Weekender-Themen: Freihandel, Mindeststeuer, Inflation, Staat, Bahnstreik
Jeden Freitag empfiehlt der Weekender fünf Vertiefungen zu wirtschaftspolitisch interessanten wie relevanten Themen.
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„Die Vorteile des freien Handels aufzugeben, wäre ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod“, sagt der Kieler Ökonom Stefan Kooths in der Süddeutschen Zeitung. Dort hat Alexander Hagelüken einen Blick auf die deutsche Exportwirtschaft geworfen und neben Kooths seinen Kollegen Jens Südekum aus Düsseldorf befragt. Der hält die Bundestagswahlen für entscheidend: „Da muss jemand ins Kanzleramt kommen, der eine Investitionsagenda anpackt.“ Kooths pflichtet bei: „Europa muss massive staatliche Investitionen starten, um stark und unabhängig zu werden – dann werden die USA oder China weniger versuchen, Druck auszuüben.“
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132 Staaten (hier die Liste) haben der Einführung einer globalen Mindeststeuer für große Konzerne (15 Prozent auf den Gewinn) Anfang Juli dieses Jahres zugestimmt. Dass die Einführung dennoch kein Selbstläufer werden wird, hat zwei Gründe: Erstens müssen alle Staaten die Vereinbarung in nationales Gesetz überführen (das kann dauern) und zweitens wird auch in Zukunft für Niedrigsteuer-Staaten der Anreiz bestehen, von der Mindeststeuer nach unten abzuweichen – um neue Firmen anzulocken. Allein dass Niedrigsteuer-Länder wie Irland und Estland nicht an der Vereinbarung teilnehmen, ist ein Indiz, dass es ein langer Weg zum Erfolg einer globalen Mindeststeuer ist (Timo Pache hat hier aufgeschrieben, warum es für Jubel zu früh ist). Dass eine Umsetzung aber wichtig ist, weil eine solche Steuer deutlich mehr ist als der Versuch von Hochsteuerstaaten, sich unliebsame Konkurrenz vom Leib zu halten, zeigen Aqib Aslam and Maria Coelho vom Internationalen Währungsfonds (IMF) in dem Paper „A Firm Lower Bound: Characteristics and Impact of Corporate Minimum Taxation“ (hier die Kurzfassung als Blogpost). Die beiden Wissenschaftler haben sich angeschaut, wie sich die tatsächlichen Steuereinnahmen verändern, wenn in der Vergangenheit auf nationaler Ebene Mindeststeuern eingeführt wurden. Solche Mindeststeuern verhindern, dass vor allem multinationalen Unternehmen Steuersubventionen gewährt werden, was vor allem in Staaten mit schwachen politischen Institutionen und Steuerbehörden der Fall ist. Aslam and Coelho zeigen, dass sich die tatsächlichen Steuereinnahmen nach Einführung einer solchen nationalen Mindeststeuer deutlich erhöht haben, nämlich im Durchschnitt um 10 Prozentpunkte. Übrigens: Von der Einführung der globalen Mindeststeuer erwartet die OECD jährliche staatliche Zusatzeinnahmen in Höhe von 150 Milliarden Dollar.
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Die Inflationsrate in Deutschland ist im Juli im Vergleich zum Vorjahresmonat um 3,8 Prozent gestiegen, in den USA sogar um 5,4 Prozent. Ein Grund: Die Öffnung der Weltwirtschaft nach dem Corona-Schock hat in zahlreichen Sektoren zu Angebotsengpässen geführt. In der Folge sind die Preise, teilweise sprunghaft, gestiegen. Was aber wird mittel- und langfristig geschehen? Stefan Schneider von Deutsche Bank Research vermutet aufgrund struktureller Veränderungen dauerhaft steigende Preise. Zu diesen Veränderungen zählt Schneider unter anderem den demografisch bedingten Arbeitskräftemangel und das Streben nach CO2-Neutralität. Auf ‚Wirtschaftliche Freiheit‘ schreibt er: „Zusammengenommen dürften alle diese Trends die Inflation insbesondere in Deutschland längerfristig ankurbeln.“
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Die Pandemie hat einer alten Frage neue Aufmerksamkeit gegeben: Wie viel Staat braucht die Gesellschaft? Als Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft freuen wir uns über die Debatte. Worüber wir uns weniger freuen: dass die Diskussion vornehmlich entlang der verkürzten Frage geführt wird, ob wir mehr („Starker Staat“) oder weniger („Schwacher Staat“) staatliche Aktivitäten brauchen. Besser wäre, es würde mehr über „gut oder schlecht“ statt über „mehr oder weniger“ diskutiert. Was ist zu Recht die Aufgabe des Staates, was dagegen ist im Handeln privater Akteure besser aufgehoben? Die Antwortsuche auf diese Frage bringt weiter. Die Frage nach dem starken und schwachen Staat führt daher regelmäßig in wenig gewinnbringende ideologische Grabenkämpfe. In diesem eher unguten Sinne ist der Gastkommentar „Corona zeigt: Ein schwacher Staat ist keine Lösung“ von DIW-Chef Marcel Fratzscher im Handelsblatt gehalten. Man kann ihn auf zwei Arten lesen. Im Subtext sagt der Text: Märkte sind grundsätzlich problematisch, der Staat löst dagegen die meisten Probleme. Auf der Sachebene verhält es sich anders. Da schlägt Fratzscher zwar zahlreiche Staatseingriffe vor, aber erstens nur dort, wo es zu Marktversagen kommt, und zweitens gibt es das, was er vorschlägt, in der Regel schon – es geht ihm vor allem ums Nachjustieren. Er schreibt zum Beispiel, dass die Wettbewerbsbehörden stark sein müssen (um Monopole der Digital-Konzerne zu verhindern), spricht sich für regulierende Zentralbanken aus (um negative Konsequenzen infolge starker Schwankungen privater Währungen zu verhindern), und er plädiert für eine globale Mindeststeuer für multinationale Unternehmen (wurde eben von 132 Staaten beschlossen, siehe oben). In diesem (auch unserem) Sinne ist ein starker Staat keine Frage von Größe und Budget, sondern eines guten Ordnungsrahmens.
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Die Macht der Spartengewerkschaften: IW-Tarifexperte Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft spricht im Interview mit dem Deutschlandfunk über den Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Der Ökonom erläutert, warum die Lokführergewerkschaft so aggressiv im Tarifstreit ist und welche Probleme das Tarifeinheitsgesetz bei einer Einigung mit sich bringt.
Gute Kommentare, interessante Hintergründe – jeden Freitag präsentieren wir (Link zum Archiv) fünf Vertiefungen zu den wirtschaftspolitisch interessantesten und relevantesten Themen der Woche. > Keinen Blogpost verpassen
Autor:
INSM Redaktion Hier schreibt die Redaktion der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.