Ohne Deutschland geht es nicht
John Lanchester: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt – die bizarre Geschichte der Finanzen, Stuttgart 2013, Klett-Cotta-Verlag
Wieder haben wir es hier mit einem Buch zu tun, das sich mit der Entstehung der Finanzkrise befasst. Langweilig, könnte man meinen, denn von denen gibt es schon reichlich. Neu ist allerdings, dass dieser Autor ausnahmsweise mal viel Verständnis für die Sorgen der Deutschen aufbringt. John Lanchester ist britischer Euro-Skeptiker.
So ungeschminkt hat wohl selten ein Brite den Briten erklärt, warum viele Deutsche sich um ihren Euro Sorgen machen: „Jeder Deutscher weiß im Zusammenhang mit dem Euro über mindestens eine Tatsache Bescheid, nämlich darüber, dass man den Deutschen, bevor sie sich bereit erklärten, die Deutsche Mark aufzugeben, ausdrücklich versprochen hatten, es würde nie so weit kommen, dass sie Hilfszahlungen für andere Länder leisten müssten“, erklärt Lanchester in seinem neuen Buch über die „bizarre Geschichte der Finanzen“.
Dieses Versprechen sei längst gebrochen und es gebe auch keinen Grund anzunehmen, dass dies nicht noch öfter geschehen werde – „auch wenn man dabei nicht vergessen darf, dass diese Bailouts im Endeffekt nur Kredite sind, die im Prinzip wieder zurückgezahlt werden. Mindestens zehn harte Jahre sieht er vor Europa liegen. Damit sie gelingen, müsse sich vor allem Deutschland in der Euro-Krise stärker engagieren, als den meisten lieb ist.
Dass jemand von gewichtiger Stimme aus dem Ausland so viel Verständnis dafür zeigt, wie sehr der deutsche Steuerzahler für die Gemeinschaftswährung bluten muss, ist schon bemerkenswert. Überhaupt liest sich Lanchester angenehm. Er schreibt ohne Allüren und in einer Sprache, die sich nicht anmaßt, intellektuelle oder wissenschaftliche Schläue vorzutäuschen. Er erklärt verständlich, was Derivate sind, Leerverkäufe oder Spekulationsblasen sind. Er beschreibt, wie es in den USA zu der massenhaften Vergabe von Hypotheken für Immobilienkäufer kam, welche Fehler die amerikanische Politik und die Federal Reserve Bank mit der Billigung billiger Kredite begingen.
Der größte Fehler, der zur Finanzkrise geführt hat, war für ihn der Umgang mit dem Risiko. Die Banker hatten sich bei der Risikokalkulation schlichtweg verrechnet oder wollten sie erst gar nicht sehen.
Auch den „Normalbürgern“ (also uns allen) erteilt Lanchester einen Tadel, denn immerhin waren sie es, die die die billigen Kredite dankbar annahmen – auch weil sie an die schnellen Gewinne glauben wollten.
Die sogenannten Credit Default Swaps, jene Finanzinstrumente, die ermöglichten, Ausfallrisiken von Krediten, Anleihen oder Schuldnernamen zu handeln und die erfunden wurden, um die Vergabe von Krediten sicherer zu gestalten, sind für den Autor am Ende die Hauptschuldigen für die Finanzkrise. Sie waren dafür verantwortlich, dass Risiken im gesamten Weltfinanzsystem verbreitet und um ein Vielfaches vergrößert wurden. „Es war ganz so, als hätte man die Erfindung des Sicherheitsgurtes zum Anlass genommen, regelmäßig im volltrunkenen Zustand Auto zu fahren“, schreibt Lanchester.
Was den Euro angeht, sieht er durchaus nicht alles schwarz. Wenn der Euro überleben will, meint Lanchester, wird Deutschland dafür sorgen müssen, den arbeitsscheuen Südeuropäern aus der Patsche zu helfen. Deutschland werde das Wohl der übrigen Europäer auf die gleiche Stufe stellen müssen wie seine eigenen nationalen Interessen. Sonst sei der Euro erledigt, ist sich Lanchester sicher: „Wenn es der deutsche Steuerzahler schafft, diese besondere Bestimmung zu akzeptieren, wird sich der Euro wohl irgendwie durchschlagen.“
Autor:
Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.