Was Shinzo Abe besser als Angela Merkel macht und warum beide auf dem Holzweg sind
Die wirtschaftlichen Herausforderungen in Europa und Japan sind ähnlich: hohe Staatsschulden, Niedrigzins und Mini-Wachstum. Politisch ist die Ausgangssituation jedoch eine andere: Während der japanische Premierminister bei den letzten Wahlen den Vorsprung seiner Partei ausbauen konnte, wenden sich in Europa die Wähler zunehmend von den Volksparteien ab. Doch nur auf den ersten Blick mach Shinzo Abe vieles besser.
Die Zeiten sind schwer für Politiker. Das Wachstum ist in vielen Industriestaaten niedrig, die Verteilungsungerechtigkeit wächst ebenfalls in vielen Ländern, und die Rentensysteme geraten immer stärker unter Druck. In ganz Europa wenden sich viele Bürger von den ehemaligen Volksparteien ab. Auch wenn Deutschland derzeit boomt und die Löhne etwas steigen, stecken Union und SPD in der Krise. Es triumphieren AfD und Linkspartei, die die Politik der etablierten Parteien ins Kreuzfeuer nehmen. Der AfD-Vorsitzende will die Kanzlerin Merkel sogar jagen.
Anders in Japan, wo die seit 1950 fast lückenlos regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) unter Shinzo Abe im Herbst 2017 mit 311 von 465 Sitzen im Parlament einen sehr hohen Sieg hingelegt hat. Die populistische Herausforderin Yuriko Koike erreichte nur 50 Sitze, obwohl es nach bald 30 Jahren Stagnation bei sinkenden Löhnen, wachsender Ungleichheit und Rekordstaatsverschuldung (240 % des BIP) wenig zu feiern gibt. Warum ist Shinzo Abe erfolgreicher als Angela Merkel, obwohl die wirtschaftliche Lage in Japan deutlich schlechter als in Deutschland ist?
Die Gründe finden sich bei der Wirtschaftspolitik. Japans Premierminister Abe lindert mit Hilfe der Bank von Japan die schlimmsten Folgen der Rezession. Die Bank von Japan hat unter Präsident Haruhiko Kuroda, einem Günstling Abes, seit Januar 2013 Staatsanleihen im Wert von 321 Billionen Yen (ca. 2,4 Billionen Euro) gekauft. Das hat geholfen, die Zinslast zu reduzieren, die Steuereinnahmen leicht auszuweiten und die Staatsausgaben hoch zu halten. Die wichtigsten Ausgabenpositionen der Regierung sind Zuschüsse für Renten- und Sozialkassen (33 %) sowie für den regionalen Finanzausgleich (17 %) (Finanzjahr 2017).
Abe hat Studenten Hilfen für die hohen Studiengebühren zugesagt. Junge Familien dürfen auf kostenlose Kindergärten hoffen. Abe nimmt Druck von den Strompreisen, indem er die nach dem Fukushima-Gau stillgelegten Atomkraftwerke wieder anlaufen lässt. Die für die Konsolidierung der immensen Staatsverschuldung notwendige Mehrwertsteuererhöhung von 8 % auf 10 % hat Abe zwar angekündigt, aber dann abgesagt.
Und Abe spielt die nationale Karte: Der japanische Reis – das Symbol nationaler Identität – ist mit einem Zoll von über 300 % geschützt. Mit China köchelt der Premier einen Streit um eine wertlose Inselgruppe im Chinesischen Meer, während aus Nordkorea wackelige Raketen über Japan fliegen. Vor allem aber lässt Abe keine Flüchtlinge ins Land. Denn Japans verunsicherte Wähler fürchten nach fast 30 Jahren Stagnation nichts mehr als „deutsche Verhältnisse“, von denen Japans Medien ausgiebig berichten.
