Wettbewerb und Staatsbeteiligungen in Zeiten von Corona
Die Corona-Krise trifft die Wirtschaft hart. Ihre Auswirkungen werden noch lange zu spüren sein, auch nachdem die Wirtschaft wieder Tritt gefasst hat. Marktstrukturen werden sich ändern und damit auch die Wettbewerbssituation.
Die aktuelle Krisensituation stellt viele Wirtschaftszweige vor besondere Herausforderungen. Lieferketten sind teilweise zusammengebrochen, die Nachfrage ist in manchen Märkten stark zurückgegangen und in anderen dagegen gestiegen, etwa im Medizin- und Pharmabereich. Das Netzwerk der europäischen Wettbewerbsbehörden (ECN) hat sehr frühzeitig eine Erklärung veröffentlicht, in der angekündigt wurde, Kooperationen zwischen Wettbewerbern zuzulassen, sofern diese zur Sicherstellung der Versorgung und für eine faire Verteilung von knappen Waren notwendig seien. Die Europäische Kommission hat einen befristeten Rahmen für die Prüfung von Kooperationen verabschiedet, der die Prüfungskriterien für Kooperationsvorhaben konkretisiert. Mittlerweile hat die EU-Kommission zumindest einen Comfort Letter ausgestellt, der den kooperierenden Unternehmen eine etwas höhere Rechtssicherheit gibt. Der Letter ging am 8. April an „Medicines for Europe“, ein Kooperationsvorhaben zur Verbesserung der Versorgung mit Arzneimitteln.
Das
Wettbewerbsrecht bietet die Flexibilität, solche temporären Kooperationen zur
Sicherstellung der Versorgung mit wesentlichen Gütern zu ermöglichen. Darüber
hinausgehende Forderungen – etwa die Bildung von Strukturkrisenkartellen – sind
als Reaktion auf konjunkturelle Nachfragerückgänge nicht angemessen und daher
nicht zielführend. Insgesamt ist darauf zu achten, dass die Kooperationen nach
der Krise auch wieder beendet werden.
Struktureffekte durch die Krise
Die großen Plattformunternehmen sind die Gewinner der Krise. Der Digitalisierungsschub, sei es im Onlinehandel, bei Videokonferenzen oder dem Abruf von Streamingdiensten, hat den Marktwert der fünf großen Digitalunternehmen – Alphabet, Amazon, Apple, Facebook, Microsoft – weiter ansteigen lassen. Zum richtigen Umgang mit diesen Unternehmen aus wettbewerblicher Sicht ist in den letzten Jahren vieles erarbeitet worden, etwa durch die Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Europäischen Wettbewerbsrechts vorgelegt hat. Die aktuellen Entwicklungen machen eine Umsetzung (zumindest eines Teils) dieser Vorschläge, insbesondere den Erlass einer Plattform-Verordnung mit Verhaltensregeln für marktbeherrschende Online-Plattformen, umso dringlicher.
Insolvenzen sind derzeit noch wenige zu beobachten, da die Meldepflicht für krisenbedingte Unternehmensaufgaben bis Ende September aufgehoben wurde. Es ist aber davon auszugehen, dass die Zahl der Insolvenzen ansteigen wird und dass es verstärkt kleine und mittlere Unternehmen sein werden, die aus dem Markt ausscheiden. Deren wettbewerbliche Kraft und disziplinierende Wirkung auf die Wettbewerber wird fehlen.
Wettbewerbseffekte durch die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen
Alle europäischen Länder haben Programme aufgelegt, um den Unternehmen mit Krediten, Bürgschaften und zusätzlichem Kapital durch die Krise zu helfen. Diese Programme sind wettbewerblich nicht unbedenklich. So sieht die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, mit Sorge die „riesigen Unterschiede“ bei den Corona-Staatshilfen der verschiedenen Mitgliedsländer. Insbesondere befürchtet sie, dass deutsche Unternehmen durch die großen Hilfsprogramme der Bundesregierung einen Wettbewerbsvorteil erlangen, den sich andere Länder nicht leisten können. Vermutlich hat sie deswegen den deutschen Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der mit 600 Milliarden Euro sehr groß ausgelegt ist, noch nicht bewilligt.
Maßnahmen aus staatlichen Mitteln, die lediglich bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige selektiv begünstigen, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, unterliegen der europäischen Beihilfekontrolle. Die Europäische Kommission hat dazu in der Mitteilung „Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19“ Voraussetzungen genannt, die erfüllt sein müssen, damit staatliche Hilfen bewilligt werden.
So dürfen nur
Unternehmen staatliche Unterstützung erhalten, die sich Ende vergangenen Jahres
nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befanden. Kredite, die zu 100 Prozent
vom Staat garantiert werden, sind bei 800.000 Euro gedeckelt. Um staatlich
geförderte Einkaufstouren zu vermeiden, dürfen große Unternehmen, die Hilfe
bekommen, sich nicht mit mehr als zehn Prozent an Wettbewerbern beteiligen.
Ob die Unterschiede in den Höhen der jeweiligen nationalen Unterstützungsmaßnahmen per se wettbewerbsschädlich sind, ist nicht klar. Manche dieser Programme werden nicht ausgeschöpft, andere werden, wie auch in der Finanzkrise geschehen, bei Bedarf aufgestockt werden. Zudem sorgt die Europäische Investitionsbank mit ihrem neu eingerichteten paneuropäischen Garantiefonds dafür, dass auch Unternehmen in Ländern mit geringerer Finanzkraft Liquiditätshilfen bekommen.
