Replik zu DIW-Studie: Ein höheres Rentenniveau hilft wenig
Wer in Rente geht, hat weniger Geld auf dem Konto – eine Binsenweisheit. Dennoch fordern Politiker und Wissenschaftler ein stabiles, höheres Rentenniveau, um den Lebensstandard wenigstens annähernd halten zu können. Das wiederum würde künftige Beitrags- und Steuerzahler zusätzlich belasten, den Hilfsbedürftigen aber so gut wie gar nicht helfen.
Gut die Hälfte der 55- bis 64-jährigen Arbeitnehmer muss sich auf große Einschränkungen im Alter einstellen, so eine Studie des DIW im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Im Schnitt fehlen ihnen künftig rund 700 Euro im Monat, um alltägliche Ausgaben wie Miete und Lebensmittel stemmen zu können. Zwar fallen im Ruhestand Kosten weg, beispielsweise weil sie nicht mehr zur Arbeit pendeln. Gleichzeitig können aber zusätzliche Ausgaben für Krankheit oder Pflege zu Buche schlagen. Private Renten aus Riester- oder Rürup-Verträgen schließen die drohende Versorgungslücke bislang kaum. Deshalb müsse das Rentenniveau stabilisiert werden, so die DIW-Autoren.
Bereits das Design der Studie lässt aufhorchen. Die Autoren stützen sich auf Auswertungen des Sozio-oekonomischen Panels. Dort werden die Haushalte nach ihrem Rentenanspruch befragt, wenn sie aktuell in Rente gehen würden. Mit anderen Worten: Wer als 55-Jähriger den Stand seiner aktuellen Rentenauskunft berichtet, aber noch zehn Jahre arbeitet, wird mit einer deutlich höheren gesetzlichen Rente rechnen dürfen. Darauf weist im Übrigen auch die Studie an anderer Stelle hin.
Außerdem werden die Haushaltskonsumdaten auf Köpfe umgerechnet und dann mit individuellen Rentenansprüchen verglichen. Methodisch werden damit aber Äpfel mit Birnen verglichen. Folgt man der statistischen Konvention, die auch bei der Ermittlung von Armutsgefährdungsrisiken gilt, dann werden den Haushaltsmitgliedern unterschiedliche Bedarfsgewichte zugewiesen, weil man davon ausgeht, dass das gemeinsame Wirtschaften ökonomische Vorteile gegenüber einem Singlehaushalt bietet. Konsequenterweise müssen dann aber auch auf der Einnahmenseite die Einkommensquellen des Partners mit betrachtet werden. Das mag eine Erklärung dafür sein, dass im Jahr 2016 zwar etwas weniger als die Hälfte der gesetzlichen Rentenzahlbeträge unter dem Niveau der Grundsicherung im Alter (für den Haupteinkommensbezieher und einschließlich durchschnittlicher Kosten des Wohnens) gelegen haben, aber nur 2,6 Prozent der gesetzlichen Rentner tatsächlich die bedürftigkeitsgeprüfte Hilfe in Anspruch nahmen.
Bei aller methodischen Kritik ist aber vielmehr entscheidend, dass die gesetzliche Rente gar nicht mehr den Lebensstandard sichern soll. Diesen Paradigmenwechsel hat die rot-grüne Regierungskoalition bereits Anfang des vergangenen Jahrzehnts vollzogen. Hintergrund: Durch den demografischen Wandel wäre die finanzielle Belastung für künftige Beitragszahler zu groß geworden. Dass mit dem Wechsel in den Ruhestand also auch der Lebensstandard sinkt, und dies künftig deutlicher als in der Vergangenheit, kommt nicht überraschend, sondern folgt einem angekündigten Plan. Dabei liegt das Rentenniveau mit aktuell rund 48 Prozent über dem Wert, der ursprünglich für heute erwartet wurde. Und zur Erinnerung: Im Jahr 2000 lag das Rentenniveau bei knapp 53 Prozent, reichte also auch nicht, um den Lebensstandard allein mit der gesetzlichen Rente zu erhalten.
Auch wenn die Studie die Sicherung des Lebensstandards in den Vordergrund rückt, geht es aus ökonomischer Sicht vielmehr um die Frage, wie ein Generationenvertrag in einer alternden Bevölkerung fortgeführt und Altersarmut nach Möglichkeit verhindert werden können. So ließe sich möglicherweise die Forderung nach einer Stabilisierung des Rentenniveaus wissenschaftlich begründen – doch mit Armutsgefährdung beschäftigt sich die DIW-Studie gar nicht.
Dann aber wäre die Frage zu diskutieren, ob ein stabiles Rentenniveau überhaupt geeignet ist. Festzustellen ist dann aber, dass selbst ein konstantes Niveau den armutsgefährdeten Rentnern so gut wie nicht helfen würde, weil sich ihre Rente damit nicht erhöht. Denn das Rentenniveau definiert lediglich den Abstand zwischen Standardrentner und durchschnittlichem Verdienst, nicht aber die Höhe des individuellen Rentenanspruchs. Gleichzeitig würden gut situierte Ruheständler geschont, die gar keiner Unterstützung bedürfen. Und das auf Kosten der nachfolgenden Generationen: Wird das Rentenniveau angehoben, erhöhen sich zwangsläufig Beitrags- und Steuerlasten. Die jüngeren Arbeitnehmer müssten also zusätzliche Lasten schultern, obwohl sie ohnehin schon durch den demografischen Wandel stark belastet werden.
Statt Mittel mit der Gießkanne zu verteilen, sind also Maßnahmen gefordert, die vor allem dort helfen, wo Armut droht.
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Autor:
R. Fischer und Prof. G. Schnabl Prof. Schnabl ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Raphael Fischer ist Diplom-Volkswirt und Forschungsassistent am Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig.