Riskanter Strategiewechsel

Die Staatsverschuldung in der Euro-Zone steigt ungebremst.Die EZB entfernt sich mit ihren jüngsten Entscheidungen noch weiter vom Maastricht-Vertrag. Weder löst die Politik neuer Schulden die Strukturprobleme von Ländern wie Frankreich und Italien, noch liegt sie im Mandat der Notenbank. Die wirtschaftlichen und politischen Folgen werden teuer sein.

Die jüngsten Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) werden die europäischen Märkte mit zusätzlichem Geld fluten. Im Juni hat sie beschlossen, den Banken zusätzliche langfristige Liquidität zur Verfügung zu stellen. Jetzt wurde entschieden, verbriefte Kredite (Asset Backed Securities, ABS) der Banken aufzukaufen. Beides zusammen wird die Bilanz um voraussichtlich 1.000 Milliarden Euro oder rund 50 Prozent ausweiten. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem es weltweit ohnehin schon reichlich überschüssige Liquidität gibt. Zusätzlich zielt die EZB mit der weiteren Absenkung des Leitzinses um 0,10 Prozentpunkte auf 0,05 Prozent auf eine Schwächung des Euro-Wechselkurses, wie sie französische und italienische Politiker immer wieder gefordert haben.

All diese Maßnahmen zusammen deuten eher auf Verzweiflung hin als auf ein durchdachtes Konzept. Und die EZB wird aus dieser ineffektiven ultralockeren Geldpolitik nicht einfach aussteigen können, ohne einen Schock an den Finanzmärkten auszulösen.

Was also bezweckt die EZB mit den Maßnahmen? Ihr Mandat, für Preisstabilität zu sorgen ist erfüllt: Im Euro-Raum ist mittelfristig nicht mit einer Inflationsbeschleunigung zu rechnen. Ein Grund, weshalb die Notenbank dennoch handelt, ist die von vielen Finanzmarktteilnehmern, internationalen Institutionen und der EZB befürchtete Deflation. Doch dies ist eine maßlos übertriebene Diskussion. Das wohl entscheidendere Motiv aber ist ein anderes: Den Ländern des Euro-Gebiets, die mit ihren Strukturreformen nicht vorankommen, soll noch mehr Zeit gegeben werden.

Hinter den schleppend vorankommenden Reformen stehen politische Versäumnisse der Vergangenheit. Die jeweiligen Regierungen, nicht die EZB, müssen insbesondere die ungelösten Bilanzprobleme der Banken angehen. Durch das ABS-Ankaufprogramm entlastet die EZB die Banken aber und verwischt damit die Zuständigkeitenzwischen Regierungen und Zentralbank. Damit nimmt sie gleichzeitig enorme Risiken auf ihre Bilanz und macht sich zu einer europäischen Bad Bank. Die EZB schafft damit ein neues Element gemeinschaftlicher Haftung im Euro-Gebiet – im Falle von Verlusten haften schließlich die Steuerzahler. Zu Entscheidungen mit solch enormen Umverteilungseffekten ist die Notenbank demokratisch nicht legitimiert.

Weniger denn je ist die Geldpolitik der EZB auf den Euro-Raum als Ganzes ausgerichtet, sondern auf die wirtschaftlichen Probleme einzelner Länder. Seit Ausbruch der Krise ist die Notenbank über eine massive Bilanzausweitung für diese Staaten zum Geldgeber der letzten Instanz geworden. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist gegenüber einer nachfrageorientierten Politik im naiven keynesianischen Sinn in den Hintergrund gerückt. Noch mehr Schulden lösen aber die strukturellen Probleme insbesondere der großen Mitgliedstaaten Frankreich und Italien nicht.

Mit ihrem Strategiewechsel entfernt sich die EZB immer weiter vom Maastricht-Konzept. Das spielt den Euro-Mitgliedern in die Hände, die das Maastricht-Konzept zunächst akzeptiert haben, da Deutschland einen anderen Ansatz nicht akzeptiert hätte, um es dann bei der ersten Gelegenheit zu modifizieren. Für diesen „Erfolg“ werden wir einen hohen wirtschaftlichen und politischen Preis zahlen.

Dieser Text ist in einer längeren Fassung im Handelsblatt erschienen.

Autor:

Dr. Jürgen Stark Ehemaliger Chefvolkswirt und Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB), sowie Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

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