Schöne Bescherung: In der Zwangsjacke
Wie geht es weiter mit der europäischen Rettungspolitik? Die Einen wollen eine Schuldentilgungsfonds, die Anderen tendieren zu Euro-Bonds. So oder so: Es erwartet uns ein heißer Herbst.
Politische Handlungsfähigkeit ist begehrt. Der eine will sie haben, der nächste zurückgewinnen und der Dritte sie verteidigen. Man kann sie allerdings auch nehmen. Letzteres ist ein urliberales Anliegen, denn der Liberalismus ist die Lehre von den Grenzen politischen Handelns. Deshalb ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts so wertvoll. Es hat die Rettungseuropäer in ihrem Handeln so beschränkt, dass sie sich kaum noch rühren können. Sie sind in der Zwangsjacke. Denn nach den Ausführungen des Gerichts ist „ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank, der auf von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten“ zielt, als Umgehung des Verbotes monetärer Haushaltsfinanzierung untersagt. Auch „eine Aufnahme von Kapital durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank allein oder in Verbindung mit der Hinterlegung von Staatsanleihen“ wäre nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht mit Unionsrecht vereinbar. Der leichte Weg über die EZB ist daher zumindest kurzfristig verschlossen. Da sich auch der Präsident der Deutschen Bundesbank Dr. Jens Weidmann konsequent als geldpolitischer Hardliner positioniert, ist der Schalter der Druckmaschine zukünftig nicht einfach zu betätigen. Ohne rasche Hilfe durch die EZB bleibt zunächst nur der Weg über die Rettungsschirme, um die lateineuropäischen Schuldenländer vor dem Staatsbankrott zu bewahren. Hier hält der Pflock, den das Bundesverfassungsgericht in seinen früheren Entscheidungen in den Boden gerammt hat: Es gibt keine Finanzhilfen, ohne dass der Bundestag darüber entscheiden muss.
Das gilt auch für Programme der Rettungsschirme zum Aufkauf von Staatsanleihen auf dem Primär- oder Sekundärmarkt. Ein solches Programm ist Voraussetzung dafür, dass die EZB innerhalb ihres am 6. September verkündeten OMT- Programms tätig wird. Doch zum jetzigen Zeitpunkt haben weder Irland, noch Portugal oder Spanien ein solches Programm. Erst müsste sich die Eurogruppe auf eine Programmerweiterung einigen. Dieser Erweiterung wiederum müsste im Bundestag zugestimmt werden. Daher gilt: Sogar wenn die EZB die Geldschleusen öffnen will, muss zuvor der Bundestag entscheiden. Offenbar will die EZB diese Verantwortung nicht allein tragen, sondern auf die Parlamente abwälzen.
Damit wird der Bundestag zum maßgeblichen Organ. Es gibt keinen Weg für die Rettungspolitiker, der nicht durch den Bundestag führt. Hier haben sie keine Kanzlermehrheit, sondern arbeiten mit einer fraktionsübergreifenden Mehrheit. Inzwischen grenzt sich jedoch die Opposition ab. Das ist verständlich, da der Wahltermin 2013 näher rückt. Die Opposition muss nun verstärkt an ihre Wählerstimmen denken. Daher müssen sich die Sozialdemokraten und Grünen von der Union in einem der wichtigsten Wahlkampfthemen inhaltlich unterscheidbar positionieren. Nichts wäre einfacher, als sich ihre fortgesetzte Zustimmung zur Rettungspolitik wahlwerbungswirksam abkaufen zu lassen. Es ist daher wahrscheinlich, dass es nicht bloß wie bisher zur quantitativen Ausweitung der Rettungssummen kommt, sondern zu einer qualitativen Veränderung der Rettungspolitik. Etwas wird sich verändern, weil die Opposition das braucht und will.
Die Grünen haben bislang immer einen Schuldentilgungsfonds als taugliches Mittel angesehen, die SPD tendiert zu Eurobonds. Nicht unwahrscheinlich wäre, wenn die Union der Opposition zugesteht, dass die Regierung nun ernsthaft die Realisierung von Eurobonds ausloten wird. Das wäre der Beginn einer fatalen Entwicklung: Erstens müsste die Union eine bisherige rote Linie überschreiten und der Opposition zugestehen, dass die Taktik scheibchenweiser Zugeständnisse so nicht weitergeht. Das vermeintliche Rettungskonzept der linken Opposition würde zweitens aufgewertet, weil der explizite Einstieg in die europäische Schuldenkollektivierung gemacht wäre. Drittens würde die Opposition einen gewaltigen Keil in die Koalition schlagen – zu Lasten meiner FDP. Denn vor allem die FDP behauptet von sich, sie sei verantwortlich dafür, Eurobonds verhindert zu haben. Es sähe ganz und gar nicht gut für uns aus, wenn hier Mauern eingerissen würden.
Wie das Zugeständnis Frau Merkels an die Opposition am Ende aussehen wird, ist natürlich Spekulation. Es kann auch eine andere qualitative Veränderung als die Prüfung von Eurobonds sein. Fest steht für mich aber, dass die Strategie der Opposition darauf hinauslaufen wird, möglichst viele Entscheidungen zur Eurorettung ins Plenum zu ziehen, um den Druck auf Frau Merkel zu erhöhen. Solche Entscheidungen stehen an. Vier mögliche Kandidaten sind Griechenland III, die Zielverfehlung und notwendige Anpassung im portugiesischen Programm, die Ausweitung des Programms für Spanien um Anleihenkäufe und das im Raum stehende Programm für Zypern.
Es wird also mindestens ein heißer Herbst. Eher aber noch glaube ich, dass es im Dezember spannend werden könnte. Nur die 50. Kalenderwoche ist eine Sitzungswoche. Den folgenden Weihnachtsurlaub müssen wir Abgeordnete uns vielleicht hart verdienen. Das könnte eine schöne Bescherung geben.
Autor:
Frank Schäffler war bis 2013 Abgeordneter der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag.