Ohne Haftung: Wie Lufthansa mit Hilfe des Staates die Bürger über den Tisch gezogen hat

Die Kreditvergabe an Air Berlin und die Einmischung des Staates in das Insolvenzverfahren untergraben die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, sagen Prof. Dr. Schnabl und Klaus Siemon. Die Leidtragenden seien die Bürger.

Wettbewerb und Haftung waren einst Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft. Das Insolvenzverfahren verlieh dem Haftungsprinzip Glaubwürdigkeit: Hat ein Unternehmen Zahlungsprobleme, übernimmt ein unabhängiger Insolvenzverwalter die Kontrolle. Er sucht einen Ausgleich zwischen Schuldner und Gläubiger, indem er das Vermögen des Schuldners bestmöglich verwertet.

Bei Air Berlin hat Lufthansa das Insolvenzrecht als Übernahmeinstrument missbraucht und den Wettbewerb im deutschen Luftverkehr untergraben. Das Vermögen von Air Berlin wurde eher entwertet statt verwertet, weil seit der Reform des Insolvenzrechts in 2012 der Schuldner in der sogenannten Eigenverwaltung das Verfahren selbst führen kann. Der wichtigste Wettbewerber Lufthansa konnte in die Rolle des Schuldners (Air Berlin) schlüpfen und so einen unabhängigen Insolvenzverwalter umgehen.

Am 1.2.2017 wechselte Lufthansa-Manager Thomas Winckelmann mit einer Gehaltsgarantie (4,5 Millionen Euro bis 2021) als Vorstandsvorsitzender zu Air Berlin. Nachdem Air Berlin am 15.8.2017 einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt hatte, führte quasi Lufthansa das Verfahren. Zwar sind ein Sachwalter und ein Generalbevollmächtigter vorgesehen, die die Interessen der Gläubiger vertreten. Doch die hat Air Berlin, also Lufthansa, ausgewählt.

Ein unabhängiger Insolvenzverwalter hätte versucht, den Flugbetrieb aufrecht zu erhalten und schnell einen Übernehmer zu finden. Denn wenn das insolvente Unternehmen noch arbeitet, ist der Wert höher. Das ist gut für die Gläubiger. Bei einer geordneten Übernahme von Air Berlin und Niki durch einen Konkurrenten hätten zudem die Verträge der Mitarbeiter nach § 613a BGB noch Bestand gehabt.

Aber nun wurde die Suche nach Übernehmern von Air Berlin und Niki verschleppt, bis die Flugzeuge am Boden blieben. Das senkte den Übernahmepreis, insbesondere die Lohnkosten für die übernommenen Mitarbeiter. Lufthansa konnte billig die meisten Flugzeuge sowie wichtige Start- und Landerechte übernehmen. Die Übernahme der Reste von Niki durch die Lufthansa wurde nur im letzten Moment von der europäischen Wettbewerbsaufsicht durchkreuzt.

Der 150-Millionen-Kredit, den die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit Bürgschaft des Bundes gewährte, half das Verfahren um drei Monate zu verzögern. So wurde die sofortige Ausschreibung der Landerechte verhindert, sodass die Lufthansa die Landerechte vor Ende des Bieterverfahrens teils kostenlos übernehmen konnte. Die ursprünglich von Air Berlin geleasten Flugzeuge gingen in dieser Zeit auf Lufthansa über. Ein umfangreiches Beraterteam um den Sachwalter Lucas Flöther und den Generalbevollmächtigten Frank Kebekus erhielt großzügige Provisionen.

Den von der Bundesregierung versprochenen geordneten Übergang für das Unternehmen und die Beschäftigten erreichte der Kredit nicht. Air Berlin und Niki wurden nur etwas später zerschlagen und die Mitarbeiter auch so arbeitslos. Saniert wurde in dieser Zeit nicht, was eigentlich einer Insolvenzverschleppung entspricht. Nur einige Urlauber sind nicht gestrandet, aber die hätten – wie im Fall der bankrotten britischen Monarch Airlines – billiger zurückgeholt werden können.

Der deutsche Staat hat damit bei den Pleiten von Air Berlin und Niki kräftig mitgemischt. Die Verzögerung bei der Eröffnung des Berliner Hauptstadtterminals hat Air Berlins Pläne eines modernen Drehkreuzes zunichtegemacht und hohe Kosten verursacht. Die Reform des Insolvenzrechts hat es dem größten Konkurrenten Lufthansa erlaubt, das Insolvenzverfahren zu lenken und die Kosten der Übernahme zu reduzieren. Der öffentliche Kredit sicherte hohe Provisionen für die Berater. Verkehrsminister Alexander Dobrindt machte gute Stimmung, indem er Lufthansa als „nationalen Champion“ anpries. Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries konterte die Kritik an gestiegenen Ticketpreisen als „Lufthansa-Bashing“.

Die Bürger wurden hingegen über den Tisch gezogen. Der Millionenkredit ist zu beträchtlichen Teilen verloren. Die Mitarbeiter von Air Berlin und Niki wurden arbeitslos oder zu schlechteren Konditionen wiedereingestellt. Viele Reisende blieben auf ihren Tickets sitzen. In Zukunft werden sie höhere Flugpreise bezahlen. Es leidet das Image der Sozialen Marktwirtschaft. Doch die Demontage von Haftung und Wettbewerb mit Hilfe des Staates ist jedoch weder marktwirtschaftlich noch sozial. Das Lufthansa-Air Berlin-Modell sollte auf keinen Fall in der nächsten großen Krise Schule machen. Deshalb ist eine schnelle Korrektur des Insolvenzrechts dringend erforderlich.

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Autor:

Prof. Dr. Gunther Schnabl und Klaus Siemon Prof. Dr. Gunther Schnabl ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Er erforscht den Einfluss der Geldpolitik auf die Finanz- und Gütermärkte sowie auf die Gesellschaft. Klaus Siemon ist Fachanwalt für Insolvenzrecht, Insolvenzverwalter und Partner der Anwaltskanzlei Siemon.

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