Studie: Hohe Mieten schwächen Wachstum
Mindestens Mieter mögen keine hohen Mieten. Ganz besonders nicht, wer in Städten wie Hamburg oder München wohnt. Dürfen sich dann wenigstens die Bewohner günstigerer Städte freuen? So einfach ist das nicht, zeigt eine Studie. Nicht nur die Bewohner teurer Städte leiden unter hohen Mieten, auch der Rest Landes.
Es klingt auf den ersten Blick kontraintuitiv: Was interessiert es einen Dortmunder, wenn es Münchner schwer haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden? Sehr viel sogar, wie eine neue Studie der Ökonomen Enrico Moretti (University of California, Berkeley) und Chang-Tai Hsieh (University of Chicago) zeigt.
Denn die Probleme der Münchner Wohnungssuchenden sind ein Problem für das Wachstum der deutschen Wirtschaft und schaden damit indirekt auch der Dortmunder Wirtschaft. Zu diesem Schluss kommt man jedenfalls, wenn man die Ergebnisse der beiden Ökonomen vom US-amerikanischen Immobilienmarkt auf Deutschland überträgt.
Die Erklärung dafür ist eigentlich relativ simpel: In den USA gehören Städte wie New York, San Francisco und San Jose zu den produktivsten Wirtschaftsstandorten des ganzen Landes. Kein Wunder, schließlich sitzen in New York die größten Banken des Landes und zwischen San Francisco und San Jose liegt das Silicon Valley. Diese Städte haben jedoch auch einen sehr schwierigen Immobilienmarkt. Strenge Bauvorschriften und Mieten auf dem Niveau der 70er verhindern, dass dort bezahlbarer Wohnraum entsteht. Obwohl es in diesen Städten also die attraktivsten Jobs des Landes gibt, können es sich nur wenige Menschen leisten, dorthin zu ziehen.
In anderen Städten wie zum Beispiel Phoenix, Las Vegas oder Riverside dagegen ist der Wohnraum billig. Das zieht viele Menschen an. Solche Städte beherbergen allerdings keine sonderlich produktive Wirtschaft. Las Vegas beispielsweise, das stadtgewordene Kasino mitten in der Wüste Nevadas, ist nicht gerade bekannt für wertvolle Dienstleistungen oder innovative Produkte.
Jobs in Las Vegas oder Phoenix sind deshalb weit weniger produktiv als ein vergleichbarer Job in San Francisco oder New York. Hohe Mieten und Wohnungspreise schrecken jedoch viele Menschen ab und treibt sie in billigere, aber unproduktivere Städte. Der Anteil der US-Bevölkerung in vergleichsweise unproduktiven Städten nimmt also zu. Auch wenn es für den einzelnen Amerikaner natürlich angenehmer ist, bei schönem Wetter ein billiges Haus in Las Vegas zu besitzen, reduziert er damit indirekt das Wirtschaftswachstum in ganz Amerika.
Moretti und Hsieh versuchen diese Entwicklung empirisch nachzuweisen. Sie rekonstruieren den Anteil der 220 größten Städte am Wirtschaftswachstum der gesamten U.S.A. zwischen 1969 und 2009 und beziehen dabei die lokalen Löhne und Immobilienpreise ein. Sie zeigen, dass obwohl in New York, San Francisco und San Jose die Nachfrage nach Arbeit am stärksten gewachsen ist, der Anteil der drei Städte am gesamten Wirtschaftswachstum der USA nur gering war – genauso hoch wie Anteil der darbenden Städte des Rustbelts.
Das liegt daran, dass sich das Wachstum in San Francisco zwar in höheren Löhnen niedergeschlagen hat, die aber wurden zu einem Großteil von höheren Immobilienpreisen aufgezehrt. Das Wachstum führte wegen der hohen Immobilienpreise aber nicht zu höherer Beschäftigung. Neue Stellen wurden hauptsächlich in anderen Städten geschaffen. Übertragen auf Deutschland würde das bedeuten: Städte wie Duisburg, Oberhausen oder Rostock tragen genauso viel zum Wirtschaftswachstum bei wie München und Stuttgart.
Wenn die Vorschriften und Verbote auf den Immobilienmärkten in New York oder San Francisco gelockert werden würden, könnte – so die Studie weiter – die jährliche Wirtschaftsleistung der USA um bis zu 10 Prozent (also fast 2 Billionen Dollar) höher sein. Das würde aber nur funktionieren, wenn etwa die heute Bevölkerung New York’s (8,5 Millionen) sich verachtfachen würde – ein zugegeben recht unrealistisches Szenario.
Auch deshalb lässt sich diese Studie nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Ein interessanter Denkanstoß ist sie allemal, denn die Kernaussage bleibt unverändert: Hohe Mieten verringern die Mobilität von Arbeitern und schaden damit dem Wirtschaftswachstum.
Auch in Deutschland “glänzen” nämlich die stärksten Wirtschaftsstandorte des Landes mit den höchsten Mieten des Landes. Wenn es also möglich wäre, in Städten wie München oder Stuttgart für mehr bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, würde Deutschland als ganzes davon profitieren, sogar das gebeutelte Ruhrgebiet.
Soll das jetzt heißen, dass München seine alte Innenstadt durch Hochhäuser ersetzen soll, damit mehr Menschen bei BMW oder Siemens arbeiten können? Natürlich nicht, denn solche historischen Stadtkerne machen Städte wie München überhaupt erst attraktiv und sind von unschätzbarem Wert.
Viel wäre aber schon damit getan, wenn die Anbindung der Innenstädte zum Umland verbessert werden würde. So könnte der meist günstigere Wohnraum im Umland wichtiger Wirtschaftsstandorte besser erschlossen werden und mehr Menschen Zugang zu den besten Arbeitsmärkten des Landes verschaffen.
Leider scheint die Politik jedoch alles zu versuchen, um das Gegenteil zu erreichen: Seit der Jahrtausendwende sind die Baukosten pro Quadratmeter bundesweit um 40 Prozent gestiegen. Mehr als ein Viertel des Anstiegs, 13 Prozentpunkte, geht dabei auf das Konto der bundesdeutschen Bürokratie. Darunter leiden nicht nur der Bewohner Hamburgs, und das ist die Botschaft von Hsieh und Moretti, sondern auch der Rest des Landes.
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Autor:
Johannes Fischer studiert Philosophie, Politik und Ökonomie an der Universität Witten/Herdecke