Kompetenz und Haftung: Warum die Eurokrise noch nicht ausgestanden ist

140617_Neuverschuldung-EUDie Wurzeln der europäischen Staatsschulden- und Finanzkrise liegen weit zurück. Bereits 1992 war bekannt, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der künftigen Euroländer sehr unterschiedlich war und daher für den gemeinsamen Währungsraum das reelle Risisko bestand, in eine Transferunion abzugleiten. Mit den Maastrichter Verträgen hat man versucht, dem Problem Herr zu werden – ohne Erfolg, wie wir heute wissen.

Ob die Maastrichter Kriterien wirklich ausgereicht hätten, um die Stabilität der Währungsunion zu gewährleisten, kann nicht beantwortet werden. Dass aber Regelverstöße kontraproduktiv sind, steht außer Zweifel. Bereits unter Gerhard Schröder und Jacques Chirac im Jahre 2003 wurden die Fiskalregeln so massiv gebrochen, dass sie faktisch außer Kraft gesetzt wurden. Diesem Präzedenzfall der Versündigung an der 3%-Neuverschuldungsgrenze folgten weitere Länder, sodass das vertragliche Gebot der soliden Haushaltsführung unglaubwürdig wurde.

Auch die vereinbarte „No-bailout“-Klausel erfuhr wenig Vertrauen durch die finanzpolitischen Akteure. Die Anleger setzten darauf, dass im Notfall kein Land fallengelassen würde – und bekamen Recht. Mit dem ersten Hilfspaket für Griechenland war die Klausel de facto obsolet. Der Kardinalfehler war, dass man an diesem Punkt Haftung von Risiko getrennt hatte – eine Kombination, die ein Marktversagen produzieren muss und der Sozialen Marktwirtschaft zuwider läuft. Wenn ein Staat sich Geld leihen kann, ohne tatsächlich selbst zu haften, hat er auch keinen Anreiz, unproduktive Ausgaben zu unterlassen. Diese banale Kausalität hätten die Regierungschefs der Eurozone nicht außer Acht lassen dürfen, als sie die Hilfspakete beschlossen haben.

Da diese Mechanismen immer noch in Kraft sind, ist die Krise noch nicht ausgestanden. Es ist fadenscheinig von der Politik so zu tun, als ob Griechenland aus dem Gröbsten heraus wäre. Solange kein Mitgliedsstaat vollständig für seine Schulden verantwortlich ist, wird auch keine nachhaltige Konsolidierung stattfinden. Selbst der Musterknabe Deutschland steht zwar im Vergleich zu den südeuropäischen Krisenstaaten gut da. Aber hierzulande sinkt die Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nur langsam, trotz der enormen konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen. Die Verlautbarungen, dass ein ausgeglichener Haushalt in Sicht sei, gab es schon häufig. Aber gegeben hat es ihn seit über 40 Jahren nicht.

Durch die EZB-Politik wird der heilsame Reformdruck auf die nationalen Regierungen gelindert, die noch dringend anstehenden Strukturreformen anzupacken. Es wird weiterhin munter über die eigentlichen Verhältnisse auf Pump gewirtschaftet.

Die EZB muss es zulassen, dass sich auf dem Kapitalmarkt für Staats- und Unternehmensanleihen Zinssatzdifferenzen gemäß der unterschiedlichen Bonität der einzelnen Staaten bilden. Es gibt keine bessere Kontrolle als den Markt.

Überhaupt muss dem Prinzip der Eigenverantwortung volle Geltung verschafft werden. Dazu gehört die Möglichkeit der Insolvenz. Dies gilt sowohl für Staaten als auch für Banken. Es müssen zuerst die Eigentümer der Bank, die auch die Kontrolle über deren Geschäfte ausüben, ihre finanzielle Verantwortung spüren, in jedem Fall bevor der Steuerzahler zur Verantwortung gezogen wird. Für die Europäische Bankenunion sind hierzu Regeln etabliert worden; diese müssen dann aber auch im Falle einer Bankenpleite ohne Wenn und Aber, d.h. ohne politische Einmischungen, angewandt werden. Für Staaten brauchen wir noch eine Insolvenzordnung, die Regierungen vor einem unbekümmerten Schuldenmachen abschreckt und im Krisenfall den Sanierungsweg entpolitisiert. Dazu gehört gegebenenfalls auch die Option des Austritts aus der Währungsunion. Das Beispiel Griechenlands zeigt, dass es trotz zweier massiver Hilfsprogramme und eines großen Schuldenschnitts nach wie vor übermäßig verschuldet ist, mit 175 % des BIP. Diese untragbare Schuldenlast muss nachhaltig reduziert werden. Erst am  Ende wird man sehen, ob Griechenland den schmerzvollen Sanierungsprozess durchhalten will oder ob es den Euro-Raum verlässt.

 Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung hier erschienen.

 

Autor:

Prof. Dr. Juergen B. Donges war Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln.

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