Koalitionsvertrag-Check: gemischtes Gesamtbild bei der Bildung

Um Herausforderungen wie den demografischen Wandel oder die Digitalisierung zu bewältigen, braucht Deutschland eine Bildungsoffensive. Der INSM-Bildungsmonitor hat im Jahr 2017 eine Zehn-Punkte-Reformagenda entwickelt, um das Bildungssystem für die Herausforderungen fit zu machen. Vor diesem Hintergrund gehen einzelne Maßnahmen des Koalitionsvertrages in die richtige Richtung, andere Vorschläge bleiben hinter den Notwendigkeiten einer erfolgreichen Reformagenda zurück.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 7. Februar 2018 bleibt hinter dem zurück, was zur langfristigen Wohlstandssicherung nötig wäre und möglich ist. Im Bildungsbereich wurden aber auch Maßnahmen beschlossen, die wichtige Akzente der Zukunftssicherung skizzieren, wie der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, der Ausbau der Investitionen in Schulen und Hochschulen und die geplante Stärkung von Forschung und Entwicklung. Die Maßnahmen im Bildungsbereich werden im Folgenden anhand der Zehn-Punkte Reformagenda des INSM-Bildungsmonitors eingeordnet.

  1. Die Durchlässigkeit weiter erhöhen. Zentrale Aufgabe ist es, Fortschritte bei der Integration zu erzielen und die Bildungsarmut zu reduzieren. Diese Punkte greift der Koalitionsvertrag in der Zielformulierung auf, bei der Umsetzung ergibt sich aber, wie auch im Folgenden gezeigt wird, ein gemischtes Bild.
  2. Herausforderung der Flüchtlingsmigration meistern. Ein wichtiger Baustein zur Förderung der Durchlässigkeit ist die Bildungsintegration von Flüchtlingen. In diesem Zusammenhang spielen Maßnahmen zur Reduzierung vorhandener Defizite bei Deutschkenntnissen und beruflichen Kompetenzen eine entscheidende Rolle. Der Koalitionsvertrag bietet in dieser Hinsicht zu wenige neue Impulse. Integrationskurse und Sprachförderung sollten gestärkt und auf weitere Zielgruppen ausgedehnt, Qualifizierungsbausteine weiter entwickelt werden.
  3. Kita – Qualität stärken und zusätzliche Plätze schaffen. Zusätzlich zum jüngst beschlossenen Ausbau von 100.000 Kitaplätzen sollten weitere 100.000 Plätze für unter dreijährige Kinder geschaffen werden. Außerdem sollte die Qualität an Kitas erhöht werden. Insgesamt sind für die Maßnahmen nach der Ausbauphase nach Berechnungen des IW jährlich rund 5,0 Milliarden Euro zusätzlich notwendig. Für die Abschaffung der Gebühren und die Stärkung der Qualität der Kitas plant der Koalitionsvertrag für die gesamte Legislaturperiode jedoch nur 3,5 Milliarden Euro ein. Die Maßnahmen werden eher am Ende der Legislaturperiode zahlungswirksam. Vor allem die generelle Abschaffung der Kita-Gebühren sollte vermieden werden, um genügend Mittel für die Stärkung der Qualität und den weiteren Ausbau von Kita-Plätzen einsetzen zu können. Eine Vereinheitlichung der sozialverträglich gestalteten Kita-Gebühren wäre jedoch zu begrüßen.
  4. Schulfrieden schaffen, Qualität fokussieren. Ein im Koalitionsvertrag geplanter nationaler Bildungsrat kann über gemeinsame Bildungsstandards zu mehr Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungssystem führen und die Mobilität innerhalb des Bildungssystems erhöhen. Positive Effekte entstünden vor allem dann, wenn eine gemeinsame Bildungsstrategie von Bund, Ländern und Kommunen erreicht werden könnte und diese auf empirisch fundierten Erkenntnissen basiert.
  5. Qualität für Digitalisierung in Schulen sichern. Positiv ist, dass der von der letzten Bundesregierung angedachte Digitalpakt mit einem Gesamtbetrag von fünf Milliarden Euro in den kommenden Jahren umgesetzt wird, von denen 3,5 Milliarden Euro auf diese Legislaturperiode entfallen sollen. Entscheidend für die Wirkung der Maßnahmen sind jedoch eine umfassende Lehreraus- und -fortbildung zum Einsatz digitaler Medien und Vermittlung digitaler Inhalte und Kompetenzen im Unterricht.
