Vom Sinn und Unsinn nationaler Klimaschutzziele

Deutschland hinkt in Sachen Klimaschutz und CO2-Vermeidung den eigenen Plänen deutlich hinterher. Nun soll der Kohleausstieg dabei helfen, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Ob das wirklich hilft, ist mehr als zweifelhaft.

Keine Frage: Um in einer Sache voranzukommen, kann das Setzen von Zielen hilfreich sein. Allerdings ist es wenig ratsam, sich nahezu unerreichbare Ziele vorzugeben. Dies gilt auch für den Klimaschutz. Erschwerend hinzu kommt in diesem Fall, dass Klimaschutz ein globales Bestreben sein muss und nationale Alleingänge wirkungslos verpuffen, wenn nicht zugleich ein großer Teil der übrigen Welt erhebliche Anstrengungen unternimmt. Ein nationales Klimaschutzziel sollte daher ein bedingtes Ziel sein, dessen Einhaltung davon abhängig gemacht wird, ob der Rest der Welt sich ebenfalls angemessen engagiert. Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass die Einhaltung eines nationalen Ziels von vielen exogenen Faktoren abhängt, etwa vom globalen Ölpreis, auf den Deutschland kaum Einfluss hat.

Bei der Festlegung des Klimaschutzziels für das Jahr 2020, gemäß dem Deutschland bis dahin eine Minderung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 anstrebt, wurden diese Ratschläge in keiner Weise berücksichtigt. Vielmehr ist das Ziel unbedingter Natur, wird also unabhängig von den Zielen und Fortschritten im Rest der Welt verfolgt. Es fiel darüber hinaus überaus ambitioniert aus, um damit die Rolle Deutschlands als klimapolitischer Musterschüler in der Welt zu manifestieren. Tatsächlich hat sich kein anderes Land derart anspruchsvolle Klimaziele gesetzt.

Die Realität hinkt den klimapolitischen Ansprüchen Deutschlands jedoch weit hinterher: Seit Jahren sinken die Emissionen an Kohlendioxid (CO2) im Mittel deutlich schwächer als es für die Erreichung des nationalen Klimaschutzziels erforderlich wäre. Die Erreichung des Ziels für das Jahr 2020 droht daher zu scheitern. Ausgehend von einem Treibhausgas-Ausstoß von 906 Millionen Tonnen (in CO2-Äquivalenten) im Jahr 2016 müssen zur Zielerreichung im Jahr 2020 die jährlichen Emissionen auf 751 Millionen Tonnen gesenkt werden, also um 155 Millionen Tonnen bzw. um knapp 21 Prozent.

Mit allerhand dirigistischen Maßnahmen, wie das vorzeitige Abschalten von Kohlekraftwerken, wird nun in aktionistischer Weise versucht, das nahezu programmierte Scheitern zu verhindern. So sollen nach einer Forderung der Grünen die zwanzig schmutzigsten Braunkohlekraftwerke schnellstens stillgelegt werden. Mit dieser Maßnahme wäre für die nationale Zielerreichung allerdings wenig gewonnen, und EU-weit käme es aufgrund der Existenz des Emissionshandels zu keinerlei Emissionseinsparung, wenn die Bundesregierung die durch den Braunkohleausstieg frei werdenden Zertifikate nicht aufkauft und vom Markt nimmt. Andernfalls werden diese Zertifikate von anderen Emittenten in Europa verwendet und so etwa Kohlekraftwerke andernorts weiterbetrieben und erst zu einem späteren Zeitpunkt vom Netz gehen. Während dadurch für das Klima nichts gewonnen wäre, würde sich durch den Braunkohleausstieg die Versorgungssicherheit mit Strom verschlechtern und die Stromversorgung verteuern − von den negativen Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekten im Braunkohlesektor ganz zu schweigen.

Wenn Deutschland jedoch ein entsprechendes Kontingent an Emissionszertifikaten aufkaufen muss, damit ein Braunkohleausstieg einen Effekt auf den EU-weiten CO2-Ausstoß hätte, stellt sich die Frage, warum zur Erreichung des nationalen Klimaziels nicht gleich zu dieser Maßnahme gegriffen und zur Aufrechterhaltung einer sicheren und wirtschaftlichen Stromversorgung auf einen vorzeitigen Ausstieg auf die Braunkohleverstromung verzichtet wird. Mit dem Aufkauf und der Vernichtung von Zertifikaten könnten die ambitionierten Klimaschutzziele in zugleich kostengünstiger und flexibler Weise eingehalten werden.

Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten, die selbstgesteckten Ziele einzuhalten, wäre Deutschland gut beraten, einen gravierenden Strategiewechsel in seiner Klimapolitik vorzunehmen:

Nach Auffassung von namhaften Ökonomen wie dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bietet dafür eine internationale Vereinbarung zur Einführung eines weltweit einheitlichen Preises für den Ausstoß von Treibhausgasen eine aussichtsreiche Basis.

Anstatt weiterhin mit hohen Subventionen den Ausbau der erneuerbaren Energien als primäre Klimaschutzstrategie zu forcieren und mit seiner Vorreiterrolle darauf zu setzen, dass die Mehrheit der übrigen Länder, vor allem aber China, Indien und die USA, dem eigenen Beispiel folgt, sollte Deutschland Verhandlungen über global koordinierte Preise für den Treibhausgasausstoß vorantreiben. Kontraproduktiv wäre hingegen, wenn die immer weiter ausufernden Kosten für die deutsche Energiewende zu einer schwindenden Akzeptanz in der Bevölkerung führen und die übrigen Länder das deutsche Experiment als Negativbeispiel ansehen würden, dem auf keinen Fall nachgeeifert werden sollte.

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Autor:

Prof. Dr. Manuel Frondel ist außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI.

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