Wambach-Buch: Eine neue Ordnung für die digitale Wirtschaft

Die Wucht, mit der die Digitalisierung Wettbewerb, Geschäftsmodelle, Jobs und Ar-beitsmarkt verändert, ist heftig. Mittlerweile rüttelt sie auch an den Grundfesten unseres Sozial- und Wirtschaftssystems. Welche strukturellen Veränderungen wir brauchen, damit Freiheit und Wohlstand auch zukünftig gesichert bleiben, beschreiben die Autoren in ihrem „Update“ für die Soziale Marktwirtschaft.

Bisher galt die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards als der Konsens überhaupt. Sie war der ideale Mittelweg zwischen Planwirtschaft und Laissez-faire-Liberalismus, also einer weitgehend ungeregelten Wirtschaft. Engagierte Sozialpolitik, ausgewogener Wettbewerb und Anti-Kartell-Gesetzgebung sind nur einige der Errungenschaften, die sie zu einem der geachtetsten Wirtschaftssysteme weltweit gemacht haben.

Die Internetwirtschaft stellt sie jedoch vor neue Herausforderungen: Monopole statt Wettbewerb, Daten statt Preise, Sharing statt Eigentum, Clickworkertum statt Sozialpartnerschaften („Clickworker sind keine Arbeitnehmer mit standardisiertem sozialversichertem Normalarbeitsverhältnis mehr, sondern Einzelunternehmer, die sich kleine Kleckerbeträge zusammenschuften“). Der Ökonom Achim Wambach und der Wirtschaftsjournalist Hans Christian Müller zeigen in ihrem Buch „Digitaler Wohlstand für alle“, wie es gelingen kann, auch im Zeitalter der Internetgiganten eine Wirtschaft mit einer Wettbewerbsordnung zu entwickeln, von der jeder profitiert. „Alle sollen sich daran freuen können, dass die Wirtschaft wächst, weil ja alle etwas davon haben“, schreiben die Autoren.

Regulierung gegen Wettbewerbsverzerrung

Voraussetzung ist eine passende Ordnungspolitik, um die digitale Wucht in der Wirt-schaft richtig zu kanalisieren. Unbestritten ist die gewachsene und erkaufte Marktmacht der großen US-Internetgiganten. Aufgrund ihrer Monopolstellung beherrschen sie Märkte auf allen Kontinenten. Um diese Macht einzuschränken, schwebt den Autoren keine „Weltkartellbehörde“ vor, sondern ein geregelter Wettbewerb auf nationaler Ebene. „Mit der Missbrauchs- und Fusionskontrolle, also […] klassischen Instrumenten, sind die Wettbewerbshüter durchaus in der Lage, die Vermachtung der Internetkonzerne an entscheidender Stelle zu bremsen“, schreiben Wambach und Müller.

Zum Beispiel die Auktions- und Verkaufsplattform eBay: Das US-Unternehmen hat auf-grund seiner Infrastrukturmonopolstellung fast das alleinige Sagen, stellen die Autoren fest. Damit eBay seine Provisionen nicht ins Maßlose erhöhen kann, schlagen sie eine Genehmigung von Provisionen und Margen im Vorhinein durch den Staat vor. Auch die künstliche Erzeugung von Wettbewerb durch einen erzwungenen Marktzugang für Konkurrenten, wie es sie in Deutschland in klassischen Branchen mit dominierenden Unternehmen wie Deutsche Bahn und Deutsche Telekom gibt, sei überlegenswert.