Im Gegensatz dazu haben sich Angela Merkel und ihre Vorgänger politische Stolpersteine in den Weg gelegt. Die Maastricht-Kriterien und die nun im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse behindern einen weiteren Ausbau der Zuschüsse für das Rentensystem. Der Solidarpakt für das wirtschaftlich gebeutelte Ostdeutschland wird gerade heruntergefahren. Der durch den nuklearen Gau in Fukushima ausgelöste Atomausstieg kommt zusammen mit der Klimarettung die deutschen Bürger teuer zu stehen. Die Mehrwertsteuererhöhung von 16 % auf 19 % wurde schon vor mehr als zehn Jahren durchgedrückt.
Statt auf Konflikte mit den europäischen Nachbarn setzt Merkel auf Großzügigkeit. Deutschland ist nicht nur mit ca. 14 Milliarden Euro pro Jahr größter EU-Nettozahler. Die deutsche Regierung beanstandet auch nicht, dass seit 2012 über die TARGET-Salden des Europäischen Systems der Zentralbanken mehr als 850 Milliarden Euro von Deutschland in die europäischen Krisenstaaten transferiert wurden. Gleichzeitig werden die EU-Subventionen für die deutschen Bauern heruntergefahren. Seit Januar 2015 wurde knapp ein Drittel der vielen Flüchtlinge in der EU von Deutschland aufgenommen.
Der Unterschied im Politikansatz ist klar. Abe schüttet das von der Zentralbank gedruckte Geld publikumswirksam an die wichtigsten Wählergruppen aus, insbesondere an die Landbevölkerung und die Rentner. Steuererhöhungen werden vermieden. Das Gefühl der Bedrohung durch China und Nordkorea sowie die Angst vor dem Verlust der kulturellen Identität bei einer Einwanderungswelle lassen die Japaner hinter Abe zusammenrücken.
Angela Merkel hat seit Ausbruch der europäischen Finanz- und Schuldenkrise einen beträchtlichen Ausgabenspielraum gewonnen. Die EZB hat seit März 2015 deutsche Staatsanleihen im Gegenwert von 460 Milliarden Euro gekauft und deren Verzinsung gegen null gedrückt. Zudem lässt derzeit eine von billigem Geld befeuerte Export- und Immobilienblase die Steuerquellen üppig sprudeln. Seit 2005 sind die Steuereinnahmen von 450 Milliarden Euro auf 735 Milliarden Euro 2017 gestiegen. Doch beim deutschen Bürger kommt gefühlt wenig davon an. Die Bürger fühlen sich zunehmend allein gelassen und wenden sich ab. Kurzfristig ist die politische Strategie von Abe damit deutlich erfolgreicher.
Langfristig sind jedoch sowohl Merkel als auch Abe auf dem Holzweg, weil beide ihre Großzügigkeit maßgeblich – direkt oder indirekt – von den Notenbanken finanzieren lassen. Japan zeigt, dass die Geldschwemme der Bank von Japan die Produktivitätsgewinne der japanischen Wirtschaft gelähmt und damit den Wohlstand unterhöhlt hat. Seit fast 20 Jahren fällt das Lohnniveau. Auch in Europa zieht die Geld-Bazooka von Mario Draghi sinkende Produktivitätsgewinne und stagnierende bzw. fallende Löhne nach sich. Noch verdeckt die deutsche Immobilien- und Exportblase die vollen Risiken der ultralockeren Geldpolitik, so dass derzeit der Arbeitsmarkt überhitzt ist und die Löhne steigen. Doch sobald die Blase platzt, werden auch in Deutschland die Löhne und die soziale Sicherung wieder unter Druck geraten.
Deshalb sei daran erinnert, dass einst die stabile Deutsche Mark die Grundlage für Wohlstand in Deutschland und Europa war. Nur wenn die Politik zur Finanzierung ihrer Versprechungen nicht auf die Notenpresse vertraut, wird der Wohlstand in Europa langfristig gesichert sein. Sonst wird der alte Kontinent dem stetigen Abstieg des Landes der aufgehenden Sonne folgen.
Referenz:
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Autor:
Prof. Dr. Gunther Schnabl und Taiki Murai Prof. Schnabl ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Taiki Murai ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftspolitik