Vorhersagen und Erwartungen

Heute Nacht haben die Finanzminister der Eurozone beschlossen, dass der ESM zukünftig direkt auch Banken finanzieren darf. Aus dem ESM wird so ein Bankenrettungsfonds. Welche Folgen hat dies für die Eurozone und was bedeutet der Beschluss für die Steuerzahler?

Vorhersagen sind so eine Sache. In meiner Rede zur Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB hatte ich gesagt, es ginge nicht um die Aufsicht, sondern den Weg frei zu machen für eine direkte Rekapitalisierung der strauchelnden Banken aus dem ESM. Und es ging viel schneller als ich dachte: In der Nacht zu heute haben die Finanzminister der Eurozone beschlossen, dass der ESM zukünftig Banken direkt finanzieren darf. Aus dem ESM wird ein Bankenrettungsfonds. Der absolute Skandal ist in meinen Augen, dass die Finanzminister in letzter Sekunde eine Regelung eingefügt haben, wonach dies auch rückwirkend geht. Bisher gingen die Hilfen an einen Schuldenstaat und dieser hat mit ihnen seine Banken finanziert. Die Bank hätte an ihren Heimatstaat zurückzahlen müssen, der Staat an den ESM. Nun sollen einige dieser Kredite auf den ESM übertragen werden. Die Bank soll direkt an den ESM zurückzahlen. Das hat zwei Wirkungen: Die Finanzminister wollen erstens, dass die Schulden der Staaten beim ESM sinken. Denn Staatsverschuldung senkt das Kreditrating und erschwert den Staaten die Begebung von neuen Anleihen. Damit entfällt eine höchst wichtige, faktische Schuldenbremse für die Staaten wegen hoher Zinsen. Zweitens wird der ESM zum Risikonehmer des Pleiterisikos der Bank. Es geht hier um Milliardensummen, für alle Schuldenländer. Irland hat eine Bad Bank gegründet, die seinen Banken mehr als 80 Milliarden Euro abgenommen hat, das Rettungspaket hat einen Umfang von 68,5 Milliarden Euro. Einen weiteren Stresstest haben die Iren auf nächstes Jahr verschoben – sie werden Gründe haben. In Spanien wurden 40 Milliarden Euro vom ESM an den Bankensektor vergeben, weitere 60 Milliarden Euro aus dem ESM sind abrufbar. Griechenlands Bankensektor wurde mit rund 50 Milliarden Euro aus dem Paket rekapitalisiert. Zyperns 10 Milliarden Euro dienen allein der Sicherung der Forderungen von Laiki und Bank of Cyprus gegenüber der zyprischen Zentralbank.

Ich hatte auch nicht erwartet, dass das zyprische Rettungspaket so schnell den Bach runtergeht. Zyperns Präsident hatte diese Woche in einem Brief scharf kritisiert, dass der Bailout unvorbereitet erfolgt sei. Ursprünglich sei es um einen zypernweiten Schuldenschnitt gegangen – die Steuer auf Bankguthaben. Doch dann habe man der Eurogruppe nachgegeben und sich auf die beiden größten Banken beschränkt. Man habe auf Drängen der Eurogruppe Einlagen von 15 Milliarden Euro bei den griechischen Töchtern ausgenommen, um die Ansteckung auf Griechenland zu vermeiden. Das Geld fehle dem zyprischen System nun. Und man habe nicht bedacht, dass die Einbeziehung von Geschäftskonten die Wirtschaft ruiniere. Mit der Problembeschreibung hat er Recht. Ich habe zu Zypern seinerzeit kritisiert, dass es um die Rettung der zyprischen Zentralbank ging. Diese hatte Laiki und Bank of Cyprus zusammen 11 Milliarden Euro ELA-Kredite gegeben. Bei einer Verwirklichung des zyprischen Plans hätte die Zentralbank durch Zypern rekapitalisiert werden müssen, weil ihre Forderungen gegen die Laiki und die Bank of Cyprus beschnitten worden wären. Diese Beschädigung der Reputation des Systems Europäischer Zentralbanken wollte die Eurogruppe nicht. Deshalb wurde die Zypern-Rettung so gestaltet, dass die Zentralbank gerettet wird. Der Rest war nicht so wichtig. Mit Zypern muss man Mitleid haben. Es ist Opfer der Euro-Politik.

