Regeln für die Sozialversicherung
Die gute Kassenlage der Renten- und Krankenversicherung weckt Begehrlichkeiten. Der Griff des Staates in die vollen Kassen war nur eine Frage der Zeit. Um dies zu verhindern, bedarf es verlässlicher Regeln.
Es bewahrheitet sich wieder einmal ein Zitat, das dem österreichischen Ökonomen Josef Schumpeter zugeschrieben wird: „Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.“ Denn die Rücklagen der Sozialversicherungen werden derzeit von der Politik ungeniert zweckentfremdet. Sie werden – wie im Fall der gesetzlichen Krankenversicherung – teilweise in den Bundeshaushalt verschoben oder für wahltaktisch motivierte Leistungsausweitungen verausgabt, wie die Umsetzung des „Rentenpakets“ der Bundesregierung zeigt. Hinzu kommt die Vereinnahmung von künftigen Beitragsmitteln zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen, wie z. B. der abschlagsfreien „Rente mit 63“. Dieses Vorgehen gefährdet das Vertrauen der Bürger in die Politik und die Akzeptanz sozialversicherungsrechtlicher Regelungen.
Um die Sozialversicherungsmittel vor willkürlichen Zugriffen zu schützen und eine Politik nach Kassenlage zulasten der Beitragszahler zu unterbinden, bedarf es verlässlicher Regeln, die eingehalten werden. So müssen die Haushalte der Sozialversicherungen und des Bundes strikt voneinander getrennt werden.
Die Beitragseinnahmen der Sozialversicherung sind ausschließlich zur Finanzierung versicherungsgemäßer Leistungen zu verausgaben und dürfen nicht zur Quersubventionierung des Bundes verwendet werden. Bundeszuweisungen an die Sozialversicherung sind hingegen nur dann sachgerecht, wenn sie zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen verwendet werden. Insofern sind die Bundesmittel nach den Ausgaben für die Fremdleistungen zu bemessen. Die Bundesbank plädiert in ihrem aktuellen Monatsbericht für eine solche Zweckbindung in der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Doch auch für die anderen Sozialversicherungszweige wäre die Zweckbindung sinnvoll. Hierzu müssten alle versicherungsfremden Leistungen in den Sozialversicherungen ermittelt werden. Bei bestimmten Leistungen dürfte die Beurteilung zwar strittig sein, doch bezüglich der meisten Fremdleistungen besteht Konsens.
Übersteigen die Beitragseinnahmen die (versicherungsgemäßen) Leistungsausgaben, können sie bis zu einer bestimmten Höhe als Schwankungsreserve zurückgehalten werden. Rücklagen der Sozialversicherungen sind nur zum Ausgleich unterjähriger Einnahme- und Ausgabeschwankungen sowie zur Beitragssatzstabilisierung im Konjunkturverlauf zu verwenden. Eine andere Rechtfertigung gibt es für Reserven im Umlageverfahren nicht. Überschüssige Beitragsmitteln wären mittels Beitragssatzsenkungen an die Versicherten zurückzugeben.
Diese Regeln für eine dauerhaft verlässliche Finanzierung der Sozialversicherungen sollten gesetzlich fixiert werden. Derartige einfachgesetzliche Vorgaben würden für die Politik zwar höhere Hürden gegen Zugriffe auf die Beitragsmittel darstellen und bei beabsichtigten Änderungen einen stärkeren Rechtfertigungsdruck entfalten, doch sie würden die Gefahr einer Zweckentfremdung nicht vollständig beseitigen können. Daher wäre darüber hinaus zu erwägen, die Vorgaben für die Finanzierung der Sozialversicherung im Grundgesetz bzw. in der Finanzverfassung zu verankern. Dies erscheint allein schon aufgrund des hohen Umfangs der Sozialversicherungshaushalte sinnvoll.
Lesen Sie dazu eine ausführliche Analyse des deutschen Steuerzahlerinstituts.
Autor:
Damian Fichte ist Mitarbeiter am Deutschen Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler e.V. (DSi). Seine Schwerpunkte sind Sozial- und Finanzpolitik.