Über den Wert des Außenhandels

„Buy American“ – das hat der 45. Präsident der Vereinigten Staaten bei seiner Antrittsrede den Amerikanern ans Herz gelegt. Gleichzeitig plant er, die amerikanische Wirtschaft durch Handelsbarrieren abzuschotten und verspricht neue Arbeitsplätze für Amerikaner. Das wird nach hinten losgehen.

Präsident Trump geht mit Verve seine Wahlkampfziele an: In seinem ersten Dekret hat er die transpazifische Partnerschaft (TPP) für ungültig erklärt; Importe aus Mexiko, China und anderen Ländern mit bilateralen Handelsbilanzüberschüssen gegenüber den USA sollen mit Importzöllen belegt werden; das nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) soll neu verhandelt werden. Zusätzlich wird in der republikanischen Partei darüber nachgedacht, die Unternehmenssteuern zu reformieren und importierte Vorleistungen nicht als Kosten für die Gewinnermittlung anzuerkennen. Die amerikanische Regierung liegt damit im Zeitgeist, sowohl die politische Linke als auch die Rechten unterstützen die Abschottung.

Aber hilft Protektionismus bei der Bewältigung der drängendsten wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme? Die Probleme, die der Präsident als Begründung für seinen protektionistischen Plan nennt, nämlich bilaterale Handelsbilanzdefizite und Jobverluste in traditionellen amerikanischen Industrien, haben tatsächlich mit Außenhandel nur wenig zu tun. Ökonomische sowie politökonomische Überlegungen legen dabei den Schluss nahe, dass freier Handel und offene Märkte die bestmögliche Handelspolitik eines Landes darstellen. Die durch zahlreiche theoretische und empirische Studien unterstützten ökonomischen, sozialen und politischen Argumente sind die folgenden:

1. Außenhandel ist nur die Ausweitung der Arbeitsteilung im Inland. Auch dort herrscht insofern Freihandel, als dass Produkte aus Köln in Düsseldorf nicht verzollt werden müssen. Auch im Inland findet eine Spezialisierung gemäß unterschiedlichen Fähigkeiten und Ressourcen statt, auch dort gilt das Theorem der komparativen Kostenvorteile. Man stelle sich vor, jede deutsche Stadt erhebe eine eigene Körperschaftsteuer, bei der zur Gewinnermittlung Vorleistungen aus anderen Orten nicht abzugsfähig wären.

2. Die Freiheit, den Handelspartner zu wählen, kann man als ein Bürgerrecht interpretieren. Anders gewendet: Mit welchem Recht kann der Staat Bürgern verbieten, sich Vertragspartner auszusuchen, wo sie wollen? Außenhandel stärkt somit dieses Recht und die Freiheit des Individuums, aber auch der gesamten Gesellschaft. Denn mit Öffnung der nationalen Märkte erweitert sich die Anzahl potentieller Handelspartner wie auch möglicher wirtschaftlicher Aktivitäten erheblich. Diese Vielfalt an potentiellen Handelspartnern vermindert sozusagen nebenbei die Abhängigkeit von einzelnen Handelspartnern und steigert so – entgegen vieler Vorurteile – die nationale Unabhängigkeit. Dies gilt dann besonders, wenn die Bürger eines Landes mit Partnern in vielen Ländern handeln. Heutzutage sind Unternehmen vielfach global aufgestellt; ihre globalen Wertschöpfungsketten bestehen aus vielen Stufen in vielen Ländern.

3. Statische Effizienz:  Die im Vergleich zur Autarkie erweiterte Arbeitsteilung erlaubt die Spezialisierung nach komparativen Kostenvorteilen und verbessert so die Allokation der Ressourcen. Konkret bedeutet dies, dass sich Handelspartner auf das Gut spezialisieren, bei dessen Produktion sie relativ (gemessen an den Kostenstrukturen) am besten sind. Selbst wenn ein Partner absolut alles am besten könnte, lohnt sich deshalb Arbeitsteilung für sämtliche Beteiligte, da sie die relativen Preise jeweils zugunsten der Partner so verändert, dass sie sich besser stellen als im Status quo ante.

