuerzahler bereithält. Von Relocation-Service ganz zu schweigen.
Wer dem Fachkräftemangel begegnen und die geeignetsten Kandidaten aus Europa haben will, um dem eigenen Nachwuchsproblem zu begegnen, muss einfach mehr tun – und spendabler werden. So bemüht sich die Politik zwar um die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse – und auch kosmetisch wird bereits einiges verändert: Beispielsweise haben die Hamburger ihre „Ausländerbehörde“ in „Welcoming Center“ umbenannt. Doch im Grunde ist Deutschland immer noch ein ziemlich lust- und phantasieloses Einwanderungsland. Es wird höchste Zeit, dass wir auf dem Weg zu einer liberaleren Zuwanderungspolitik endlich attraktiver werden.
Dies ist ein Beitrag aus der Reihe “WachstumsBlog”. In einem bis zwei Beiträgen pro Woche beschäftigen sich Wirtschaftsexperten im ÖkonomenBlog mit Themen rund um nachhaltiges Wachstum.
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Autor:
Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.