Wie die Digitalisierung die Beziehungsarbeit in den Mittelpunkt rücken könnte

Was Menschen arbeiten und der Stellenwert dieser Arbeit sind seit jeher in stetiger Veränderung. Technische Lösungen nehmen in diesem Wandel eine immer größere Rolle ein. Welchen Einfluss haben diese Fortschritte und insbesondere die Digitalisierung auf unsere Arbeit?

Arbeit und Beschäftigung haben in der Entwicklung der Menschheit und ihrer Zivilisationen schon immer eine zentrale Rolle für die Individuen eingenommen. Anfänglich, um sich selbst und die eigene Familie ernähren und damit überleben zu können. So stand bereits zu Beginn der menschlichen Schaffensgeschichte immer der Nächste im Mittelpunkt. In den letzten Jahrtausenden ist dies mit zunehmender Arbeitsteilung, individueller Spezialisierung und räumlich entkoppelten Lieferketten etwas aus dem Fokus geraten. Um als wertvolles Mitglied einer Gesellschaft zu gelten, war es nicht mehr notwendig, direkt zum Überleben oder Wohlergehen der Gruppe beizutragen. Stattdessen wurde es legitim, die eigene Schaffenskraft beispielsweise für den Aufbau von eigenem Besitz, sozialem Status und Vermögen zu nutzen.

Nichtsdestotrotz war der Mensch in der Vergangenheit mehrheitlich dazu gezwungen, alle anfallenden Tätigkeiten selbst auszuführen, was meist nur unter erheblichem körperlichen Einsatz geschehen konnte. Der Ackerbau, die Produktion von Werkzeugen oder das Errichten monumentaler Tempelanlagen – all das musste oft unter Gefährdung der eigenen Gesundheit oder des Lebens geleistet werden. Man denke hierbei an die hohe Zahl von Opfern, die Großprojekte in der Vergangenheit forderten, aber auch in jüngerer Zeit, beispielsweise bei dem Bau von Stadien in Ländern außerhalb Europas und den USA. Den klassischen Wertschöpfungsprozess dominierte somit für den Großteil unserer Vergangenheit der körperliche Anteil der Tätigkeit.

„Die Hoffnung der Digitalisierung liegt darin, dass die Menschen von langatmigen und auf Routinen basierenden Controlling-Aufgaben befreit werden.“

In der Moderne haben wir uns daran gewöhnt, dass diese körperlichen Risiken zunehmend durch ausgereifte Schutzausrüstung, soziale Protokolle und effektivere Werkzeuge minimiert werden. Dafür hat der Verwaltungsaufwand, der die Kooperation für die mehrstufigen Produktionsprozesse sicherstellen soll, stark zugenommen. Dies ist in der Tat ein zweischneidiges Schwert, da die Menschen, denen körperliche Arbeiten erspart wurden, nun zunehmend mehr geistige Ressourcen für die Überwachung und das Controlling der automatisierten Prozesse aufwenden müssen. Die Hoffnung der Digitalisierung liegt nun darin, dass die Menschen auch von den langatmigen und auf Routinen basierenden Controlling-Aufgaben befreit werden können.

Doch selbst wenn die Menschheit irgendwann an einen Punkt käme, an dem Automaten alle körperlichen und verwaltungstechnischen Aufgaben übernommen hätten, bliebe jedoch eine überwältigende Fülle an Bereichen übrig, die bislang und in abschätzbarer Zeit nur von Menschen ausgeführt werden können. Kreativität, soziale Interaktion sowie kommunikative Aufmerksamkeit machen unsere Menschlichkeit aus und unterscheiden uns bislang von Maschinen. Digitalisierung und technische Möglichkeiten wie Roboter können dazu führen, dass der Mensch sich wieder auf das konzentrieren kann, was er aufgrund seiner Bestimmung als soziales Wesen im Besonderen zu leisten vermag und was auch nicht durch die Technik übernommen werden kann. Dazu gehören vor allem die Beziehungsarbeit und das Kümmern um menschliche Belange.

Betrachtet man die zukunftsfähigen Adaptionen der Digitalisierung, lässt sich eine vorteilhafte Neuausrichtung der jeweiligen Tätigkeiten erkennen. Aus dieser Neuausrichtung folgt im Zweifel sogar ein weiterer Vorteil, der in der Steigerung der Attraktivität des Berufsfeldes als solchem begründet liegt. Um nun die Arbeit des Menschen tatsächlich wieder in den Mittelpunkt zu rücken, bedarf es struktureller Veränderungen, auch im Hinblick auf bestehende staatliche Institutionen. Ein notwendiger Umbruch lässt sich auch auf oberster Ebene begründen. So bedarf es neben einer umfangreichen politischen Debatte zwingend einer Weiterentwicklung der Agentur für Arbeit in Form eines modernen Umbaus. Kompetenzen und Aufgaben müssen hier unter dem Aspekt der digitalisierten Arbeitswelt neu gedacht werden.

Von einer Agentur für Arbeit, die sich üblicherweise um die Vermittlung von Arbeitslosen kümmert, zu einer Agentur für berufliche Chancenerweiterung, die vor allem die fachliche wie persönliche Weiterentwicklung und Qualifizierung sowie die Bildung im Allgemeinen befördert. Ohne Schaffung eines verbindlichen Rechtsanspruchs sollte sie eine staatlich-neutrale Rolle einnehmen und auf diese Weise einen wesentlichen Pfeiler beim Aufbau eines gesunden modernen Arbeitsmarkts darstellen. Sie sollte auf Basis der Grundprinzipien der Freiwilligkeit und der fördernden statt bevormundenden Unterstützung individuelle Berufsbiografien weiterentwickeln und damit ein flächendeckendes fachliches Niveau im bereits für die Qualität der Fachkräfte bekannten Deutschland schaffen. Auf diese Weise kann auch dem drohenden Fachkräftemangel im Zuge des demografischen Wandels entgegengewirkt werden. Allerdings darf dem nicht das alte Arbeitsmarktsystem zugrunde liegen. Stattdessen müssen die Beamten und Entscheidungsträger die Auswirkungen der Digitalisierung und Globalisierung auf den Arbeitsmarkt verstehen und verinnerlichen, um auf diese Weise adäquate und innovative Modelle und Strategien bei der Vermittlung und Förderung zu entwickeln.

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Autor:

Prof. Dr. Martin Pätzold ist Leiter des Büros von Burkard Dregger, Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Zusätzlich unterstützt er das Beratungsunternehmen Baker Tilly bei der Stiftungsarbeit. Pätzold war von 2013 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages.

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