4. Dynamische Effizienz: Intensiver globaler Wettbewerb erhöht den Druck auf die importkonkurrierende Industrie, die Produktivität zu steigern; außerdem bewirken Importe einen Technologietransfer.

5. Außenhandel sorgt für ein besseres Verständnis anderer Kulturen und trägt zum Frieden bei; das bekannteste Beispiel ist die Europäische Union, zumindest mit Blick auf den Binnenmarkt.

6. Die positiven wirtschaftlichen Effekte des Außenhandels vergrößern die Mittelschicht; dies zeigt sich gerade in Asien (beispielsweise in Korea und Singapur) und in Afrika, wo selbst in Äthiopien eine kleine Mittelschicht entsteht. Dadurch steigt der Druck auf politische Eliten, die sogenannten Institutionen zu verbessern, das heißt konkret vor allem die Rechtsordnung und privaten Eigentumsrechte zu stärken, die wirtschaftliche Freiheit zu erhöhen und Korruption abzubauen.

7. Durch internationalen Handel steigt der Bedarf an Infrastruktur gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern. Werden diese Investitionen vorgenommen, kann sich ein positiver Kreislauf einstellen, weil die Kosten der Arbeitsteilung durch bessere Straßen, billigere Kommunikationswege oder umfassende Finanzdienstleistungen sinken.

Wenn auch diese positiven Wirkungen nicht unmittelbar und für alle Bürger eines Landes eintreten, so zeigt sich doch über die mittlere Frist, dass die Chancen aller Bürger auf Wohlstand in einem Freihandelsregime bzw. in einem Regime offener Märkte (selbst mit zahlreichen Ausnahmen, wie sie in der Realität bestehen) höher sind als in einer geschlossenen Wirtschaft.

Der Widerstand gegen Freihandel ist jedoch groß und politisch weit verbreitet. Er basiert erstens auf der offensichtlich auch im Weißen Haus gehegten Vorstellung, dass internationaler Handel ein Nullsummenspiel ist: Was die einen gewinnen, verlieren die anderen. Durch Abgrenzung gegen ausländische Konkurrenz könne man sich vor Verlusten schützen. Insofern könne man eine Marktöffnung nur gegen Zugeständnisse anderer Länder vertreten. Die Vorstellung, dass mit Protektionismus das Inland vor Ausbeutung durch andere geschützt werden kann, ist jedoch irrig. Denn wie erwähnt ist Außenhandel im Grundsatz nicht mehr als die Erweiterung der interpersonellen Arbeitsteilung auf Handelspartner anderer Nationen; erschwerend wirken dabei vor allem Unterschiede in der Rechtsordnung der beteiligten Länder. Niemand aber käme auf die Idee, innerstaatliche Arbeitsteilung als Ausbeutung der einen durch die anderen zu sehen und die Selbstversorgung für jeden Bürger vorzuschlagen. Zudem zeigt sich regelmäßig, dass Handelsbarrieren nicht der gesamten Bevölkerung, sondern einzelnen Sektoren dienen. Es geht also um das gezielte Bedienen einiger partikularer Interessen.