Aber auch wenn die Förderungsmaßnahmen die Beihilfekontrolle der EU passieren, sind sie nicht unbedingt wettbewerbsneutral. Richtig eingesetzt können sie den Wettbewerb sogar fördern. Für Start-ups beispielsweise macht es die Krise schwieriger, sich Finanzierungen zu sichern. Zudem wird befürchtet, dass mittelfristig auch das Interesse an Neugründungen abnehmen wird. Die wettbewerblichen Impulse durch Start-ups gingen dann verloren. Das von der deutschen Regierung aufgelegte Maßnahmenpaket in Höhe von zwei Milliarden Euro kann hier Abhilfe schaffen.
Kritisch für den Wettbewerb kann es immer dann werden, wenn die öffentliche Hand selektiv Unternehmen stützt. Die geplanten rund sieben Milliarden Euro für die Deutsche Bahn werden dieser helfen, aber für die wenigen Wettbewerber im Bahnverkehr sind das keine guten Nachrichten. Das zarte Pflänzchen Wettbewerb im Nah-, Fern- und Güterverkehr könnte darunter leiden, wenn die Deutsche Bahn die Mittel nutzt, um ihre Position als Transportunternehmen auszubauen. Dabei ließen sich Wettbewerbsprobleme zumindest zum Teil vermeiden: Zweckgebundene Investitionen der öffentlichen Hand in die Infrastruktur Schiene kommen nämlich allen Wettbewerbern zugute – und den Bahnfahrern. Finanzspritzen darüber hinaus sollten den Anforderungen der Beihilferegeln genügen.
Auch die Hilfen für die Lufthansa in Höhe von neun Milliarden Euro sind nicht wettbewerbsneutral. Die irische Fluglinie Ryanair hat bereits angekündigt, dagegen zu klagen. Diese potenziellen Wettbewerbsverzerrungen bereiten auch der Europäischen Kommission Sorgen. Im Fall der Lufthansa hat die Kommission der Fluggesellschaft daher abgerungen, dass diese im Gegenzug für die staatliche Beihilfe insgesamt acht Flugzeuge – vier in Frankfurt und vier in München – mitsamt den dazugehörigen 24 Start- und Landerechten, den Slots, abgibt. Dem Wettbewerb im deutschen Luftverkehr dürften diese Maßnahmen guttun. Die Monopolkommission hat dazu schon im vorletzten Hauptgutachten Vorschläge entwickelt, allerdings für den europäischen Rechtsrahmen, der die Slot-Vergabe an Flughäfen regelt. Insofern bleibt hier die europäische Entwicklung abzuwarten. So hat die Europäische Kommission Air France nicht zu einer Abgabe von Slots verpflichtet, obwohl auch hier der französische und niederländische Staat mit 28 Prozent beteiligt sind. Allerdings hat Air France auch kein neues Eigenkapital erhalten, sondern „nur“ einen Kredit und Garantien. Gespannt darf man sein, wie sich die Kommission im Fall der schon seit Jahren schwächelnden Alitalia verhalten wird.
Wettbewerbseffekte durch die Übernahme staatlicher Kontrolle
Die Lufthansa war der erste Fall. Im Rahmen der Rettungsmaßnahmen hat der Bund einen Aktienanteil in Höhe von 20 Prozent mit inhaltlich beschränkten Stimmrechten und eine weitere stille Beteiligung, die unter bestimmten Bedingungen in Aktien umgewandelt werden kann (mindestens weitere fünf Prozent) übernommen. Dafür soll er im Aufsichtsrat über zwei Mandate verfügen.
Eine Übernahme von Kontrollrechten ist nicht unproblematisch. Es besteht die Gefahr, dass Wettbewerbsverzerrungen entstehen, wenn der Staat gleichzeitig „Spieler“ und „Schiedsrichter“ ist und auch noch die Regeln des gesamten Spiels festlegt. Dem Anreiz, die Marktregeln so festzulegen, zu interpretieren und durchzusetzen, dass das eigene Unternehmen nicht zu schlecht abschneidet, kann sich auch der Staat nicht immer entziehen. Darüber hinaus erfährt ein Unternehmen mit staatlicher Beteiligung unmittelbare Vorteile, etwa weil Finanzierungsbedingungen bei Krediten günstiger sind.
Wichtig ist deshalb, dass die öffentliche Hand darauf achtet, die im Zuge der Krise übernommenen Beteiligungen nach der Krise auch wieder zu verkaufen. Genau dies verlangt übrigens auch die Europäische Kommission: „Die Beihilfeempfänger und die Mitgliedstaaten müssen eine Ausstiegsstrategie entwickeln“, heißt es in den Beihilfeleitlinien. Nach der Finanzkrise wurde zu diesem Zweck ein „Expertenrat Ausstiegsstrategien“ berufen, der die Bundesregierung bei der Beendigung der Maßnahmen beraten hat. Dieses Modell könnte wieder aktiviert werden. Alternativ wäre ein regelbasierter Ausstieg denkbar – etwa wenn die deutsche Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahren wieder auf Wachstumskurs war – oder, falls der Staat sich vermehrt an Unternehmen in der Krise beteiligt, die Überführung der Beteiligungen in einen Fonds, der diese verwaltet und den Auftrag hat, den Ausstieg durchzuführen. Die Erfahrungen mit der Commerzbank, bei der der Bund in der Finanzkrise 2009 eingestiegen ist und an der er noch immer beteiligt ist, sind in jedem Fall nicht zur Nachahmung empfohlen.
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Autor:
Prof. Achim Wambach ist Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung & Vorsitzender der Monopolkommission.