  6. Qualitätswettbewerb und Ganztagsschulen. Nach Berechnungen des IW entstehen für die öffentliche Hand jährliche Ausgaben von 0,8 Milliarden Euro für 330.000 zusätzliche Ganztagsplätze. Durch die Ganztagsplätze verbessert sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Integration und Bildung der Kinder werden gefördert. Allein durch die Vereinbarkeitsrendite entstehen jährliche Mehreinnahmen der öffentlichen Hand in Höhe von 2,1 Milliarden Euro. Dazu kommen langfristige Wachstums- und Fiskaleffekte durch eine Bildungs- und Integrationsrendite, die jedoch erst weit nach der Legislaturperiode wirksam werden. Die von der Regierung veranschlagten zwei Milliarden Euro für die laufende Legislaturperiode sind realistisch, da der Ausbau des Ganztags erst nach und nach umgesetzt werden kann. Zu prüfen ist jedoch, ob für die Ausgestaltung des Rechtsanspruchs das Sozialgesetzbuch (SGB) VIII den optimalen Rahmen bietet.
  7. Berufsorientierung stärken. An allen allgemeinbildenden Schulen soll die Berufsorientierung qualitativ gestärkt und intensiviert werden. Dies ist positiv zu bewerten, da insbesondere an Gymnasien hier noch großer Nachholbedarf besteht. Auch die Ausweitung von Jugendberufsagenturen ist richtig. Positiv ist auch der geplante Ausbau des Meister-BAföGs. Das Finanzvolumen von 1,0 Mrd. Euro für die kommende Legislaturperiode sollte wichtige Impulse zur Finanzierung von Lehrgangs- und Lebenshaltungskosten für die Aufstiegsfortbildung ermöglichen.
  8. Kapazitäten für Zuwanderung über das Bildungssystem schaffen. Das im Koalitionsvertrag geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiger Baustein zur Fachkräftesicherung. Es wäre wünschenswert, darüber hinaus ein Bundesprogramm für Zuwanderer über das Bildungssystem aufzulegen, da die Zuwanderung über die Hochschulen sehr effizient und zielgenau zur Fachkräftesicherung beitragen kann.
  9. Arbeitsplatzbezogene Grundbildung stärken. Die von Bund und Ländern ausgerufene Dekade der Alphabetisierung bietet große Chancen, die Lese- und Schreibfähigkeiten von Erwachsenen zu verbessern. Positiv ist die im Koalitionsvertrag explizit betonte Stärkung arbeitsplatzbezogener Grundbildung zu bewerten, die helfen kann, die Potenziale der Geringqualifizierten zu stärken und ihre Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern.
  10. Bildung stärken – Finanzierung vom Kopf auf die Füße stellen. Wichtig ist es, zielgenau in Integration, frühkindliche Förderung, Ganztagsschulen und Hochschulkapazitäten zu investieren und die Qualität zu stärken. Für die beschriebenen Maßnahmen wäre eine stärkere Investition als die im Koalitionsvertrag geplanten Mittel wünschenswert – insbesondere im Bereich der Integration und bei der Qualität frühkindlicher Bildung. Neben zusätzlichen Bildungsausgaben ist die Bildungsfinanzierung vom Kopf auf die Füße zu stellen. In einem bildungsökonomisch begründeten Gesamtkonzept wäre eine sozialverträglich gestaltete Erhebung von Studiengebühren bei gleichzeitiger Abschaffung der Kita-Gebühren sinnvoll. Eine im Koalitionsvertrag geplanten alleinigen Reduzierung der Kita-Gebühren ist bei begrenzten öffentlichen Mitteln jedoch gegenüber einer Qualitätsverbesserung in der frühkindlichen Bildung zu abzusehen.

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Autor:

Prof. Dr. Axel Plünnecke ist stellvertretender Leiter des Wissenschaftsbereichs Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik und Leiter des Kompetenzfelds Humankapital und Innovationen beim Institut der deutschen Wirtschaft.

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