Ein zweites Argument sieht Protektionismus als Möglichkeit, sozial Schwache vor dem Wettbewerb zu schützen. Der ausländische Wettbewerb zerstöre Arbeitsplätze und müsse deshalb eingeschränkt werden. Dieses Argument birgt drei logische Schwachstellen: Erstens hat sich immer wieder in empirischen Untersuchungen gezeigt, dass es weniger die Globalisierung ist, die Arbeitsplätze vernichtet, als vielmehr die schöpferische Zerstörung des  technischen Fortschritts, der natürlich durch intensiven Wettbewerb – sowohl aus dem Ausland als auch aus dem Inland – beschleunigt wird. In jedem Fall sind die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität und die damit verbundenen Lohnsteigerungen in erster Linie für die Probleme der niedrig qualifizierten Arbeitnehmer zuständig. Zweitens kann man den durch in- oder ausländische Konkurrenz verursachten Strukturwandel nur kurzfristig mit Hilfe von Handelsbarrieren unterdrücken, das heißt gefährdete Arbeitsplätze sind in der kurzen Frist eventuell gesichert, aber erweisen sich langfristig als nicht rentabel und werden daher wegfallen. Drittens schließlich unterhöhlt der Protektionismus soziale Ziele, wenn Konsumgüter wie beispielweise Lebensmittel, Schuhe und Kleidung, für die gerade die einkommensschwachen Haushalte einen Großteil ihres Einkommens ausgeben müssen, mit besonders hohen Zöllen belegt sind, wie es in den meisten OECD-Ländern der Fall ist.

Wenn man also den Schwächsten bzw. den Verlierern der Arbeitsteilung helfen will, sollte man nicht mit Protektionsmaßnahmen, sondern mit zielgenauer Sozial- und Bildungspolitik operieren. Durch Bildung kann die Qualifikation flächendeckend erhöht werden, so dass auch diejenigen, deren Arbeitsplätze durch technischen Fortschritt oder Konkurrenz verloren gehen, die Chance erhalten, wieder Beschäftigung zu finden. Mit zielgenauer Sozialpolitik hilft der Staat dann denjenigen, die ihre Arbeit verlieren, entweder kurzfristig, bis sie wieder einen neuen Job haben, oder längerfristig, wenn sie keinen Job finden können. Hier kann der Staat mit gezielter Dienstleistungsnachfrage oder Ähnlichem sicher mehr tun, als dies gegenwärtig der Fall ist.

Die Hauptursachen für Protektionismus liegen somit auch nicht im Wunsch, den Schwächsten zu helfen, begründet, sondern in der Kraft der Partikularinteressen, wie zum Beispiel der Automobilindustrie, der Chemie oder der Landwirtschaft. Die meisten Handelspolitiker erkennen bis heute den Wert des Außenhandels an. Deswegen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine multilaterale Handelsordnung geschaffen, um die aus ökonomischer Perspektive rationale Liberalisierung auch politisch attraktiv zu machen. Dazu dient das Prinzip der Reziprozität, das den politischen Entscheidungsträgern eines Landes ein gewichtiges Argument gegen heimische Interessengruppen an die Hand gibt. Diese Welthandelsordnung gilt es zu verteidigen. Dies wird umso deutlicher, je länger die neue US-Administration ihre Thesen zum Außenhandel äußert. Insgesamt legt die Entwicklung der Politik auf Weltmaßstab eine erneuerte Orientierung an und Durchsetzung von Regeln nahe, mit deren Hilfe tatsächlich eine wohlstandsfördernde Wirtschaftspolitik mit zielgenauer Sozialpolitik kombiniert werden kann.

Schließlich noch eine kleine Pointe: In ihrer Absurdität erinnert die Argumentation der US-Administration an die berühmte Kerzenmacherfabel des französischen Ökonomen und Politikers Frédéric Bastiat aus dem Jahre 1850. In einer fiktiven Petition an die französische Deputiertenkammer fordern die Kerzenmacher, durch die Aussperrung der unverschämt günstigen (wahrscheinlich von England gesandten) Sonne den Wohlstand in Frankreich dramatisch zu erhöhen. Denn ohne kostenloses Sonnenlicht würden die Kerzenindustrie und viele vorgelagerte Sektoren einen enormen Aufschwung erleben. Viel Glück dabei!

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Autor:

Prof. Dr. Andreas Freytag ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist zudem als Honoraprofessor an der Universität Stellenbosch und am Institute for international Trade der Universität Adelaide tätig. Neben den Fragen zur deutschen und europäischen Wirtschaftspolitik interessieren ihn außenwirtschaftliche und entwicklungspolitische Themen.

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