Seitdem die EZB das OMT am 6. September 2012 angekündigt hat, habe ich vermutet, dass die Rettungspolitiker den unübersehbaren Fingerzeig erkennen. Zwar hat die EZB – verrückterweise – bis heute keine Rechtsgrundlage für ihr OMT geschaffen. Daher gibt es für das Kaufprogramm nur Pressemitteilungen und einige Antworten von Draghi bei Pressekonferenzen. Aus diesen geht hervor, dass die EZB Anleihenkäufe beabsichtigt, wenn ein Land am Primärmarkt aktiv sein kann, also neue Anleihen bei Zeichnern platziert, und in einem Rettungsprogramm ist. Am 9. November 2012 hatte ich beschrieben, wie das Scheitern des irischen Rettungsprogramm verschleiert werden kann:

„Die Erweiterung um ein Primärmarkt-Programm hätte eine entscheidende Konsequenz: Die EZB hat zur Voraussetzung für ihre angekündigten Anleihenaufkäufe auf dem Sekundärmarkt (OMT) gemacht, dass EFSF/ESM Primärmarkt-Programme durchführen dürfen. Primärmarktgeschäfte für Irland öffnen daher die Tür zur Intervention durch die EZB. Damit hätten die Rettungseuropäer einen neuen Finanzier im irischen Boot, nämlich die Zentralbank samt ihrer „unbegrenzten Feuerkraft“. Auf diese geschickte Weise hätte man den Nimbus Irlands, das Land sei Musterknabe bei den Konsolidierungsbemühungen ebenso geschont wie die Kapazitäten der Rettungsschirme. Das macht alle Rettungseuropäer zufrieden, weil die Hilfspakete größer werden, ohne dass dies für die Bürger auf den ersten Blick sichtbar wird. Erst beim genauen Hinsehen merkt man, dass die Lage verzwickter wird – nicht besser!“

Diese Woche hat Olli Rehn, Währungskommissar der Kommission, meine Vorhersage bestätigt. Die Financial Times berichtet, dass für Irland ein vorsorgliches Programm angedacht werde, damit es am Primärmarkt Unterstützung erhalten könne und wodurch wiederum der EZB der Einsatz des OMT erlaubt werde. Das irische Programm läuft Ende 2013 aus. Dann wird die EZB größtenteils übernehmen. Für Portugal wird es ebenso kommen, wenn das Programm in der zweiten Hälfte 2014 endet.

In einem Punkt habe ich mich also geirrt. Ich hatte mit einem heißen Herbst und einer heißen Vorweihnachtszeit 2012 gerechnet. Nicht bedacht habe ich die Bundestagswahl im September 2013. Das Scheitern der Programme vor der Wahl zuzugeben, das wäre ein zu großer Schlag ins Kontor. Während Zyperns Troika-Desaster und die direkte Bankenrekapitalisierung früher als gedacht kommen, verzögern sich neue Hilfsprogramme für Irland und Portugal bis nach der Wahl. Slowenien kommt nach der Wahl. Die ersten direkten Banken-Rekapitalisierungen aus dem ESM kommen nach der Wahl. Die Vergemeinschaftung von Einlagensicherungs- und Abwicklungssystemen kommt nach der Wahl. Ein neuer Banken-Stresstest für Euroland kommt 2014 und nach der Wahl. Und schließlich: Die Europäische Union wird auf eine neue Grundlage gestellt werden. Auch einen Europäischen Verfassungskonvent wird es geben.

Autor:

Frank Schäffler war bis 2013 Abgeordneter der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag.

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