Trump hat recht: Leistungsbilanzüberschüsse sind Ausbeutung. Nur umgekehrt!
Die neue US-Administration unter Donald Trump kritisiert Deutschland als „Ausbeuter“. Mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen und einem niedrigen Euro bereichere sich die Bundesrepublik auf Kosten der USA und anderen Euro-Staaten. Doch das stimmt nicht. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall.
Peter Navarro, Chefberater von US-Präsident Trump in Handelsfragen, hat verkündet, dass Deutschland durch seine Leistungsbilanzüberschüsse die USA ausbeute. Er verweist auf einen „stark unterbewerteten“ Wechselkurs des Euro. Navarro hat aus Sicht der Theorie unrecht. Danach spiegelt sich bei flexiblen Wechselkursen der Leistungsbilanzüberschuss von Deutschland in gleich hohen privaten Nettokapitalexporten wider. Mit anderen Worten: Deutschland exportiert zuerst seine Ersparnisse in die USA, die es dann den Amerikanern ermöglichen, deutsche Porsches, Montblanc-Füllfederhalter, Panzer oder Goldbären zu erwerben. Die USA verschulden sich hingegen, um sich mehr privaten und öffentlichen Konsum leisten zu können. Über den Zeitverlauf hinweg wachsen die Auslandsforderungen Deutschlands um den jeweiligen Leistungsbilanzüberschuss eines Jahres, z.B. um 310 Milliarden Dollar im Jahr 2016. Entsprechend ist die Auslandsverschuldung der USA 2016 allein um 480 Milliarden Dollar gewachsen.
Die Theorie besagt auch, dass die seit der Jahrtausendwende wachsenden Forderungen (Verbindlichkeiten) Deutschlands (der USA) irgendwann wieder an Deutschland (von den USA) zurückgezahlt werden. Das war beispielsweise bei der Wiedervereinigung der Fall, als Deutschland beträchtliche Auslandsanlagen für den Aufbau Ost repatriierte. Dem ist allerdings nicht so, wenn die Auslandsvermögen entwertet werden. Beispielsweise lösten sich im Verlauf der US-Hypothekenmarktkrise die Anlagen vieler deutscher Landesbanken ebenso wie die Lehmann-Zertifikate in Luft auf. In ähnlicher Weise haben große deutsche Unternehmen wie Thyssen (Brasilien), Mercedes (USA) oder BMW (Vereinigtes Königreich) spektakuläre Übernahmen mit hohen Verlusten bezahlt.
Die USA haben im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern dieser Welt – auch ohne Krisen – die Entwertung ihrer Auslandsverbindlichkeiten selbst in der Hand. Da der Dollar die dominante Währung im Weltwährungssystem ist, sind die Auslandsverbindlichkeiten der USA überwiegend in Dollar denominiert. Verfolgen die USA eine expansive Geldpolitik und wertet der Dollar ab, dann sinkt der reale Wert der Auslandsverschuldung. Die Länder, die die Forderungen gegenüber den USA in Form von US-Staatsanleihen, Unternehmensanteilen oder forderungsbesicherten Wertpapieren etc. halten, realisieren gerechnet in ihrer Währung Verluste.
Die USA haben in der Vergangenheit immer wieder solche Entwertungswellen durch Zinssenkungen begünstigt. Es wurden entweder in den USA Finanzmarktblasen geschaffen (Dotcom-Blase, US-Hypothekenmarktboom), bei deren Platzen Forderungen entwertet wurden. Oder der Dollar wurde abgewertet. Im Ergebnis ist die Rückzahlung eines beträchtlichen Teils der Auslandsverschuldung obsolet geworden (siehe Grafik). Während sich die Leistungsbilanzdefizite (also Nettokapitalimporte) der USA seit 1980 auf 10.806 Milliarden Dollar akkumuliert haben, liegen die Nettoauslandsverbindlichkeiten heute ca. 3.000 Milliarden Dollar niedriger. Charles de Gaulle hatte schon in den 1960er Jahren dieses Phänomen als „exorbitantes Privileg“ beklagt. Ronald McKinnon sprach von einer „quasi-unbegrenzten Kreditlinie“, die der internationalen Rolle des Dollar zu verdanken sei.
Deutschland hat sein Nettoauslandsvermögen leider nicht sehr gut angelegt. Während seit der Jahrtausendwende die kumulierten Leistungsbilanzüberschüsse auf 2.600 Milliarden Dollar angestiegen sind, werden in der Nettoauslandsvermögensposition noch ca. 1.600 Milliarden Euro ausgewiesen. Ein großer Teil dieser im Ausland angelegten Ersparnisse wurde im Verlauf des US-Hypothekenmarktbooms verkonsumiert und in der Krise entwertet. (Ähnliches hat sich in Südeuropa zugetragen.) Die Verluste erreichen mit ca. 1.000 Milliarden Euro fast die Kosten der deutschen Wiedervereinigung. Das sind keine Peanuts!
Mit anderen Worten: die USA beuten über die Leistungsbilanzungleichgewichte ihre Handelspartner aus, nicht umgekehrt! Neben Deutschland sind Japan und China die großen Zahlmeister. Donald Trump wäre irre, wenn er dieses Privileg durch eine ausgeglichene Leistungsbilanz aus der Hand geben würde. Andererseits sollte sich Deutschland überlegen, ob in einer Welt hoch volatiler und spekulativer Finanzmärkte so hohe Nettokapitalexporte sinnvoll sind. Sie könnten in Deutschland wohl besser investiert werden. z. B. in neue Straßen, bessere Brücken, schnellere Zugstrecken, mehr Kindergärten oder in neue, schicke Innenstädte für Duisburg und Dortmund. Diese Investitionen würden nach dem Platzen von Blasen wenigstens bestehen bleiben.
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Autor:
Prof. Dr. Gunther Schnabl ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig.