Mindestlohn: Erste Anzeichen für Arbeitsplatzverluste

Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro. Sind die befürchteten Arbeitsplatzverluste eingetreten? Das ifw Kiel zieht eine Zwischenbilanz.

Es dürfte mittlerweile unstrittig sein, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 brutto je Stunde zum 1. Januar 2015 zum mit Abstand stärksten Rückgang der Zahl der geringfügig entlohnten Beschäftigten (sog. Minijobber) seit rund 15 Jahren geführt hat. Im März waren 160 000 Arbeitnehmer weniger in einem Minijob beschäftigt als ein Jahr zuvor, wobei der Rückgang der Minijobs in Ostdeutschland (-7 Prozent) deutlich stärker als in Westdeutschland (-3 Prozent) war. Es gab keine anderen bedeutenden Rechtänderungen im Bereich der Minijobs, die einen solchen Einbruch erklären könnten. Es sind vielmehr Neuregelungen in Kraft getreten, die tendenziell eine Ausweitung der Minijobs begünstigen.

Strittig dürfte allerdings sein, ob die weggefallenen Minijobs tatsächlich mit weggefallenen Arbeitsplätzen gleichbedeutend sind oder ob sie in andere (legale) Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt wurden (ein Ausweichen in die Schattenwirtschaft ist auch denkbar). Zum einen könnten die weggefallenen Minijobs in Werkverträge oder andere Formen der Selbständigkeit umgewandelt worden sein, um den Mindestlohn zu umgehen. Die Tatsache, dass die Zahl der Selbständigen, die seit gut drei Jahren rückläufig ist, im ersten Quartal dieses Jahres schneller zurückging als zuvor, deutet allerdings nicht darauf hin. Zum anderen könnten die Minijobs in sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt worden sein, sobald die Entgeltgrenze von 450 Euro aufgrund des Mindestlohns überschritten wurde. Die momentan vorliegenden Daten deuten jedoch nicht darauf hin, dass diese Umwandlung bis jetzt im großen Stil stattgefunden hat. Die Summe aus Minijobbern und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat in den ersten drei Monaten dieses Jahres spürbar schwächer zugelegt als zuvor. Für einen direkten Zusammenhang mit dem Mindestlohn spricht, dass die Abschwächung in Ostdeutschland markanter ist als in Westdeutschland und dass sie sich in einer Größenordnung bewegt, die dem Rückgang der Minijobs entspricht.

Insgesamt hat der Beschäftigungsaufbau zu Jahresbeginn also relativ plötzlich an Fahrt verloren. Hierfür sprach neben der Einführung des Mindestlohns sonst wenig. Die Zeichen am Arbeitsmarkt zu Jahresbeginn standen eher auf Beschleunigung. Die gesamtwirtschaftliche Aktivität expandierte im Schlussquartal 2014 ausgesprochen kräftig. Die gängigen Frühindikatoren für den Arbeitsmarkt hatten ebenfalls keine Abkühlung angezeigt. Die Zahl der offenen Stellen befindet sich auf hohem Niveau und ist bis zuletzt sogar weiter gestiegen.

Die Tatsache, dass die Zahl der bei der Bundesagentur für Arbeit registrierten Arbeitslosen in den ersten Monaten dieses Jahres weiter gesunken ist, steht nicht im Widerspruch zu möglichen mindestlohnbedingten Arbeitsplatzverlusten. Rund die Hälfte aller Minijobber sind Rentner, Studenten oder Arbeitslose, die sich etwas hinzuverdienen. Diese Personen können in der Regel nicht arbeitslos im Sinne der Arbeitslosenstatistik sein bzw. sind dies bereits vor dem Jobverlust. Die andere Hälfte der Minijobber kann sich zwar theoretisch arbeitslos melden, allerdings dürfte der finanzielle Anreiz hierzu vielfach fehlen. Minijobber haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Und auch ein Anspruch auf Grundsicherung in Form von Arbeitslosengeld II dürfte nicht selten fehlen. Ein Drittel der Minijobber lebt in Haushalten, in denen der Lebensunterhalt überwiegend aus dem Einkommen anderer Haushaltsmitglieder bestritten wird. In diesen Fällen ist die Hilfebedürftigkeit oft nicht gegeben, da das Haushaltseinkommen ausreichend hoch ist.

Niedrigverdiener sind in der Tat weitaus seltener armutsgefährdet als es der niedrige Stundenlohn nahelegt. Nur rund jeder fünfte Arbeitnehmer mit einem Stundenlohn von unter 8,50 Euro war hiervon betroffen. Niedrigverdiener leben keineswegs nur in einkommensarmen Haushalten, sondern sind in nahezu allen Segmenten der Einkommensverteilung vertreten. Letztlich ist dies einer der Hauptgründe, warum der Mindestlohn eines seiner Ziele nicht erreichen kann, nämlich die Einkommensungleichheit in Deutschland nennenswert zu verringern.

Die ausführlichen Berechnungen sind im Wirtschaftsdienst erschienen.

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Autor:

Dr. Dominik Groll ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Prognosezentrum und im Forschungsbereich "Makroökonomische Politik in unvollkommenen Märkten" am ifw Kiel.

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