Keine Wahlgeschenke, aber Armutsrisiken im Alter ernst nehmen

Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie vorgelegt, die auf steigende Armutsrisiken im Alter aufmerksam macht. Die Ergebnisse sind ernst zu nehmen, aber im Kern wenig überraschend. Mehr noch sind die politischen Ableitungen lesenswert, bestätigen sie doch jene Stimmen, die bereits seit Monaten gegen den medialen Alarmismus sprechen und für eine sachgerechte Diskussion werben.

So viel vorneweg: Ein Verdienst der Autoren vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) ist es, den Haushaltskontext bei der Simulation künftiger Armutsgefährdungsrisiken mit in den Blick zu nehmen. Denn oftmals wird die vermeintliche Reformnotwendigkeit des deutschen Alterssicherungssystems mit dem sinkenden gesetzlichen Rentenniveau oder einer mangelnden Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge oder der Riester-Verträge begründet. Daraus, so die Protagonisten, erwachse ein steigendes Armutsrisiko im Alter. Doch Armutsrisiken werden stets unter Einbeziehung sämtlicher Einkommensquellen, auch der des im Haushalt lebenden Partners, gemessen. Deshalb kann von der Verteilung einer singulären Einkommensquelle systematisch nicht auf eine potenzielle Armutsgefährdung im Alter geschlossen werden. Bezieht man den Armutsbegriff auf die Kriterien der bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung, dann reicht nicht einmal die Verteilung der Alterseinkommen im Haushaltskontext, weil auch die Vermögensverteilung zu beachten ist (vgl. Beznoska/Pimpertz, 2016 sowie Kochskämper/Pimpertz, 2017).

Umso bedenklicher stimmen die Befunde der Studie. Demnach droht das Armutsgefährdungsrisiko von Neurentnern von einem Niveau von durchschnittlich gut 16 Prozent in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts bis auf gut 20 Prozent in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre zu steigen. Interessant ist dabei allerdings, dass mit der Variation der unterstellten Vermögensverzinsung auch das Armutsrisiko schwankt. Das deutet darauf hin, dass neben den Alterseinkommen auch Vermögen in relevantem Umfang vorliegt, aus dem entsprechende Zusatzeinkommen resultieren. Vermutlich steigt die Armutsgefährdungsquote deshalb nur um 0,5 Prozentpunkte, wenn eine dauerhafte Verzinsung von drei Prozent unterstellt wird.

Auch für die Grundsicherungsquote in der Personengruppe 67+ wird ein Anstieg im gleichen Zeitraum erwartet – von 5,4 auf sieben Prozent. Diese Entwicklung deckt sich mit der Einschätzung des wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirtschaftsministerium aus dem Jahr 2012. Allerdings gingen die Berechnungen seinerzeit von einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau aus, und auch aktuell liegt die Grundsicherungsquote nach den Daten des Statistischen Bundesamtes in der Altersgruppe 65+ mit gut drei Prozent unter dem in der Studie ausgewiesenen Wert. Doch selbst mit einem Niveau von sieben Prozent bliebe die Grundsicherungsquote der Älteren damit immer noch unter dem derzeitigen Bevölkerungsdurchschnitt von gut neun Prozent. Die Simulation verdeutlicht aber auch, dass längere Erwerbspausen sich deutlich negativ auf das Niveau der Grundsicherungsquote auswirken.

Deshalb sollte unabhängig von den allgemeinen Einordnungen das Problem der Altersarmut nicht bagatellisiert werden. Denn für ältere Menschen wirkt das Armutsrisiko auch deshalb so bedrohlich, weil man aus eigener Kraft im Ruhestand nicht mehr gegensteuern kann und deshalb die materielle Not gepaart ist mit einem Empfinden der Hilflosigkeit. Umso wichtiger ist es, auch die politischen Empfehlungen der Autoren aufmerksam zu studieren.

Unmissverständlich weisen sie darauf hin, dass eine Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus vor allem den wohlhabenderen Ruheständlern nutzt, ohne die einkommensschwächeren Ruheständler in jedem Fall über die Armutsgefährdungsschwelle heben zu können. Ob Solidar- oder Lebensleistungsrente, auch die Aufwertung von niedrigen Rentenanwartschaften wirkt nicht treffsicher – zum Beispiel, weil Menschen freiwillig in Teilzeit arbeiten und die Hauptlast der Altersvorsorge von ihrem vollzeitbeschäftigten Partner getragen wird. Ebenso wenig helfen Freibeträge für betriebliche und private Altersvorsorge oder eine Pflicht zur betrieblichen Altersvorsorge. Die Erklärung leuchtet auch hier intuitiv ein. Denn Arbeitslosigkeit oder familiär bedingte Erwerbspausen (Alleinerziehende) sowie der Erwerbsminderungsfall führen bereits im Erwerbsalter zu einem erhöhten Armutsrisiko, das sich dann bis ins Alter fortsetzt.

Statt die bestehende und im Grundsatz stabile Statik der drei Säulen der Alterssicherung und der Grundsicherung in Frage zu stellen, bestätigen die Studienergebnisse die Forderung, sich verstärkt um die berufliche Integration von Problemgruppen zu bemühen. Diese Aussage mag man ergänzen um zwei Fragen, die bislang leider kaum diskutiert werden, obwohl es dabei um die tatsächlich Bedürftigen geht. Zum einen gilt es zu klären, ob das Niveau der Grundsicherung im Alter hinreichend hoch bemessen ist, um den veränderten Bedarfen und Möglichkeiten vor allem der Hochbetagten Rechnung zu tragen. Die Thematisierung dieser Frage ist im Kern sozialpolitisch und stellt die wirklich Bedürftigen in den Fokus. Zum anderen ist zu prüfen, wie man jenen Menschen helfen kann, die aus Scham auf Grundsicherungsleistungen verzichten, ohne dabei gleich Tür und Tor für unerwünschte Mitnahmeeffekte zu öffnen. In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass die Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung einen weiteren Beitrag zur Versachlichung der öffentlichen Debatte zu leisten vermag.

Beznoska, Martin / Pimpertz, Jochen, 2016, Neue Empirie zur betrieblichen Altersvorsorge – Verbreitung besser als ihr Ruf, in: IW-Trends –Vierteljahresschrift zur empirischen Sozialforschung, 43. Jahrgang, Heft 2/2016, S. 3-19

Kochskämper, Susanna / Pimpertz, Jochen, 2017, Die gesetzliche Alterssicherung auf dem Prüfstand – Orientierungen für die aktuelle Reformdiskussion, IW-Analysen, Forschungsberichte aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Nr. 115, Köln

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Autor:

R. Fischer und Prof. G. Schnabl Prof. Schnabl ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Raphael Fischer ist Diplom-Volkswirt und Forschungsassistent am Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig.

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