Etwas schwieriger wird es im Fall Google: „Zwar kann es für den Kunden durchaus gut sein, wenn es für sämtliche bisher im Internet gestellten Suchanfragen nur ein einziges Archiv gibt, denn je mehr Erfahrungen es gibt, desto besser ist die Grundlage für die Suchergebnisse. Noch besser wäre es aber, wenn dieses Archiv auch für alle anderen Anbieter von Suchmaschinenalgorithmen zugänglich wäre.“ Google müsse man dann zwingen, sein Archiv auch von der Konkurrenz nutzen zu lassen. Dadurch gebe es einen Wettbewerb um den besten Suchalgorithmus, der nicht wie jetzt durch die Tatsache vollkommen verzerrt sei, dass ein Anbieter, nämlich Google, über eine viel größere Basis an Suchanfragen verfüge. Allerdings scheint dieses Szenario doch auf wackligen Füßen zu stehen, allein schon wegen möglicher Datenschutzprobleme. Doch die Autoren sind zuversichtlich: „Die Suche im Internet ist ein zentrales Basisangebot der modernen Wirtschaft, eine wesentliche Infrastruktur, so wie es die Telekommunikations- und Schienennetze für die klassischen Branchen sind.“ Diese Ausgangslage rechtfertige eine wettbewerbsfähige Regulierung. Was hier nach starkem Rigorismus klingt, dient letztlich dem Wachstum. Denn grundsätzlich gilt für die zwei Autoren: „Eine gute Regulierung muss es schaffen, dass sich die wohlstandsmehrenden Kräfte entfalten können, dass die wohlstandsmindernden gebremst werden.“

Die Datenökonomie ist ein milliardenschwerer Markt ⎼ und ein guter. Denn durch neue Analysemethoden, mehr Rechnerkapazität und neue Geschäftsmodelle entstehen neue Chancen für die Wirtschaft. Die Produkte werden heute nicht nur schneller, effektiver und maßgeschneidert hergestellt, auch die volkswirtschaftlichen Vorteile liegen auf der Hand: „Die neue Datenfülle und die neuen Techniken der Auswertung und Aufbereitung ermöglichen es, dass ganze Märkte besser funktionieren. Denn es stehen schlichtweg viel mehr Informationen zur Verfügung“, meinen die Autoren. Ob in der Medizin, beim Umweltschutz oder in Wissenschaft und Forschung ⎼ Datenwirtschaft steigert Lebensqualität.

Doch die Art der Datengenerierung muss sich ändern, sind Wambach und Müller überzeugt: „Die Geschäftsmodelle der Datenökonomie sollten künftig nicht mehr darauf basieren, dass Menschen ihre Informationen zur Verfügung stellen, weil sie nicht überblicken können, wer was damit tut. Sondern eben weil Menschen sich bewusst dazu entscheiden.“ Sonst würde das ohnehin vorhandene (vor allem deutsche) Misstrauen gegenüber allem, was mit Daten zu tun hat, weiter steigen.

Auch der Wandel der Arbeitswelt durch die Digitalisierung ist unaufhaltsam. „Die wachsende Individualität in der digitalen Arbeitswelt wird die alte Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften, die für die Soziale Marktwirtschaft wichtig war, infrage stellen.“ Der Staat, so die Autoren, ist gefordert und muss die sozialen Strukturen neu anpassen ⎼ mit der richtigen Sozial- und Bildungspolitik. Angst vor dem Ende der Arbeit sollte jedoch niemand haben. Denn bei jedem technologischen Wandel in der Vergangenheit fielen zwar Arbeitsplätze weg, aber es entstanden an deren Stelle immer neue, rechnen die Autoren vor. Sicher habe es in den westlichen Industrienationen stets Phasen hoher Arbeitslosigkeit gegeben. Sie seien aber vor allem Folge von Kriegen, geopolitischen Problemen und Finanzmarktkrisen. Ein Zusammenhang mit „technologischen Wellen“ lasse sich nicht erkennen.

Fazit

Die Autoren bieten eine Reihe von interessanten Vorschlägen, um den wirtschaftlichen Umbruch im Zeitalter der Digitalisierung in faire und prosperierende Bahnen zu lenken. Wie realitätstauglich sie sind, bleibt abzuwarten. Eine Revolution ist das Buch nicht, wohl aber ein inspirierender Gedankengeber, um die nach wie vor kostbare Idee der Sozialen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln und dadurch Wohlstand für alle auch für die Zukunft zu sichern.

Achim Wambach, Hans Christian Müller: Digitaler Wohlstand für alle, Frankfurt/New York 2018,  Campus Verlag.

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Autor:

Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.

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