Klischees funktionieren immer wieder…
Das „Klischee“ als rhetorische Allzweckwaffe funktioniert deshalb so gut, weil es auf komplizierte Zusammenhänge eine einprägsame und vorgefertigte Antwort liefert. Die Finanzkrise hat sich in diesem Sinne vor allem am „Neoliberalismus“ abgearbeitet. Händereibend triumphiert zum Beispiel Susanne Gaschke am 16. Oktober in „Die Zeit“. Mit der Finanzkrise hätte sich endlich das „großartige Scheitern aller neoliberalen Verheißung über die Weißheit der Märkte und die Überflüssigkeit des Staates“ offenbart. Während sich Gaschke am Nachbeten der alten Schablone (Neoliberal gleich Marktradikal) erfreut, zeichnet Thomas Straubhaar zwei Tage später in „Die Welt“ ein völlig anderes Bild. „Der Staat schützt die Freiheit“, schreibt der bekennende Wirtschaftsliberale in seinem Essay. Straubhaar ordnet dem Staat allerdings bewusst weitere Aufgaben zu: Der Staat müsse den Markt schützen, regulierende Rahmenbedingungen formulieren und im Zweifel auch als Nothelfer selbst in den Markt eingreifen. Vom „überflüssigen Staat“ ist ebenso wenig bei Straubhaar wie auch bei den gedanklichen Vätern der Sozialen Marktwirtschaft die Rede. Klischees funktionieren nur so lange man sie nicht hinterfragt.
Bildnachweis: Auszug aus „Die nächste Krise kommt bestimmt“, ein Essay von Prof. Dr. Thomas Straubhaar, „Die Welt“ vom 18. Oktober 2008
Autor:

Jens Lemmer ist Referent für Steuerpolitik und Steuerrecht am Deutschen Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler.