Riester-Freibetrag als beste aller Second-Best-Lösungen
Weder die Lebensleistungsrente noch eine Fixierung des Rentenniveaus können Armut im Alter adäquat senken. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Professor Dr. Christian Hagist von der Otto Beisheim School of Management (WHU). Besser wäre ein Freibetrag für private Altersvorsorge.
Die Rentendiskussion in Deutschland hat in den letzten Wochen alarmistische Züge angenommen. Diskutiert werden vor allem das Problem der Altersarmut und das damit verbundene vermeintliche Akzeptanzproblem des gesamten Altersvorsorgesystems. Zwar ist derzeit das Altersarmutsrisiko älterer Menschen nicht höher als das der Gesamtbevölkerung, jedoch wird erwartet, dass Altersarmut – insb. bei alleinstehenden Frauen mit Kindern und prekär Beschäftigten – signifikant ansteigen wird. Eine Diskriminierung von Armut stellt eigentlich einen ordnungspolitischen Fehlgriff dar, mit gutem Grund stellt das deutsche Sozialsystem nicht die Frage nach dem „Warum“ oder dem „Wer“ bei Armut (von einzelnen feineren Ausnahmen einmal abgesehen). Gewichtet man jedoch das angezeigte Akzeptanzproblem bei wahrscheinlich wachsender Altersarmut hoch genug, gilt es, den ordnungspolitischen fragwürdigen Eingriff, die Diskriminierung bestimmter Gruppen in Armut, gegen das angezeigte Akzeptanzproblem aufgrund zunehmender Altersarmut abzuwägen. Arme Alte besser zu stellen ist letztlich jedoch nur ein Herumdoktern an den Symptomen. Deshalb sollten bei allen diskutierten Vorschlägen auch immer die Ursachen für Altersarmut in Angriff genommen werden – insb. Ausbildung und die Infrastruktur zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, vor allem für Alleinerziehende.
Möchte man explizit das Symptom der Altersarmut angehen, stellt sich die Frage nach der besten aller Second-Best-Lösungen. Im politischen Raum stehen die Fixierung des Rentenniveaus und die sogenannte Lebensleistungsrente. Erstere Maßnahme ist rundum abzulehnen, da sie in keiner Weise das Altersarmutsproblem adressiert und lediglich eine nicht nachhaltige Umverteilung jüngerer Jahrgänge hin zu den sogenannten Baby-Boomer-Generationen darstellt. Die jüngsten Studien des IWH und des IW verdeutlichen dies. Die Lebensleistungsrente, also die Aufwertung der Rentenpunkte bei langjähriger Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung, ist sicher zielgenauer als eine Fixierung des Rentenniveaus, mag jedoch auch nicht überzeugen. Ohne eine Bedürfnisprüfung wie in der Grundsicherung im Alter sind hohe Mitnahmeeffekte zu erwarten, mit Bedürfnisprüfung ergeben sich starke Anreize Teile der Erwerbstätigkeit in Schwarzarbeit zu verbringen.
Besser wäre es die Eigenvorsorge zu stärken und für entsprechend gefährdete Einkommens- und Gesellschaftsgruppen anreizkompatibel zu machen. Die zusätzliche Altersvorsorge wird bisher bei der Grundsicherung im Alter voll angerechnet, was auch sachlogisch ist. Darauf folgend ist es aber auch für viele Haushalte in den unteren Lohngruppen rational in geringerem Ausmaße zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben. Genau für diese Menschen ist eine zusätzliche Vorsorge jedoch notwendig, damit sie nicht in Altersarmut abrutschen.
Ein Freibetrag für zusätzliche Altersvorsorge oder ähnliche Produkte (bAV, Basisrente) würde den Anreiz selbstständig für das Alter vorzusorgen stark erhöhen und könnte dadurch das steigende Altersarmutsproblem zielgenau angehen. Aussehen könnte so ein Freibetrag wie ein ehemaliger Vorschlag der FDP: Demnach wären bspw. die ersten 100 Euro zusätzliche Rente vollständig frei und von Beträgen darüber hinaus könnten noch 20% behalten werden.
Dass solch ein Regime den Anreiz zur zusätzlichen Altersvorsorge in unteren Lohngruppen und für Alleinerziehende stark verbessern dürfte, zeigt folgendes Rechenbeispiel: Nehmen wir einmal an, ein Arbeitnehmer verdient 40 Jahre lang die Hälfte des durchschnittlichen Bruttolohns (durchschnittliches Bruttoarbeitsentgelt als Rechengröße der Sozialversicherung). Dies ergibt derzeit eine monatliche Rente der gesetzlichen Rentenversicherung von knapp 550 Euro. Ohne zusätzliche Einkommen könnte dieser Arbeitnehmer Grundsicherung im Alter beantragen und würde im Durchschnitt 223 Euro (je nach Wohnort) erhalten. Im Falle einer Lebenleistungsrente würde er sogar auf 823 Euro angehoben – ob aus Steuer- oder Beitragsmitteln ist dabei noch nicht geklärt. Was aber nun, wenn der Haushalt 40 Jahre lang (es handelt sich um ein fiktives Beispiel) einen Riestervertrag bespart hätte – mit einer monatlichen eigenen Sparleistung von 49 Euro (die gesamte Sparleistung ergibt sich dann zuzüglich der üblichen Zulagen). Wenn man die gleiche Rendite wie bei der gesetzlichen Rentenversicherung unterstellt, ergäbe dies monatliche Bezüge von 130 Euro. Im jetzigen Regime würden diese 130 Euro voll auf die Grundsicherung angerechnet, d.h. der Haushalt hätte weiterhin „nur“ 773 Euro monatlich zur Verfügung – 550 Euro Rente, 130 Euro Riesterrente und nun 93 Euro Grundsicherung. Es ist wenig rational für einen solchen Haushalt in der Erwerbsphase auf die 49 Euro zu verzichten um dann im Alter dennoch keine Besserstellung zu erfahren. Gäbe es aber nun einen wie oben skizzierten Freibetrag – die ersten 100 Euro ohne Anrechnung und danach eine Freistellung von 20% – so käme der Haushalt auf monatliche Bezüge von 879 Euro – 550 Rente, 130 Riesterrente und nun 199 Euro Grundsicherung. Im Vergleich zum Fall ohne Riesterrente bekommt der Haushalt also nun deutlich mehr – und auch der Steuerzahler spart an Grundsicherungszahlungen (muss aber natürlich in der Sparphase auch mehr Riester-Förderung bezahlen).
Es sind nun leicht Fälle denkbar, in welchen Haushalte zuvor nur geringe Anreize für eine zusätzliche Altersvorsorge hatten, folglich auf die Grundsicherung zurückgriffen und jetzt durch einen solchen Freibetrag ganz auf Grundsicherung verzichten könnten. Genau dies war ja auch die eigentliche Intention der Förderlogik in der zusätzlichen Altersvorsorge. Wenn man also nicht nur die Ursachen für Altersarmut, sondern auch die Symptome angehen möchte, gilt es dies so zielgenau und anreizkompatibel wie möglich zu machen – der Riester-Freibetrag stellt einen solchen Weg dar.
Studiendownload: “Die Rentendiskussion ist zurück: Der Riester-Freibetrag als Alternative zur Lebensleistungsrente” von Prof. Hagist im Auftrag der INSM.
Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook und Twitter, abonnieren Sie unseren RSS-Feed oder unseren Newsletter.
Autor:
Prof. Dr. Christian Hagist ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Otto Beisheim School of Management Vallendar.